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Die osterreicher im Ausland

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Im alten Oesterreich war die Auswanderung ein Problem der nichtdeutschen Völker; das Gebiet der heutigen Republik Oesterreich mit dem großen Menschenbedarf seiner hochentwickelten Wirtschaft und seiner niedrigen Geburtenziffer war ein Auffangbecken für Teile des Bevölkerungsüberschusses der anderen Völker. Die Zerreißung des organisch gewachsenen Wirtschaftsgebietes der alten Monarchie, die Verluste und Zerstörungen zweier Weltkriege haben diesen Zustand gründlich geändert. Die Enge der Heimat hat viele Oesterreicher (im neuen, auf das jetzige Gebiet eingeschränkten Sinn) gezwungen, die Heimat zu verlassen und ihr Glück in der Fremde zu suchen. Dadurch ist das Problem der Oesterreicher im Ausland ganz aktuell geworden. Der Verfasser ist daher der Einladung des Weltbundes der Oesterreicher im Ausland, bei seiner im vergangenen Dezember in Wien abgehaltenen Hauptversammlung ein Referat, über den Gegenstand zu erstatten, gerne nachgekommen. Dieses Referat liegt jetzt in erweiterter Fassung vor1.

Es war eine mühevolle, langwierige Arbeit, das Material zu sammeln. Der Hauptteil der statistischen Arbeiten mußte den Volkszählungen oder selbständigen Ausländerzählungen der ausländischen Staaten entnommen werden; dabei hat der Verfasser bei den ihm durch seine langjährige Mitgliedschaft im Internationalen Statistischen Institut meist persönlich bekannten und befreundeten Leitern der statistischen Aem-ter weitgehende, verständnisvolle Hilfe erfahren. Die wichtigsten Angaben über die Anzahl, Geschlechts-, Alters-, Familienstands- und Berufsgliederung der Auslandsösterreicher, ihre Zuwanderung in die Auslandsstaaten und das Ausmaß ihrer Einbürgerung wurden auf diese Weise verschafft. Das Material ist allerdings ungleichartig, weil die Frage des „ob?“ und „was?“ der Aufarbeitung von der Bedeutung abhing, die der Auslandsstaat dem Auslandsösterreichertum beimaß. Die Volkszählungen haben meist in den Jahren um 1950 stattgefunden, ihre Zahlen sind daher im Hinblick auf die weiter andauernde Auswanderung aus Oesterreich zumeist Mindestzahlen.

Daneben hat im Herbst 1954 eine Umfrage des Bundeskanzleramtes, Auswärtige Angelegenheiten, bei den österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland wertvolle Ergänzungen zu dem ersteren Material beigebracht. Auch diese Zahlen konnten naturgemäß nicht vollständig sein, da die Vertretungsbehörden nur diejenigen Auslandsösterreicher zur Kenntnis bekommen, die sie in Paßangelegenheiten aufsuchen („Paßösterreicher“). Für die freundliche Ueber-lassung der Benützung- dieses Materials und für die Förderung der Herausgabe dieser Arbeit sei hier Herrn Minister Dr. L e i t n e r, jetzt österreichischer Gesandter in Tokio, vormaliger Leiter der zuständigen Abteilung im Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten, mein herzlichster Dank ausgesprochen.

Einige Ergänzungen dieser beiden Materialien konnten auch einem Bericht des Weltbundes der Oesterreicher im Ausland entnommen werden,

1 Die Oesterreicher im Ausland. Im Einvernehmen mit dem Weltbund der Oesterreicher im Ausland und mit Unterstützung des Bundeskanzleramtes, Auswärtige Angelegenheiten. Im Selbstverlag des Statistischen Jnstituts der Universität Wien (I., Rathaus-strafie 19). Mit einem Anhang über die Vereine von Oesterreichern und Freunden Oesterreichs im Ausland. 32 Seiten. Wien 1955. Preis 10 S.

den dieser der oben erwähnten Hauptversammlung vorgelegt hat.

Für Sowjetrußland und einige weniger bedeutende Staaten fehlen die Angaben vollständig. Aus allen diesen Gründen ist die von uns ermittelte Zahl von 197.000 derzeit noch in der österreichischen Staatsbürgerschaft stehenden Auslandsösterreichern und von 379.000 jetzigen und früheren Oesterreichern (im oben erklärten engeren Sinn) zu niedrig. Wir haben die beiden Zahlen durch Schätzung auf 250.000 und 450.000 erhöht. In den Zergliederungen der Zahlen nach Gebieten und Merkmalen müssen wir uns allerdings an die von uns festgestellten Minimalzahlen halten.

Der Hauptteil der im Ausland lebenden österreichischen Staatsbürger entfällt naturgemäß auf Europa, 132.000 +? oder 67,0 Prozent. Es folgte Amerika mit 57.000 +? oder 28,9 Prozent. Die entsprechenden Zahlen der jetzigen und früheren österreichischen Staatsbürger (im engeren Sinn) waren: Europa 201.000 +? und Amerika 147.000 +?.

In Europa war es naturgemäß die Deutsche Bundesrepublik, die mit 55.000 österreichischen Staatsbürgern die größte Zahl von österreichischen Staatsbürgern aufwies. Es gesellte sich hierzu noch West-Berlin mit 3500 und die Deutsche Demokratische Republik mit 15.000 österreichischen Staatsbürgern, insgesamt also auf dem Gebiete dieser drei Teile Deutschlands 73.500 österreichische Staatsbürger. Es folgte die Schweiz mit 35.000, Großbritannien mit 10.500, die Tschechoslowakei mit 5000, Frankreich mit 5000, Italien mit 4700 und andere europäische Staaten mit geringeren Zahlen österreichischer Staatsbürger.

