6596178-1953_08_06.jpg
Digital In Arbeit

Zwei getrennte Probleme

Werbung
Werbung
Werbung

Zwei grundverschiedene Phänomene, Emigration und Marxismus in den USA, die von flüchtigen ausländischen Beobachtern gerne vermengt werden, seien hier einmal einer kurzen Analyse unterzogen, damit Fehlschlüsse vermieden werden, i

Schon bei der Bestimmung des bloßen Begriffes „Oesterreichische Emigration in Amerika“, ergeben sich Schwierigkeiten. Emigranten sind Menschen, die aus meist politischen Anlässen ihre Heimat verlassen mußten und nicht mehr zurückkehren können. Emigranten in diesem Sinn sind daher beispielsweise die Ungarn, Tschechen, Polen oder Weißrussen. Im Falle Oesterreich ist es anders. Die einzigen österreichischen Emigranten im strengsten Sinne des Wortes sind heute nur noch die wenigen Angehörigen des Erzhauses, denen noch gültig« österreichische Gesetze die Rückkehr in die Heimat verwehren. Die übrigen Oesterreicher in den Vereinigten Staaten sind — durch freien Entschluß — bereits amerikanische Staatsbürger, wenn sie auch, wie die Oesterreich-Flüchtlinge von 1938 zum Teil, nur um das nackte Leben zu retten, in die USA eingewandert sind. Die meisten Oesterreicher denken gar nicht daran, die amerikanische Staatsbürgerschaft aufzugeben und in die alte Heimat zurückzukehren. Das muß festgehalten werden, weil der Entschluß, in den Staaten zu bleiben, eine jener vielen psychologischen Komponenten ist, welche di Mentalität einiger Gruppen Ex-Oesterreicher beeinflussen.

Es ist daher am ehesten zu empfehlen, die in den Staaten gebräuchliche Bezeichnung der „muiority“, der Minderheir, auch auf die Ex-Ocsterreicher anzuwenden. So wie es beispielsweise eine italienische, polnische oder griechische Minderheit gibt, ist eben auch eine österreichische da.

Die älteste Gruppe dieser österreichischen „minority“ ist unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg freiwillig aus Oesterreich nach den USA ausgewandert. Sie stammten meist aus den Bundesländern Kärnten, Steiermark und Burgenland oder aus den deutschsprachigen Gegenden der ehemaligen Monarchie, wie der Batschka, dem Banat oder Galizien. Die meisten von ihnen haben sich in Chikago, manche in Cincinnati oder in bestimmten Straßenzügen New Yorks, in unmittelbarer Nähe des New-Yorker Deutschenviertels York Town, angesiedelt. Es waren die^-Menschen, die die Enge des Raumes und die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse nach einem Werte zerstörenden Weltkrieg übers Meer trieben. Dort, im Mittelwesten Amerikas, fanden sie neue Existenz und neue Heimat. Sie haben es wirtschaftlich zu einigem Wohlstand gebracht. Man darf sie, Gewerbetreibende oder kleinere Kaufleaite, soziologisch zu den wirtschaftlich gesicherten Kleinbürgern zählen. Manche von ihnen haben es insbesondere in der demokratischen Aera bis zu mittleren Positionen in der Stadtverwaltung oder in der lokalen Politik Chikagos gebracht. Auf diese Gruppe Oesterrejcher trifft der Charakter der Minderheit besonders zu, da zumeist die erste Generation Sitte und Brauchtum der alten Heimat pflegt. Zahlreiche Vereine, besonders in Chikago, kultivieren österreichische Lieder, Tänze und Musik. Daneben stellen sie soziale Unterstützungsvereine dar, deren Leistungen in Zeiten, da es noch keine sozialen Einrichtungen in Amerika gab, vor Katastrophen (Krankheit und Todesfälle) schützten.

