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Politischer Protestantismus

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Der lutherische Propst Hans Asmussen ist bekanntlich führender Sprecher des rechten Flügels des politischen Protestantismus in der Bundesrepublik Deutschland. Dieser entstand in den schweren Jahren des Kirchenkampfes im Dritten Reich, als sich die Männer der „Bekennenden Kirche“ mit den „Deutschen Christen“ einerseits, mit der lutherischen Lehre von den „zwei Reichen“ anderseits auseinandersetzen mußten: und den politischen Leerraum im deutschen Protestantismus schmerzlich wahrnahmen. Allzulange, so schien es, hatte das deutsche Luthertum dem „weltlichen Regiment“ vollstes Vertrauen und Gehorsam geschenkt. Asmussen hatte im Gefängnis damals Gelegenheit, eine Revision der politischen Haltung des deutschen Luthertums zu durchdenken. Der Hintergrund des vorliegenden Buches ist damit gegeben. Asmussen kämpft einerseits gegen eine spezifisch deutschlutherische Flucht vor der Politik und vor der Verantwortung der Macht, anderseits gegen den in sich wieder differenzierten linken Flügel des deutschen politischen Protestantismus. Auch dieser linke Flügel kommt von der Bekennenden Kirche her, sieht sich vielfach als deren legitimster Erbträger an. Bereits in seiner ein gewisses Aufsehen erregenden Schrift „Rom—Wittenberg—Moskau“ hat Asmussen gegen die protestantischen Moskaupilger polemisiert, die lieber mit der russischen Ostkirche und mit Moskau als mit Rom und dem römischen Katholizismus verhandeln und zusammengehen wollen. Wie denn überhaupt Asmussen einer der prominentesten Fürsprecher einer freundschaftlichen Auseinandersetzung und eines Kampfgespräches mit dem Katholizismus geworden ist. Die Rücksichtnahme auf de katholischen Partner, sowohl in glaubensmäßiger wie in politischer Hinsicht in der Bundesrepublik, ist auf Schritt und Tritt in dem dreigliedrigen Essay über die Macht erkennbar, der auch den Katholiken und Andersdenkenden nicht wenig zu sagen hat. Asmussen ist immer anregend, manchmal zum Widerspruch herausfordernd, oft sehr bedenkenswert. Das trifft bereits auf den ersten Teil dieses Buches zu: „Die Macht Gottes“. „Gott ist der Allherr“. „Macht ist ! ein religiöser Tatbestand“. „Gott delegiert Macht, an Engel und Teufel, an die Kräfte der Natur und an den Menschen“. „Aber die Delegierung der Macht an ihre Träger ist nicht durchsichtig“. „So wie wir nicht wissen, welche Grenzen Gott sich selbst setzt, sobald Er Macht delegiert — daß Er sich solche Grenzen setzt, ist nach der Bibel sicher —, so wissen wir auch die Grenzen nicht zu ziehen zwischen den einzelnen Machtträgern und ihrem Machtbereich. Die Macht ist im letzten undurchsichtig.“ „Es sind darum auch alle in großer Gefahr, die mit der Macht umgehen müssen.“ Dieser letzte Satz steht auf der letzten Seite des Buches, im Nachwort. Zuvor aber folgen sehr erwägenswerte Ausführungen über die irdische Macht und die Macht der Kirche: ein freimütiges Bekenntnis zur Verpflichtung der Kirche, Macht zu üben, Macht zu verwalten, Macht zu repräsentieren, wie auch eine freimütige Darstellung heutiger Versuchungen der Machtübung der Kirche etwa in der Bundesrepublik Deutschland. Propst Asmussen steht nicht an. zu erklären:

„Tätsächlich aber haben sich die Dinge so entwickelt, daß die natürlichen Rechte des Staatsbürgers in der Kirche eine arge Einschränkung erfuhren.“ (Seite 82.) Er erörtert da so heikle Themen, wie diese: dürfen, oder sollen sogar kirchliche Angestellte oder Amtsträger gegen die kirchlichen Dienststellen vor weltlichen Gerichten klagen, wenn sie eben in der Kirche ihr Recht nicht bekommen? Asmussen bejaht diese Frage. So sehr Asmussen keinen Zweifel darüber läßt, daß seiner Überzeugung nach die Kirche (in ihren beiden Konfessionen, wie er sie als Lutheraner sieht) verpflichtet ist, Macht zu üben, Macht zu übernehmen, so sehr stellt er die wichtige Überlegung vor: Christus hat auf Erden vor allem Macht geübt, indem Er Kranke heilte und Besessene aus ihrem Bann löste. Die heutigen Besessenheiten, etwa im Zeitalter des Nationalsozialismus, sind nicht weniger aktuelle als jene zur Zeit Jesu. In der Befreiung von Massenpsychosen hätte die Kirche eine riesenhafte Aufgabe vor sich, ihre intimste und spezifischeste Macht zu zeigen.

„Denn die Besessenheiten sind mitten unter uns... Die Tatsache aber, daß niemand mehr von den Amtsträgern der Kirche die Macht erwartet, aus der Gefangenschaft eines Geistes zu befreien, sollte uns zu bedenken geben!“ (Seite 127). Diese kurzen Hinweise zeigen wohl, daß Asmussens Essay über die Macht nicht nur als kirchenpolitische Auseinandersetzung innerhalb des westdeutschen Protestantismus hohe Beachtung verdient. Den Katholiken wird besonders auch das Nachwort berühren, in dem sich Asmussen mit der lange vernachlässigten Theologie der Engel befaßt, der „Mächte“ und „Gewalten“, die Gott und dem Menschen dienen. „Da sind es wieder Engel gewesen, welche die Jünger ermahnten, nicht, gen Himmel' zu sehen.“ Nach der Auferstehung des Herrn. Diese großen „Mächte“ stehen in einem engen und für uns undurchsichtigen Zusammenhang mit der Machtübung des Menschen auf Erden, und nicht zuletzt mit der großen „Heimholung der Macht“, durch Gott am Ende unserer Erdentage.

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