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UNGARN UND DIE LINKS-INTELLEKTUELLEN

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Der Feind stand für sie immer rechts. Dafür gibt es historische und psychologische Gründe genug. „Links, wo das Herz ist“ wohnte die Sympathie für die betreffende Seite, die Linke, L-is weit hinüber zum „großen Bruder“ im Osten. Das war nach dem ersten Weltkrieg so und das war nach dem zweiten nicht anders. Nun ist hier, bei den Linksintellektuellen, zum ersten Male seit zehn Jahren, ein großer Erdrutsch eingetreten. Er ist am stärksten in Frankreich spürbar. Als erster trat Francois Mauriac aus der französisch-sowjetischen Freundschaftsgesellschaft aus. Ihm folgte Jean-Paul Sartre, Parteikommunist und so linientreu, daß er noch vor kurzem einem Wiener Theater die Aufführung eines seiner frühen Stücke verbieten wollte, weil es, während in Wien gerade, ein Friedenskongreß abgehalten wurde, zu peinlichen Konfrontierungen hätte kommeri können. Jean-Paul Sartre also erklärte:

„Nicht nur der Panzerangriff auf Budapest ist für mich das Verbrechen, sondern die Dinge, die das möglich und vielleicht — vom sowjetischen Standpunkt — nötig gemacht haben: zwölf Jahre der Dummheit und des Terrors ... Ich breche also meine Verbindungen mit meinen Freunden, den sowjetischen Schriftstellern, die das Massaker in Ungarn nicht verdammen oder nicht verdammen können, bedauernd, aber vollständig ab.“

Aehnliche Erklärungen haben extreme Linksintellektuelle in Italien (Moravia und Silone), in der Schweiz und in England abgegeben. In Oesterreich ist vor allem der PEN-Club in Bewegung geraten. Den ersten Schritt tat der bekannte Wiener Bildhauer Fritz Wotruba, der mit seinem Austritt drohte, falls der kommunistische Nationalrat Ernst Fischer weiterhin im Vorstand bleibt. Worauf Ernst Fischer sein Amt niederlegte und aus dem PEN-Club ausschied.

Dann trat der Vorstand zu einer Sitzung zusammen und beschloß, seine Mitglieder, und zwar jedes einzeln, auf Ja und Nein zu fragen, ob es sich zur PEN-Charta bekennt und die Niederwerfung des ungarischen Freiheitskampfes verurteilt. Wer diese Frage nicht oder negativ beantwortet, soll ausgeschlossen werden.

Wichtig erscheint auch ein in der unabhängigen linksgerichteten französischen Zeitung „Franc Tireur“ (bekannt und bewährt aus der Besetzungszeit) veröffentlichter Appell an die UNO, der, auszugsweise, folgenden Wortlaut hat:

„Die am Schluß namentlich angeführten europäischen Schriftsteller fordern die Vollversammlung der Vereinten Nationen auf, sich ohne Zeitverlust mit dem Völkermord zu befassen, dessen Opfer die ungarische Nation ist. Für den Fall, daß die Vereinten Nationen von ihrer Pflicht zurückweichen, verpflichten sich die Unterzeichneten, nicht nur die Organisation der UNO und ihre Kulturorganisationen zu boykottieren, sondern auch bei jeder Gelegenheit ihre Unfähigkeit und ihr Versagen öffentlich anzuprangern.“

Der von Albert C a m u > verfaßte Aufruf trägt die Namen von Jules Romain. Andr£ Breton, Andre M a u r o i s und Georges Duhamel.

Wie schwierig diese Umstellung ist, wie sehr noch in den alten Denkbahnen befangen manche dieser Intellektuellen sind, sieht man aus einer Botschaft, die Jean-Paul Sartre und Louis Aragon an den neuen ungarischen “Ministerpräsidenten Kadar gerichtet haben, der, wie man weiß, nur ein Instrument der fremden Herren im Land ist. Kadar also wird gebeten, das Leben und die Freiheit der ungarischen Schriftsteller und Intellektuellen zu schonen, gleichgültig, wie sich diese während des Aufstandes verhalten und wo sie gestanden haben — „da Schriftsteller und Intellektuelle die Trägerdermenschlichen Kultur sind“.

Nun, hoffentlich verstehen Kadar und seine Hintermänner diese Sprache. Vorderhand mußten die beiden Franzosen sien von ihren eigenen Landsleuten sagen lassen, daß anscheinend nach Auffassung französischer Intellektueller „faschistische“ Bauern und Arbeiter in Llngrrn ruhig verfolgt werden dürften ...

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