Diese Gruppe der österreichischen Minderheit steht der alten Heimat sympathisch, ohne Kritizismus gegenüber. Es droht ihr allerdings die Gefahr, mit der Zeit in der deutschen Minderheit aufzugehen, die durch, ihre Vertretungsbehörden einen äußerst aktiven Betreuungsdienst für alle deutschsprechenden Einwanderer entwickelt. Sie zeigt anderseits die Tendenz, amerikanisiert zu werden, weil ihre.in den USA geborenen Kinder vielfach schon nicht mehr deutsch sprechen. Gelegentliche Besuche österreichischer Politiker, die auf Studienreisen durch Chikago kommen und mit diesen Gruppen Kontakt nehmen, können allein den Untergang dieser Minderheiten nicht aufhalten. Die deutschen Vertretungsbehörden überschwemmen die Klubs und Vereinigungen mit westdeutschen Publikationen, dem die schwache österreichische Vertretung in Chikago nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hat.

So bedeutend diese Gruppe aber auch zahlenmäßig ist — man beziffert sie auf etwa 50.000 bis 60.000 —, so hoch ihre positive Einstellung zu Oesterreich auch zu werten ist, so spielt sie doch im schwierigen Fragenkomplex der österreichischen Emigration eine untergeordnete Rolle. Wie alle Minderheiten ist auch sie isoliert und steht mit jenen Oesterreichern, die zwischen 1934 und dem zweiten Weltkrieg auswanderten, in keinerlei Kontakt. Das mag auch darin begründet sein, daß der Siedlungsschwerpunkt dieser „Alt-Oesterreicher“, wie sie oft genannt werden, in Chikago liegt, während sich die meisten später emigrierten Oesterreicher in New York niedergelassen haben.

Dieser Gruppe von österreichischen Auswanderern folgten jene politischen Emigranten intellektueljer Prägung, die 1934 Oesterreich verließen. Die Gruppe ist zahlenmäßig klein. Sie begab sich auch nicht unmittelbar nach den Februarercignissen des Jahres 1934 nach den Staaten, ihr Weg wurde vielmehr verschiedentlich, darunter auch in Spanien, unterbrochen. Man kann daher den Zeitpunkt ihres Eintreffens in den USA nicht genau feststellen. Wesentlich ist aber, daß sie zum Teil bereits vor der großen Masse jener Oesterreicher, die nach dem Anschluß vor dem Nationalsozialismus flüchtete, in den Staaten ansässig waren. Es waren sozialistische Politiker, Journalisten und andere Intellektuelle, meist von der radikaleren sozialistischen Richtung, die drüben sogleich den Weg zu den gerade aufkommenden Wortführern des New Deal und zu den Rooseveltschen Planwirtschaftlern fanden. Ihnen ist insbesondere die Störung der anfänglich sehr herzlichen Beziehungen zwischen Roosevelt und der rechtsgerichteten Gruppe der österreichischen Emigration zuzuschreiben. Angehörige dieser Gruppe fanden Verwendung im State Departement oder in anderen Positionen der amerikanischen Administrative. Sie waren es schließlich auch, die mit einer einzigartigen Beugung der geschichtlichen Tatsachen de facto die österreichische Geschichte des amerikanischen Historikers G u 11 i c k schrieben, der dann dem „Werk“ seinen Namen lieh. Naive sollten glauben, es stamme von einem unbefangenen amerikanischen Historiker. Will man diese Gruppe um Ellenbogen und Federn politisch einordnen, so kam; man sie nur dem Bereich des internationalen Sozialismus zusprechen, der sich in jener Zeit mit dem Kommpnismus zur Volksfront zusammengefunden hatte.

Dagegen war der Großteil der von den Nürnberger Gesetzen betroffenen Oesterreicher, die sich nach dem Anschluß in die USA retten konnten, im Grunde unpolitisch. Es waren Bürgerlich-Liberale aus begüterten Kreisen — die Armen fanden ja nur selten den ungeheuer schwierigen und kostspieligen Weg ins Ausland. Manche von ihnen' hatten in vorderster Reihe unter dem letzten österreichischen Kanzler gegen die NS-Bcdrohung gekämpft oder diesen Kampf unterstützt. Sie waren alles, nur keine Marxisten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung