Pflegerin - Emilia Temian (62) mit ihrer 94-jährigen Klientin, Frau Elisabeth, in deren Wohnung in Wien Ottakring. Über die gemeinsame Zeit sagen sie: „Es sind für beide Seiten gute Jahre.“ - © Foto: Christine Dobretsberger

24-Stunden-Betreuung: "Zuwendung kann den Menschen verändern"

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Ihre Arbeit als 24-Stunden-Betreuerin hat die Rumänin Emilia Temian über Israel nach Wien geführt. Trotz Belastungen und Distanz zu ihrer Familie hält sie bis heute daran fest. Ein Porträt.

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Ihre Arbeit als 24-Stunden-Betreuerin hat die Rumänin Emilia Temian über Israel nach Wien geführt. Trotz Belastungen und Distanz zu ihrer Familie hält sie bis heute daran fest. Ein Porträt.

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Emilia Temian kocht, ihre 94-jährige Klientin, Frau Elisabeth, sitzt bei ihr in der Küche. Aus dem Lautsprecher dringt ein Deutsch-Rumänisch-Kurs auf YouTube: Die beiden haben Emilias Deutsch-Aufbesserungen längst zum Ritual gemacht.

Seit fast drei Jahren betreut die heute 62-jährige gebürtige Rumänin ihre Klientin – im Wechsel mit einer ebenfalls rumänischen Kollegin. Und es waren für beide Seiten drei gute Jahre, sagt Frau Elisabeth in ihrer Wohnung in Wien Ottakring: „Emilia ist ein besonderer Mensch, man spürt, dass sie ihre Arbeit mit Liebe macht.“

Es ist eine Wendung in Emilia Temians eigenem Leben, die sie zu dieser Arbeit führt – und über viele andere Stationen letztlich auch nach Wien. Temian ist Anfang 40 und lebt mit ihrer Familie in Satu Mare, einer Großstadt im Nordwesten Rumäniens, nahe der ungarischen Grenze, als ein Buch über Jesus in ihr den Wunsch auslöst, Israel kennenzulernen. Zudem will sie sich beruflich verändern. Die Dauerbelastung in ihrem bisherigen Job hat sie an ihre körperlichen Grenzen gebracht – und nach einem dreimonatigen Krankenstand reicht sie schließlich die Kündigung ein.

20 Jahre lang war sie Abteilungsleiterin in einer Firma, die Schutzausrüstungen für Bergleute herstellt. Die Arbeiter waren vorwiegend ungarischer Herkunft und entweder körperlich behindert oder schwer krank. „Es war eine ungemein stressige Arbeit. Ich trug in organisatorischer Hinsicht die Verantwortung, dass alle Vorgaben der Firma termingerecht erfüllt werden – und wollte auf der anderen Seite Rücksicht auf die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Arbeiter nehmen“, erzählt Emilia Temian. Das sei nicht leicht gewesen. Zugleich habe sie viel gelernt im Umgang mit Menschen, die gesundheitlich zu kämpfen haben.

Mutige Entscheidung

Bald nach der Kündigung erfährt sie durch Zufall, dass ein in Israel lebendes, rumänischstämmiges Ehepaar eine 24-Stunden-Betreuerin sucht. Sie zögert nicht lange und ergreift diese Chance. Ihre eigene Familie reagiert darauf freilich mit Unverständnis. „Sie fragten mich, ob ich verrückt geworden sei“, erinnert sich Emilia. Natürlich fällt ihr damals der Abschied schwer, speziell von ihrer zu dieser Zeit 19-jährigen Tochter. Andererseits kann sie ihr nur durch ihr neues Gehalt ein Studium ermöglichen. Ein Wunsch, den sie mit tausenden anderen osteuropäischen 24-Stunden-Betreuerinnen teilt: Man nimmt die räumliche Distanz in Kauf, um für die Familie eine bessere Existenzgrundlage zu schaffen.

Doch ob hier oder dort – überall sind die Frauen mit Vorwürfen konfrontiert: Zuhause gelten sie als „Abtrünnige“, die ihre Angehörigen im Stich lassen, insbesondere wenn es sich um Mütter mit kleineren Kindern handelt. Und in den Ländern, in denen sie arbeiten, bleiben sie meist isoliert und haben mit dem gängigen Repertoire an Vorurteilen zu kämpfen, das „Ausländern“ oft entgegengebracht wird.

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