„Gemeinsamen Wertekanon finden“

Werbung
Werbung
Werbung

Welche Konsequenzen hat das Werteverständnis der heimischen Betriebe in der Wirtschaftskrise? Eine Expertenrunde diskutierte den Unternehmensalltag im Spannungsfeld zwischen Verantwortung und Freiheit.

Es ist das Bekenntnis zu Werten und Tradition sowie das gesellschaftliche Engagement, das den österreichischen Unternehmen in der Wirtschaftskrise zugute kommt: Einigkeit herrschte vergangene Woche bei den Teilnehmern einer Diskussion zum Thema: Unternehmen im Spannungsfeld von Freiheit und Verantwortung. Braucht Österreichs Wirtschaft neue Werte? „Bei den heimischen Betrieben ist die Frage des Miteinanders und der Verantwortlichkeit gegenüber einer Region, gegenüber Mitarbeitern stark ausgeprägt“, sagte Sozialminister Rudolf Hundstorfer.

Diese Einschätzung spiegelt auch die Studie „Neues Vertrauen für die Wirtschaft. Verantwortungsbewusstes Unternehmertum als Antwort auf die Krise (2009)“ wieder. Die Agentur Pleon Publico hatte diese in Zusammenarbeit mit dem METIS Institut für ökonomische und politische Forschung durchgeführt. „Gesellschaftspolitisches Engagement scheint in österreichischen Unternehmen fast genetisch verankert zu sein“, fasste Studienleiter Harald Mahrer zusammen. „Zu Beginn der Untersuchung, die zufälligerweise genau den Zeitraum des Aufkeimens der großen Krise umfasst, haben sich fast alle Unternehmen von einem zutiefst verantwortungslosen Management abgegrenzt“, so Mahrer.

Auffallend in dieser Studie ist auch das Bekenntnis der insgesamt 438 befragten Unternehmen zum gesellschaftspolitischen Engagement: Rund 94 Prozent der befragten Unternehmen nehmen diese Verantwortung in unterschiedlichster Form wahr, etwa durch Sach- und Geldspenden sowie durch Freistellung von Mitarbeitern für Freiwilligenarbeit. Drei von vier befragten Unternehmensvertretern sind auch der Überzeugung, dass die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung zu den Prioritäten eines Unternehmens zählen sollte. Mit diesem hohen Wert liegt unser Land beinahe gleichauf mit den USA und deutlich vor Deutschland (60,6 Prozent), wo in ähnlichen Studien ebenfalls Daten erhoben wurden.

Lange Tradition

„Österreich ist ein Land, in dem eine hohe soziale Kompetenz herrscht, wo der soziale Friede sehr hoch geschätzt wird. Das trägt dazu bei, dass wir in Krisensituationen gut aufgestellt sind“, sagte Christian Friesl, Leiter des Bereiches Gesellschaftspolitik in der Industriellenvereinigung. Während Sozialminister Hundstorfer das ausgeprägte Verantwortungsgefühl der Klein- und Mittelbetriebe (KMUs) lobte, äußerte er sich kritisch gegenüber gewissen Praktiken großer Firmen: „Das größte Problem sind total börsengesplittete Unternehmen, wo irgendein Analyst sitzt, der nicht in der Region ist, nicht im Land, und meint, er braucht noch ein Prozent Gewinn“, so der Minister.

Friesl warnte davor, alle großen Unternehmen über einen Kamm zu scheren: „Wir haben in Österreich aufgrund der Tradition auch börsennotierte Unternehmen, die federführend sind, was den Bereich der gesellschaftlichen Verantwortung anbelangt“, sagte er. Bereits bevor die unternehmerische Gesellschaftsverantwortung durch den Begriff Corporate Social Responsibility (CSR) stärker in die Wahrnehmung gerückt war, hätten österreichische Unternehmen und Persönlichkeiten sich für Bildung, Gesundheit und soziale Anliegen ihrer Mitarbeiter eingesetzt, so Friesl.

Notwendige Staatshilfen

Anna Maria Hochhauser, Generalsekretärin der Österreichischen Wirtschaftskammer, betonte: „Was CSR anbelangt, sind wir im absoluten internationalen Spitzenfeld. Für viele kleine und mittlere Betriebe ist es einfach selbstverständlich, CSR-Leitlinien umzusetzen, obwohl sie manchmal gar nicht wissen, dass diese ihren Aktivitäten zugrundeliegen“, so Hochhauser.

Von der aktuellen Stimmung in österreichischen Betrieben zeichnete die Generalsekretärin ein differenziertes Bild. In manchen Bereichen wie der Autoindustrie sei die aktuelle Krise stark ankommen, in manchen wie im Handel weniger, so Hochhauser.