Entgegen früheren Zeiten, in denen das männliche Geschlecht bei der Auswanderung überwog, hat jetzt das weibliche die Oberhand, was sich aus den die Einwanderung auf gewisse meist weibliche Berufe beschränkenden Einwanderungsbestimmungen der verschiedenen Länder erklärt. So waren von den österreichischen Staatsbürgern in der Schweiz 75 Prozent, in Gr o ß b r i t a n-n i e n 84 Prozent weiblichen Geschlechts. (Für Deutschland fehlen leider die entsprechenden Angaben). Beim weiblichen Geschlecht finden wir unter den Berufen den Beruf „Hauswirtschaft“ besonders stark vertreten. 69 Prozent der weiblichen österreichischen Staatsbürger in der Schweiz standen in der Hauswirtschaft, dazu noch 14 Prozent im Gastgewerbe, so daß für andere weibliche Beschäftigungen nur niedrige Anteile übrigblieben.

36.000 österreichische Staatsbürger wurden im Jahre 1952 in den Vereinigten Staa-. ten gezählt; die Schätzung der gesamten Zahl der jetzigen und früheren Oesterreicher (im engeren Sinn) führte auf eine Zahl von 104.000 Personen. Die vom US Census Bureau ermittelte Zahl von 410.000 in Oesterreich geborenen Personen ist ohne Zweifel für die vor 1919 Geborenen auf das Gebiet des jjten Oesterreich bezogen, daher, wenn wir die auf dem Boden der heutigen Republik Geborenen im Auge haben, viel zu hoch. Die obige Schätzung der Gesamtzahl der heutigen und früheren Oesterreicher ist durch eine mühsame Berechung auf Grund der österreichischen Auswanderungszahlen und einer Analogie mit den ähnlichen Verhältnissen in Kanada ermittelt worden. In einer ähnlichen kritischen Weise mußte auf Schritt und Tritt vorgegangen werden, um die nach Begriff und Methode so ungleichartigen Ergebnisse der Zählungen in den verschiedenen Staaten auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und vergleichbar zu machen.

Der Hauptteil der OesterreLcher in den Vereinigten Staaten dürfte in New York und Wash i n g t o n wohnen, doch konnten wegen der Weite des Gebietes und der großen Zahl der Fälle nähere Angaben über die örtliche Verteilung des Oesterreichertums in den Vereinigten Staaten im allgemeinen nicht gegeben werden.

Es folgten nach der Zahl der österreichischen Staatsbürger Brasilien mit 12.000 +?, Kanada mit 4000+?, Argentinien mit 2000 -f-? und weitere amerikanische Staaten mit geringeren Zahlen, die allerdings im Hinblick darauf, daß Südamerika ein bevorzugtes Zuwanderungsland geworden ist, bis zum heutigen Tag eine Erhöhung ei fahren haben mögen.

In Asien weist Israel die größte Zahl Oesferreicher auf. Im Jahre 1948 wurden 11.000 in Oesterreich (auch Altösterreich?) geborene Personen dort gezählt, bei der Volkszählung von 1952 wurden 3000 österreichische Staatsbürger ermittelt. Die Schätzung des österreichischen Konsulates in Tel-Aviv für 1954 gibt 20.000 jetzige und frühere österreichische Staatsbürger an. Es wurde mitgeteilt, daß unter diesen die Mehrzahl sich um die Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft bemühen würde, wenn die doppelte Staatsbürgerschaft möglich wäre.

Angesichts der verhältnismäßg leichten Erwerbung der fremden Staatsbürgerschaft in vielen Staaten ist die Zahl der früheren Oesterreicher fast ebenso groß wie die der derzeitigen österreichischen Staatsbürger. Nähere Angaben über ihre Zahl und den Gang der Einbürgerungen in den Gaststaaten finden sich, soweit sie erhältlich waren, in den Tabellen der Schrift.

Das äußere Schicksal der Auslandsösterreicher ist sehr verschieden. Während aus einzelnen englischen Dominien und südamerikanischen Staaten über eine Lebenshaltung der dortigen Oesterreicher berichtet wird, die sich im Durchschnitt hoch über derjenigen der Heimat hält, finden wir aus Kanada die Mitteilung, daß sich unter den Einwanderern viele leichtfertige Elemente befinden, die ohne einen gesicherten Arbeitsplatz einwandern und vielfach dem Elend verfallen. Auch in den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang ist das äußere Schicksal der Oesterreicher nicht besonders günstig. Die jüngeren, tatkräftigen Menschen sind zumeist nach Oesterreich zurückgewandert, geblieben sind ältere, kränkliche Leute mit einem geringen Einkommen und einer niedrigen Lebenshaltung.

Es war auf diesem beschränkten Raum nicht möglich, mehr Einzelheiten zu bringen. Der interessierte Leser wird nach der Broschüre greifen. Er wird dann finden, daß Statistik keinesfalls trocken ist — wenigstens nicht für den, den das Thema angeht — und welchen österreichischen Patrioten sollte das Schicksal unserer Leute im Ausland nicht angehen?

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