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Werkzeug der Stalinisten
Weich eine Überraschung: Am 15. August dieses Jahres erließ derselbe Verteidigungsminister Martin Dzur, der einst mit Herz und Seele an der Seite der Reformer stand und deswegen sowjetischerseits malträtiert wurde, einen Tagesbefehl, in dem er betonte, daß die Volksarmee nicht nur ein Instrument der Verteidigung der Grenzen gegen auswärtige Feinde sei, sondern auch ein Werkzeug des Klassenkampfes, dessen Aufgabe der Schutz des „sozialistischen Systems gegen feindliche einheimische Kräfte” sei… Ein erstaunlich langer Weg, der von manchen Generälen in so kurzer Zeit auf dem holprigen Terrain der Parteiideologie gemeistert wurde. Am Jahrestag der Okkupation der CSSR spielte die Volksarmee wortlos die Rolle, die eine Aufgabe der Besatzungsmacht gewesen wäre.
Der Zentralkomiteesekretär Josef Kempny gab in der „Revue” zu, daß die politische Krise im vergangenen Jahr auch die Reihen der Armee durchgewühlt hat, mit der Konsequenz, daß „die Armee das Klassenbewußtsein verlor”. Kempny zitierte den Fall der Prager „Kle- ment-Gcrttwald-Militärpolitischen- Akademie” (die kürzlich aufgelöst wurde), wo 30 Erziieher unfähig waren, zwischen Sozialismus und Kapitalismus zu unterscheiden. Kurzum: die Lehrer der zukünftigen Politoffiziere sympathisierten mit der Reformbewegung Dubfeks. Kempmy forderte die Wiederherstellung des Klassencharakters der Armee, damit sie vorbereitet wer den kann, „die Volksinteressen gegen Subversion zu verteidigen”. Der 21. August sollte als Generalprobe angesehen werden.
Soldatischer Antisowjetismus
Eine Umfrage unter den Dienstpflichtigen, deren Resultat in der „Tribūna” veröffentlicht wurde, ergab, daß 53 Prozent der Soldaten gar kein oder nur-geringes Interesse für innenpolitische Probleme bekundeten; 75 Prozent äußerten sich gegen eine Wiederaufnahme und Stärkung der freundlichen Beziehungen zur Sowjetunion; 81 Prozent bezweifelten die Notwendigkeit der Intensivierung der Beziehungen zwischen dem sowjetischen und dem tschechoslowakischen Volk und 56 Prozent konnten keine Angriffsgefalhr seitens der NATO oder der Bundesrepublik entdecken.
Die Neodogmatiker waren daher eifrig bemüht, die Gleichschaltung der Volksarmee mit allen Kräften voranzutreiben. Ein beredtes Beispiel war dafür der Beitrag des höchsten A rm eepal itkommissa rs.
Generalleutnant Frantisek Bedrich, der bei der Truppe mit dem Spitznamen „Mephisto” charakterisiert wird und der an der Spitze der Armee-Hauptpolitischen Adminetra- tion thront. Der exponierte prosowjetische General forderte mehr politische Indoktrination in der Volksarmee und eine „reine Klassenmethode in der Kaderpottitik”. Was er darunter praktisch verstand, bewies die Ernennung des prosowjetischen Generalmajors Martin Korbela zum höchsten Personaloffizier im Verteidigungsministerium, der bisher als „Verbindungsoffizier” der Husäk- Regierung zum Besatzumgsoberkom- mando fungierte. Der neue Verbindungsoffizier ist der Armeegeneral Otakar Rytir, der Novotnys Generalstabschef war und als „harte Panzerfaust der Sowjets in der CSSR” seinerzeit apostrophiert wurde. Rytir wollte, wie erinnerlich, einen Militärputsch zu Schutz und Rettung des prosowjetischen „Hardliner-Regimes” in die Szene setzen. Im März-April 1968 assistierte Rytir am lebhaftesten dem sowjetischen Verteidigungsminister Getschko und dem Stellvertretenden Außenminister Semjonow, die in Prag die Unterwerfung der progressiven Führerschaft forderten.
Die Sowjetmilitärs halten nicht viel vom Gerede, sie sind eher für „praktische Maßmaihmen”. Deshalb wurde der Gleichschaltungsspeaialist und Chef der Höchsten Politischen Administration der Armee und Marine, General Alexej Jepischew, mit einer Delegation von Experten nach Prag entsandt. General Martin Dzur und der Chefpolitoffizier, General Frantisek Bedrich, waren gezwungen, die „herzlichen kameradschaftlichen Einladungen” zu unterzeichnen. Der Staatssekretär des Verteidigungsministeriums, General Vaclav Dvorak, muß für das leibliche Wohl und die ungehinderte Arbeit der vornehmen Gäste Sorge tragen. Ob durchsichtige Propaganda, Säuberung und Einschüchterung die besten Mittel zur „Hebung der Moral der tschechoslowakischen Volksarmee” sind, wird erst die Zukunft beweisen. Zweifellos konnte sie anläßlich des ersten Jahrestages der Okkupation als ein Werkzeug der „Stalinisten mit menschlichem Gesicht” mißbraucht werden.
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