Viele Unternehmen hätten auch in der schwierigen Zeit ein ordentliches Umgehen mit ihren Mitarbeitern gepflegt und diese, wenn es möglich war, auch nicht freigestellt. Für die Interessensvertretungen gelte es einerseits, Bewusstsein dafür zu schaffen, was die KMUs bereits tun würden. Andererseits richte man den Blick auch auf große Unternehmen: „Künftig gilt es, auch bei den großen Betrieben Anstrengungen zu unternehmen, damit diese nachhaltig wirtschaften lernen – noch mehr, als das vielleicht bisher notwendig war“, so Hochhauser. Die Interessensvertretungen hätten gemeinsam ein neues CSR-Leitbild entwickelt und sie sei guter Dinge, dass es gelingen werde, dieses in den Betrieben auch umzusetzen. „Insbesondere dann mit der Weisheit des Rückblicks nach der Krise“, fügte sie hinzu.

Dass die österreichischen Unternehmen die staatlichen Hilfs- und Stabilisierungspakete dringend benötigt hätten, darin waren sich sowohl Hochhauser (Wirtschaftskammer) als auch Friesl (Industriellenvereinigung) einig. „Diese finanziellen Mittel waren notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten“, sagte Friesl. „Das zu tun war der einzig richtige Zugang. Wir sind ja nicht auf einer Insel, sondern im europäischen Konzert und so hatten wir anzusehen, was Europa tut“, sagte Wirtschaftskammer-Generalsekretärin Hochhauser.

Auch Sozialminister Rudolf Hundstorfer verteidigte die staatlichen Förderungen: „Ich stehe dazu, dass der Staat in solchen Situationen hilft. Wir haben mit den Banken, mit der Industrie gemeinsam Spielregeln entwickelt, mit denen wir leben können“, so Hundstorfer. Ohne Förderung von Betrieben durch Staatszuschüsse hätte man volkswirtschaftlichen Schaden riskiert. Aus seiner Sicht sei es unbedingt notwendig, über das Einführen ethischer Spielregeln zu diskutieren. Er verstehe zum Teil, warum die Finanzmärkte seien, wie sie sind, und er könnte auch ein gewisses Verständnis für Aktionäre aufbringen. Doch würde man in Europa eine eigene Rating-Agentur brauchen, die nicht von den amerikanischen Agenturen abhängig sei. „Wir dürfen auch den Derivathandel auf Lebensmittelproduktionen nicht mehr zulassen. Es darf nicht sein, dass man in Shanghai auf die Reisernte von 2011 spekulieren kann“, so Hundstorfer.

„Vor einem Jahr hat als erster Reflex auf die Krise eine extremes Wirtschafts-Bashing eingesetzt, wo die Wirtschaft, die Unternehmen und die Manager pauschal verantwortlich gemacht worden sind“, sagte Harald Mahrer. Der Ruf nach einem starken Staatsinterventionismus sei lautgeworden. „Doch wie sieht es mit der Freiheit, der Eigenverantwortung des Bürgers, des Unternehmers aus?“, fragte Mahrer. Gerade das Aufsichtsratssystem etwa sei in den letzten Monaten wieder intensiv diskutiert worden. „Wenn manche dort ihre Aufgaben verantwortungsvoll wahrnehmen würden, könnten sie nicht in so vielen solcher Gremien sitzen“, sagte Mahrer.

Wertedebatten forcieren

In der Pleon Publico-Studie zum Thema verantwortungsbewusstes Unternehmertum gaben 2/3 der befragten Unternehmen an, dass der Staat die aktuellen Probleme ohne sie nicht lösen werde können. Sie bekannten sich zu ihrer aktiven Rolle bei diesen Schritten. Harald Mahrer sieht darin einen nachahmenswerten Ansatz: „Eigenverantwortung fängt oben an und hört unten auf beim einzelnen Mitarbeiter, der unternehmerisches Denken entwickelt. Da brauche ich keinen Staat und keine Vorschriften“, so Mahrer.

Christian Friesl, Industriellenvereinigung, wünscht sich mehr Debatten: „Wenn wir über Werte reden, dann müssen wir über die Werte aller in der Gesellschaft reden“, sagte er. „Wir müssen uns überlegen, wie wir mit dem Thema Gleichstellung der Frau, mit Integration, wie wir mit Gerechtigkeit umgehen. Erst in diesem Wertekanon kann sich die Wirtschaft angemessen positionieren“, so Friesl. Die Frage sei zu stellen, was unsere wirtschaftspolitische Philosophie sei. „Da fehlt uns noch die Nachhaltigkeit“, fügte er hinzu.

* Diese Seite entstand in Kooperation mit der Industriellenvereinigung

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung