Gabriele Hintermayer - MOKI - © Foto: MOKI-Wien

Eine Kinderkrankenpflegerin im Porträt: "In seiner Sterbesekunde war ich da"

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Gabriele Hintermayer begleitet als Mitgründerin von MOKI-Wien schwerkranke Kinder und deren Familien. Porträt einer Pionierin der Kinder-Hauskrankenpflege – und einer Expertin für Empathie.

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Gabriele Hintermayer begleitet als Mitgründerin von MOKI-Wien schwerkranke Kinder und deren Familien. Porträt einer Pionierin der Kinder-Hauskrankenpflege – und einer Expertin für Empathie.

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Peter ist gerade einmal drei Jahre alt – und unheilbar an Krebs erkrankt. Die letzten Tage oder Wochen seines viel zu kurzen Lebens soll er nicht im Spital, sondern zu Hause in seiner vertrauten Umgebung verbringen können. Die medizinischen Rahmenbedingungen sind geschaffen, für seine pflegerische Betreuung sorgt Kinderkrankenpflegerin Gabriele Hintermayer. Peter hat einen Tumor, der mit hoher Schmerzempfindlichkeit bei Berührungen aller Art einhergeht. Sein Standardsatz lautet: „Geh weg, schau mich nicht an, greif mich nicht an.“ Er akzeptiert, dass gewisse Tätigkeiten erledigt werden müssen, wie zum Beispiel das An- und Abhängen von Infusionen, aber ansonsten verschließt er sich jeder Form von körperlicher Nähe. Seine Mutter ist Alleinerzieherin und hilft behutsam bei der Pflege mit. Sie weiß um die Zerbrechlichkeit des Lebens ihres Sohnes – und dass jeder einzelne Tag unendlich kostbar ist.

Erinnerung aus der Kindheit

Für Peters Palliativbetreuung sorgt mit Gabriele Hintermayer jene Frau, die wesentlichen Anteil daran hat, dass Ende der 1990er Jahre mobile Kinderhauskrankenpflege in Wien überhaupt erst möglich wurde. Sich um Kinder zu kümmern, scheint der heute 59-jährigen, groß gewachsenen und charismatischen Wienerin in die Wiege gelegt worden zu sein. Bereits als achtjähriges Mädchen hilft sie als Babysitterin im elterlichen Freundeskreis – und ist fest entschlossen, beruflich einmal mit Kindern zu arbeiten. Ihr erster Berufswunsch ist somit vorprogrammiert: Sie will Kindergärtnerin werden. Da dies zur damaligen Zeit allerdings mit der Voraussetzung verbunden ist, ein Instrument spielen und singen zu können, muss sie gedanklich umdisponieren und beginnt 1980 die Ausbildung zur Kinderkrankenpflegerin.

Während Gabriele Hintermayer von den Anfängen ihrer Berufslaufbahn erzählt, kommt eine Erinnerung aus ihrer Kindheit hoch: „Meine erste Erfahrung mit Pflege war eigentlich sehr negativ“, erzählt sie. „Ich bin nach einer Blindarm-Operation im Preyer’schen Kinderspital gelegen. Besuchszeit war nur einmal in der Woche – am Sonntag für zwei Stunden. Als meine Eltern kamen und ich ihnen freudestrahlend erzählte, dass ich wie geplant nach zehn Tagen wieder nach Hause darf, sagte eine der geistlichen Krankenschwestern plötzlich: ,Sicher nicht! Du musst mindestens noch drei Wochen hier bleiben!‘ Mein Schock darüber war so groß, dass meine Eltern die ganze Besuchszeit über Mühe hatten, mich aus diesem Tief herauszuholen.“

Warum diese Schwester so agierte und bewusst Angst verbreitete, ist Hintermayer bis heute ein Rätsel. Schließlich durfte sie damals – wie geplant – nach zehn Tagen wieder das Spital verlassen. Dennoch hat dieses Erlebnis dazu geführt, dass Empathie und Einfühlungsvermögen für sie selbst während ihrer Ausbildung zur Kinderkrankenpflegerin zentral wurden.

Alternative zum „Drehtüreffekt“

Im Preyer‘schen Kinderspital, dem Ort ihres einstigen traumatischen Erlebnisses, startet sie schließlich ihre eigene Berufslaufbahn. Zunächst arbeitet sie auf der Kleinkinderstation, später zehn Jahre lang auf der Frühgeborenenstation. Tagtäglich beobachtet sie, dass chronisch kranke Kinder und Frühchen eigentlich früher entlassen werden könnten, wenn die Familie zu Hause professionell begleitet werden würde. Auch der sogenannte „Drehtüreffekt“ würde sich reduzieren lassen, ist sie überzeugt: Viele Eltern fühlen sich nach der Spitalsentlassung ihrer Kinder mit der alleinigen Verantwortung überfordert, suchen wieder im Krankenhaus um Rat und Hilfe, die Kinder werden abermals aufgenommen – bis die „Drehtüre“ wieder in Richtung „Entlassung“ weist. Dieser für alle Beteiligten belastenden Situation will Gabriele Hintermayer mit ihren Vorstellungen einer häuslichen Kinderkrankenbetreuung eine konstruktive Alternative entgegensetzen.

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