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Prager „Frühling“
Die etwas turbulenten Geschehnisse der letzten Wochen in der Tschechoslowakei zeigen bei aller Unübersichtlichkeit eines deutlich auf: daß von einer Entstalinisierung vermutlich erst jetzt gesprochen werden kann.
Was damals vor sechs Jahren geschah, war dürftig genug: die monatelange Diskussion, was mit dem Stalin-Denkmal auf der Letna, dem größten der Welt, geschehen solle; die nach Moskauer Beispiel erfolgte Umbettung des ersten kommunistischen Staatspräsidenten
Gottwald, wobei — im Gegensatz zum Kreml — die gesamte Regierung bei der neuerlichen Beisetzung Gottwalds anwesend war; die von einer ZK-Sitzung zur anderen verschobene Rehabilitierung der noch lebenden Verurteilten, die Festsetzung immer neuer Termine für den Abschluß dieser Rehabilitierung, die gelegentliche Neuaufnahme in die Partei — Dinge, die vielfach nie in die Öffentlichkeit drangen. Nur gelegentlich las man den Namen eines der seinerzeit Verurteilten und wußte, daß er inzwischen rehabilitiert sein mußte. Erst jetzt tauchten in der Presse Tatsachenberichte auf, die die brutalen Maßnahmen gegen die damals Beschuldigten und Verurteilten — natürlich durchwegs Kommunisten intellektueller und jüdischer Schichten oder, laut Beschuldigung, nationalistisch-bourgeoiser Prägung. Dürftiges Schlußlicht all dieser Maßnahmen bildet eine gewisse Liberalisierung gegenüber der katholischen Kirche. Im Gegensatz aber zur Rehabilitierung einstiger kommunistischer Prominenz wurde im kirchlichen Bereich niemand rehabilitiert, bestenfalls begnadigt und aus der Haft entlassen.
und verurteilt worden waren und die ausnahmslos nicht rehabilitiert wurden und in den allermeisten Fällen nicht auf ihren früheren Wirkungsplatz zurückkehren konnten.
Liberalisierung auch auf wirtschaftlichem Gebiet dürftig
Unabhängig von der Liberalisierung auf politischem Gebiet, meist als „Entstalinisierung“ bezeichnet, erfolgte, aus der Not der Stunde heraus, seit drei Jahren eine gewisse Liberalisierung auf wirtschaftlichem Gebiet, die mit dem Namen von Prof. Šik verbunden ist. Aber auch die am Rande dieser Pläne sichtbar werdenden Bemühungen einer Reprivatisierung blieben in engen Grenzen: einmal von seiten der staatlichen Wirtschaftsverwaltung, die sie nur für wenige Gebiete freigab : Dienstleistungsbetriebe, wie
Elektriker, Wasser- und Gasinstallateure, ferner Trafiken, Taxiunternehmen, Privat- und Musikstunden.
Eine weitere Einengung wurde dadurch sichtbar, daß diese Privatisierung vor allem Pensionisten betreffen sollte oder Arbeiter nach ihrer Dienstzeit (also das, was man bei uns als „Pfusch“ bezeichnet).
Das zweite Hemmnis war, daß die Bevölkerung keineswegs begeistert zugriff, Sondern sich eher zurückhaltend und uninteressiert verhielt. Man sah bald ein, daß Verstaatlichen nicht leicht, Reprivatisieren aber noch schwerer ist.
Neben gewissen deutlichen Libe- ralsierungen auf dem Sektor Wohnung (sogar Eigenheim und Eigentumswohnungen), wobei der Grund immer Staatsgrund blieb, verharrte man vor allem auf dem Gebiet der Landwirtschaft völlig starr und dogmatisch und unterscheidet sich hier außerordentlich stark von Polen oder Ungarn. Das Hofland und die eine Kuh bilden den verbliebenen schmalen Privatsektor, von diem man keinen Schritt abgegangen ist.
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