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Prozeß der Zivilisten

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Mit einem aufsehenerregenden Urteil ging vor dem schweizerischen Bundesstrafgericht in Lausanne der Prozeß gegen die Mitarbeiter der Oerlikon-Bührle AG in Zürich zu Ende. Genau zwei Jahre nach der Aufdeckung der illegalen Waffentransporte der größten Rüstungsfirma der Schweiz wurde damit im Urteil des Lausanner Gerichts, dessen Strafen weit über die Anträge des Bundesanwalts hinausgingen, ein Zeichen gesetzt, das weit über den Augenblick hinausweist.

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Mit einem aufsehenerregenden Urteil ging vor dem schweizerischen Bundesstrafgericht in Lausanne der Prozeß gegen die Mitarbeiter der Oerlikon-Bührle AG in Zürich zu Ende. Genau zwei Jahre nach der Aufdeckung der illegalen Waffentransporte der größten Rüstungsfirma der Schweiz wurde damit im Urteil des Lausanner Gerichts, dessen Strafen weit über die Anträge des Bundesanwalts hinausgingen, ein Zeichen gesetzt, das weit über den Augenblick hinausweist.

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Zwei Delikte standen zur Debatte: Urkundenfälschung und Verstoß gegen die Verordnungen des sogenannten Kriegsmaterialbeschlusses vom 28. März 1949. Kriegsführende Länder werden auf Grund dieses Gesetzes fallweise mit einem Waffenembargo bedacht. Die leitenden Angestellten des Bührle-Konzerns haben es durch Fälschung von Papieren trotzdem verstanden, sowohl die gegnerischen Parteien im Vorderen Orient, als auch Südafrika, das seit 1963 unter Embargo stand, auf dem Umweg über Drittländer mit Waffen und Munition zu beliefern. Allein in den Jahren 1964 bis 1968 lag der Umsatz der Firma Bührle, die noch immer als Werkzeugmaschinenfabrik eingetragen ist, in der Waffenproduktion bei 1,7 Milliarden Franken. 18, 16 und 15 Monate müssen die Direktoren und Prokuristen des Unternehmens dafür, ohne Bewährungsfrist, ins Gefängnis, während dem Konzernherrn Bührle selbst bei einer Strafe von acht Monaten drei Jahre Bewährungsfrist zugebilligt wurden. Eine neue Rechtssprechung im Bereich der Waffenausfuhr, die einer Rechtssetzung sehr nahe kommt, ist damit vollzogen. So aufsehenerregend und folgenreich für einen wichtigen Wirtschaftssektor der Schweiz dieses Urteil ist, so bemerkenswert sind mindestens auch zwei weitere Tatbestände. Erstens: Während des ganzen Prozesses konnte keinem einzigen Beamten der Bundesbehörden ein Mitwissen oder gar Mittun nachgewiesen werden. Die Helfer saßen ausnahmslos nicht in der Schweiz und wurden, wie der ägyptische Ingenieur Kamil Sayed als Mittelsmann, mit fürstlichen Provisionen belohnt.

Zweitens: Das Gericht ließ sich nicht dazu herbei, über den Straftatbestand hinaus die Erzeugung und den Verkauf von Waffen überhaupt zu kritisieren. In Lausanne standen nicht Militaristen gegen Pazifisten, sondern Zivilisten, die — ob als Angeklagte, Kläger, Verteidiger oder Richter — sozusagen im Nebenberuf alle Offiziere der Schweizerischen Armee sind. Dieter Bührle, der Konzernherr, sogar im Rang eines Oberst.

Die in diesen Tagen viel beschworene schweizerische Neutralität beruht, was von manchen Kommentatoren geflissentlich übersehen wurde, auf einer eindrucksvollen militärischen Präsenz des gesamten 6-Millionen-Voikes. Waffen und Munition sind dem Schweizer selbstverständliche Attribute des täglichen Lebens und machen ihn doch nicht zum Militaristen. Er hat daher Verständnis dafür, daß andere Länder ebenso Waffen benötigen, wie die Schweiz z. B. ihre Militärflugzeuge im Ausland einkaufen muß. Private Initiative auch auf dem Rüstungssektor hat sich daher als ebenso nützlich erwiesen, wie in jedem anderen Wirtschaftszweig. Eine Volksindtiative im Jahr 1938, an der Schwelle des zweiten Weltkriegs, wollte die gesamte Rüstungsindustrie verstaatlichen — sie scheiterte in eklatanter Weise. Zwei Jahre hat jetzt wiederum ein Komitee Unterschriften für eine neue Volksinitiative gesammelt und mühsam 53.000 Unterschriften zusammengebracht — auch dieser Anlauf, der auf totales Verbot von Waffen und Munition zielt, wird scheitern. Die Schweizer wissen, daß gerade Entwicklungsländer ihren Bedarf lieber in einem neutralen Land, als bei einer der Weltmächte eindecken Das Lausanner Urteil, wie auch das neue Volksbegehren, werden aber mit Sicherheit dazu führen, daß Waffen aus der neutralen Schweiz in Zukunft auch nicht mehr auf Umwegen einer kriegsführenden Partei zugeschanzt werden können — die Bundesbehörden hatten seit der Aufdeckung des illegalen Transfers immerhin zwei Jahre Zeit, eigene Versäumnisse und nicht nur fremdes Verschulden zu bedenken. Sie werden aber auch in Zukunft nicht verhindern können, daß Waffen, die heute aus der Schweiz in nichtkriegsführende Länder geliefert werden, schon morgen auch benutzt werden. Eine weltweite Abrüstung wurde durch das Lausanner Urteil nicht präjudiziert — das nahe Genf mit seinen internationalen Stäben ist hiefür zuständiger.

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