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Staatsmann einer Zeitenwende

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Der Anteil des Außenministers Czernin an dem Todeskampf der österreichischen Monarchie war ein so wichtiger, daß man das Erscheinen seiner Biographie lebhaft begrüßen und ihr auch eine längere Rezension widmen darf. Die Hauptsache ist dem Autor gelungen: Der Leser bekommt ein genaues Bild von der Persönlichkeit Ottokar Czernins mit ihren Lichtseiten, der hohen Intelligenz und Uberredungsgabe, und mit ihren Schattenseiten, die auch professionelle waren; denn ein mißmutiger Diplomat erfüllt seinen Beruf nicht. Der große Konflikt in Czernins Leben wird durch seinen Charakter einleuchtend erklärt. Kaiser Karl war bezeichnet durch unbeschränkte Güte und ein durch nichts, durch gar nichts zu erschütterndes Gottvertrauen; welch einen Gehilfen fand er an einem Mann, dessen kraftvoller Charakter ganz entgegengesetzt war? — Die Lebensabschnitte Czernins vor seiner Ministerschaft schildert Singer angemessen: und sie erklären viel in seinem persönlichen und politischen Charakter. Der Leser sieht die Erziehung, welche aus dem in Vinaf angesessenen Czernin einen Deutschen macht; er sieht diesen als Vertreter des deutsch-böhmischen Elements in Konopischt (von der Gegenseite innerhalb dieses Kreises nennt Singer nur Heinrich Clam); er sieht den gewesenen „Ungarnfresser“ sich mehr und mehr an Tisza binden ...

Die anschauliche Darstellung trägt immerhin Spuren davon, daß der Autor nicht Historiker vom Fach ist. Der Literaturnachweis ist nicht sehr reichlich: Gern hätte man darin Czernins Zeitgenossen, Adalbert Sternberg und Ludwig Windisch-Graetz, angeführt gesehen — und sei es mit kritischer Ablehnung. Auch will es scheinen, daß bei dem Leser allzu viele Vorkenntnisse vorausgesetzt werden; zwar bringen Singers Anmerkungen biographische Daten, doch diese kürzesten Angaben sagen dem nach 1938 geborenen Leser nicht, was für Leute der jüngere Andrässy oder der alte Stränsky waren...

Der Höhepunkt des Buchs, die Peripetie in Czernins Leben, ist natürlich der Konflikt mit Kaiser Karl um den „Sixtus-Brief“. Singer gibt Czernin in merito recht, was hier unwidersprochen bleiben soll. Es ist anzuerkennen, daß er dabei nicht in den Tonfall gewisser deutscher Autoren verfällt Man erinnert sich, mit welchen Ausdrücken ein Ehrenmann wie Fürst Bülow Kaiser Karl traktiert; aber auch andere bezeichnen ihn nicht viel anders: „... vermis et non homo, opprobrium hominum et abjectio plebis.“ Nicht nur enthält sich Singer solcher Reden, er weiß von des Kaisers Güte, von seiner Liebe zu Ungarn zu erzählen. Dennoch will es scheinen, daß auch er bei der Beurteilung desselben zuweit gegangen ist. Auf Seite 80 bekommt der Leser den Eindruck, als wäre der junge Erzherzog ganz willenlos, ohne eigenes Zutun mit Prinzessin Zita verheiratet worden — dem war doch wohl notorisch nicht so. Und was den Konflikt mit Czernin betrifft: Falls der Kaiser seinem Minister die Wahrheit verhehlte, dann ist zu fragen, wieso dieser nicht sein Vertrauen hatte? Warum mußte der Kaiser seinen Minister fürchten?

Die Antwort ist zum Teil in einem, hier auf Seite 306 abgedruckten Dokument zu finden. Da erklärt ein k. u. k. General, der Kaiser habe „mit dem Feinde verhandelt, worauf bei gewöhnlichen Sterblichen bekanntermaßen die Todesstrafe steht“. So weit war also die Begriffsverwirrung gediehen, daß

man dem Reichsoberhaupt das Recht absprach, Friedensverhandlungen einzuleiten. Ja, wer war denn dann berechtigt, Österreichs Außenpoütik zu bestimmen? Man kann die Antwort erraten: der Oberkaiser, Wilhelm II. Dies war nun zwar durchaus nicht Czernins Meinung; dieser widersprach uneinsichtigen deutschen Stellen vielfach und ärgerte sie nicht wenig. Dennoch hing er von jenen Kräften ab, die das Bündnis mit Deutschland immer noch .ausgebaut und vertieft“ haben wollten ... Diese Zusammenhänge sind in Singers Buch klar genug dargestellt.

Eine wirkliche Lücke dagegen ist ihm dort vorzuwerfen, wo er von Czernins politischer Tätigkeit in der Republik Österreich spricht. Zwei Dinge hätte er darstellen müssen: die Gründe, die den Mann aus Vinaf dazu brachten, im Parlament von Kleinösterreich zu sitzen, und die Wirkung dieser Tätigkeit auf seine Standesgenossen. Sie war es, die manche vollends gegen ihn erbitterte.

Manche melancholische Betrachtung knüpft sich an Czernins Lebensgeschichte. So an die Worte, die er zu Dr. Stränsky sprach, als dieser den Sowjets das Wort redete. „Der Herr Delegierte befindet sich in einem Irrtum; seine Mitarbeit würde die Russen gar nicht freuen.“ Da hat Czernin recht behalten; Stränskys Sohn gehört zu der Prominenz des tschechoslowakischen Exils... Und mit einem Seufzer legen wir das interessante Buch beiseite.

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