Verführerisch, unschuldig & profitabel

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Künftige Kundschaft will gepflegt werden. Die Werbung mißbraucht daher die Kinder immer raffinierter als Konsumenten und Werbeträger in einem.

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Künftige Kundschaft will gepflegt werden. Die Werbung mißbraucht daher die Kinder immer raffinierter als Konsumenten und Werbeträger in einem.

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Wir leben in einer Welt, in der das Kind von seiner Entstehung bis zum Zeitpunkt des Entlassenwerdens in die Großjährigkeit auch als "Verfügungsobjekt" betrachtet werden kann. Gleichgültig, ob Buben- oder Mädchenwindeln erfunden werden, bereits von Anbeginn wird die "petit difference" klargestellt. Pflegestrukturen auf ihre Tauglichkeit hin geprüft spalten seit Generationen die Bevorzugerinnen von Puderprodukten versus jenen, die Salben und Cremen auf den Po des Säuglings schmieren. Die Psychologie darf ebenfalls nicht fehlen, so entzündet sich der Werbestreit über bunten Hängeobjekten in Sichtdistanz des Säuglings, ob Naturholz, lackiertes Holz oder Kunststoff eingesetzt werden soll und wird verbunden mit der versteckten Botschaft "Intelligenz ist lernbar", "Tun Sie das Beste für Ihr Kind, verwenden Sie mein Produkt".

Gestylte Kulturobjekte Die Entwicklungspsychologie tut das ihre und bietet in breiter Palette Übergangsobjekte zur "Abgewöhnung der mütterlichen Brust" an und war es durch die Menschheitsgeschichte einfach ein Alltagsobjekt des Kindes, das den Trennungsschmerz von der Mutter jeweils lindern ließ, notfalls der Daumen oder der Zeige- und Mittelfinger in den Mund gesteckt, muß es nunmehr nicht mehr ein Teddybär oder Hase, sondern ein gestyltes Kultobjekt sein, das angeboten und beworben wird, längst entfremdet der Funktion, daß es sich primär um ein Tröstungsobjekt für ein immer wieder repitierbares Verlusterlebnis der Mutter darstellt.

Spielwaren werden den Bildungsbürgern unter dem Aspekt der intellektuellen Leistungsfähigkeit ihres Kindes und unter dem Tenor "Ihr Kind soll es einmal besser haben" angeboten - soll heißen, sich im "Konkurrenzkampf besser durchsetzen". Somit gerät das Kind in die Leistungsmangel, durch die es gedreht wird und all das, weil der Konsument "Eltern" sich keines Vorwurfes aussetzen möchte, nicht so früh als möglich das Maximum am Kind vollzogen zu haben.

Als höchstes Gut des Menschseins gilt die Gesundheit. Was liegt also näher, die Fitneß und das absolute Wohlbefinden für Kind und Eltern zu bewirken, indem alles und jedes, was dem menschlichen Körper nicht schadet, zum gesundheitserhaltenden Verzehr angeboten wir. Und gibt es schon gar nichts mehr, so wird Ton und Kieselerde - im Tagbau gefördert und keimfrei gemacht - als Verdauungsadjuvanz angeboten.

Erreicht das Kind das Kindergartenalter, so wird es im Sinne der Umwegrentabilität beworben. Sei es, daß der kindliche Konsumterror dadurch angeregt wird, daß Kaufhäuser eine besonders interessante Kinderbewahranstalt anbieten, in der die Trennung von den Konsumterror-geplagten Eltern leichter fällt und deshalb bestimmte Einkaufstempel bevorzugt besucht werden, sei es, daß der Werbeterror in jenen des Konsumterrors überschlägt, indem das Kind begehrenswerte glitzernde Gegenstände beim Anstellen vor der Zahlkasse vorfindet und von den Eltern den Einkauf in eben diesen Geschäften fordert, die geschickter Kinder bewerben. Mit dem Kindergartenalter gelingt es, die Werbebotschaft via Fernsehen direkt in den subkortikalen Speicher des Kindes einzuführen. Permanente Wiederholung altersadäquater Kurz- und Bildszenen, kindgerechter Humor und immer wieder der permanente Vergleich, daß dieses oder jenes Produkt soviel besser sei, führt zum Informationsaustausch der Kinder untereinander und läßt die Werbestrategen das Kind nach jenen Produkten schreien, die ihm im Konkurrenzkampf mit Gleichaltrigen einen Imagevorteil erwarten lassen. Sammelobjekte führen zur Konsumtreue, Trendsetters werden jahreszeitlich und ereignisorientiert, man denke an Olympiaden und ähnliches, zielgerichtet auf das kindliche Konsumverhalten abgestimmt.

Der Schuleintritt macht das Kind vom Lebensalter her nach Übertritt aus der magisch-animistischen Phase in die logisch-realkonkrete, zum immer eigenständiger werdenden Konsumenten. Nun verfügt das Kind bereits, wenn auch in bescheidenem Maße, über Geld, dem "Deus ex machina" und "Schlüssel beziehungsweise Dietrich auf der Via aura", der Konsumgesellschaft. Gezieltes Heranführen an Begehrlichkeitsprodukte, die den eigenen Finanzrahmen immer sprengen, führt unbewußt zur Kreditbegehrlichkeit und dem Phantasiereichtum, wie man wohl zum begehrten Objekt kommen kann.

"Raunz nicht -kauf!"

Jede Agglomeration hat die Werbung, die sie sozial verdient, anders wäre es nicht verständlich, daß sich in täglichen Werbespots die Österreicher den kategorischen Imperativ nach Kant, "raunz nicht - kauf!" gefallen ließen. Zielgruppenwerbung orientiert sich am Lebensalter der Konsumgruppe und ihrer Gewohnheiten. Der isolierte, einsame Jugendliche muß mit dem Kultobjekt der Kommunikation, der gesellschaftsfreudige mit dem Anbot Gemeinschaftsgefühl optimal zu steigern, und der sozial Schwache mit der Hoffnung gefüttert werden, er würde durch Erwerb des Beworbenen zum Aufsteiger des Jahres gekürt werden.

Als Werbeträger wird das Kind sowohl zur Identifikation mit Gleichaltrigen eingesetzt als auch als Konsumrezipienten, den die Eltern bestmöglich ausstatten. Zweifellos ist das Kind aber, wie man aus der Werbegeschichte der letzten 100 Jahre feststellen kann, idealer Transporteur innerer Betroffenheit, wenn Politiker, oder großmuttergestylte Komparsen, oder kaffeetrinkend Jausentanten, oder Diktatoren, sich mit Kindern schmücken, um ihre Botschaft der Sanftheit transportieren zu wollen. Steigerung findet dieses Image nur noch durch den Einsatz des pelztragenden Tieres, das offensichtlich die embryonale Schutzbedürftigkeit und das fellkraulende Herzlichkeitsbedürfnis des Menschen in der Werbung steigern möchte.

Das Kind als Werbeträger wird mißbraucht. Ich verwende diesen Terminus deshalb, im Gegensatz zum sexuellen Mißbrauch semantisch richtig, weil es in der Werbung offensichtlich auch den Kindesgebrauch gibt.

Vom kleinen, nackten Säugling, der Pflegeinstinkte auslösen soll, über die Darstellung des Männecken-Piß als Autowerbung, wieviele Hunderte von Kilometern ein Auto mit einem Tank fährt, über die Darstellung des fieberhaft und halserkrankten Kindes, dessen wohltuende, auf die Brust geschmierte Arznei die Mami im besseren Licht dastehen läßt, das Kind wird zum Kultträger der Werbebotschaft. Im Brutpflegeinstinkt der Eltern löst diese Form der Werbung den Kaufzwang aus, und das Kind kann als oft gefilmtes Verfügungsobjekt nichts für den Mißbrauch.

Spracharmut Ab dem Kindergartenalter trägt ein Kind die Botschaft dem nächsten in die Wohnung, indem Werbeprimetime für das jeweilige Konsumobjekt nach den Sehergewohnheiten bereits in der Zielgruppe Kleinkind erforscht wird. Untersucht man sprachliche Entäußerungen von Volksschulkindern, so geschehen in der Oskar Spielschule in Wien, so fällt die Vokabelarmut, die undifferenzierte Sprachgestaltung und die, auf Schlagsätze reduzierte Kommunikation mit Werbefloskeln auf. Die verknappte Botschaft des Schlagwortes verhindert aufgrund des Erfolges von Verständnis das Erlernen von Temporal-, Consekutiv- und Konditionalsätzen und führt zu massiver Sprachverarmung. Daß es sich bei Werbung um eine Einseitkommunikation, nämlich der Botschaft und ihrer Perzeption handelt, läßt Werbung die Kommunikation nur durch Zuruf und nachfolgenden Konsumartikelerwerb, Ausgestaltung zu. Da von seiten des Anbieters auch kaum mehr Diskussion über den Konsumartikel möglich ist, da derselbe verschweißt, verpackt und der Verkäufer uninformiert ist, ist der Konsument auf die Werbung als Anbot reduziert und als Rezipient der beigelegten Gebrauchsanweisung in unverständlichem Deutsch ausgeliefert.

Das Kind als Werbeträger des Konsums dient als Identifikationsobjekt, zur Konsumanregung anderer Kinder, womit die Eltern unter Druck geraten, sind schließlich die in Werbung abgebildeten Kinder dergestalt gestylt, daß man ihnen - einem Klon gleich - ähneln möchte.

Der Autor ist Kinder- und Jugendpsychiater in Wien. Der Beitrag ist die gekürzte Fassung seines Vortrages "Kinder als Verfügungsobjekte der Werbung" in der Wiener Wirtschaftskammer anläßlich des 25jährigen Bestehens des Österreichischen Werberates.

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