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Der Kampf um die Seelen im freien Staat

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Grundlegend geändert hat sich das Staat-Kirche-Verhältnis in Ungarn seit der Wende. Doch noch ist nicht alles eitel Wonne. Wenn es ums Geld geht, sind mühsame Verhandlungen angesagt. Vor kurzem studierte eine ungarische Delegation mit dem Staatssekretär für religiöse Angelegenheiten an der Spitze das österreichische Modell.

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Grundlegend geändert hat sich das Staat-Kirche-Verhältnis in Ungarn seit der Wende. Doch noch ist nicht alles eitel Wonne. Wenn es ums Geld geht, sind mühsame Verhandlungen angesagt. Vor kurzem studierte eine ungarische Delegation mit dem Staatssekretär für religiöse Angelegenheiten an der Spitze das österreichische Modell.

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Vierzig Jahre beinharte Säkularisation und Bekämpfung religiöser Aktivitäten gehen an einem Land nicht spurlos vorüber. Gabor Geliert Kis, Vorsitzender des Komitees für Menschenrechte, Minderheiten und Religiöse Angelegenheiten des ungarischen Parlaments, weiß davon ein Lied zu singen, daß sich sechs Jahre nach der Wende in Ungarn im Verhältnis Kirche und Staat, im Verhältnis Kirche und Gesellschaft nicht alles schlagartig zum Besseren verändern konnte. Der Parlamentarier, der sich gemeinsam mit dem Staatssekretär für Religiöse Angelegenheiten, Ivan Platthy, vor kurzem in Österreich zu Studienzwecken bezüglich der hiesigen Situation der Kirchenfinanzierung aufhielt, betonte in einem Gespräch mit der FURCHE: „Von staatlicher Seite muß man sehr große Geduld zeigen. Es wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis sich die Einstellung der Kirche zu ihren neuen Aufgaben, aber auch das Denken der Staatsbürger in bezug auf die Kirchen verändert haben wird, bis sich jene Strukturen herausgebildet haben, die die tatsächlichen Bedürfnisse der Bevölkerung wirklichkeitsgetreu widerspiegeln.” Gemeint sind natürlich die religiösen Bedürfnisse beziehungsweise jene, deren Befriedigung man vor allem durch kirchliche Einrichtungen erfüllt sehen möchte, solche sozialer, karitativer, kultureller und erzieherischer Natur.

Nach den gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen in Ungarn stehen Kirchen und religiöse Gemeinschaften in einer Art Abhängigkeitsverhältnis vom Staat insofern, als deren Budget zum größten Teil von der öffentlichen Hand gespeist wird. Geliert Kis: „Momentan hängt das vom guten Willen der jeweiligen Regierung ab, in welcher Weise die Kirchen unterstützt werden. Deshalb sind wir sehr daran interessiert, diese Art der Unterstützung in eine quasi automatische umzuwandeln. Alle ihre von den Kommunisten enteigneten Güter werden die Kirchen nicht zurückbekommen können. Soweit erstreckt sich das Wiedergutmachungsgesetz nicht. Aber der Staat muß auf jeden Fall danach trachten, das Abhängigkeitsverhältnis aufzulösen und eine Art Automatismus der Kirchenfinanzierung einzuführen.” Zur Zeit müssen die staatlichen Zuwendungen für die Kirchen jährlich dem Parlament sozusagen abgerungen werden. Der von Geliert angesprochene Mechanismus soll von einem jährlich fixen Satz des Staatshaushaltes in der Höhe von etwa 0,8 Prozent den Religionsgemeinschaften eine fest berechenbare Finanzhilfe bereitstellen. Momentan sind in Ungarn 56 Religionsgemeinschaften registriert, die der Staat alle gleichbehandelt sehen möchte, was die traditionellen großen Religionsgemeinschaften katholischer oder evangelischer Provenienz als Gefahr betrachten. 25 bis 30 erfüllen die Be-dingungen für finanzielle Förderung durch den Staat. Geliert Kis dazu wörtlich: „Tatsächlich besteht diese Gefahr für die Großkirchen nicht, aber man kann natürlich nicht verneinen, daß diese das so sehen. Es ist sicher keine Blasphemie, wenn man feststellt, daß in einem freien Land die Kirchen um die Seelen kämpfen müssen. Der Staat darf keine solche Rolle übernehmen, daß er seine Staatsbürger beeinflußt. Aber es ist natürlich, daß die Verbindungen zu den großen geschichtlichen Kirchen besser ausgebaut und organisiert sind. Es gibt mehr Rerührungspunkte in der gemeinsamen Arbeit.”

Und diese Berührungspunkte, das kirchliche soziale, karitative und erzieherische Element der Kirchen, schätzt auch der neue ungarische Staat, der momentan von einer unter sozialistischer Dominanz geführten Koalitionsregierung geleitet wird. Ivan Platthy, Staatssekretär für Religiöse Angelegenheiten im Ministerium für Kultur und Bildung, sieht die Rolle der Kirchen für die gesamte Gesellschaft als „sehr wichtig” an. Die neue ungarische Kirchenpolitik geht von der Berücksichtigung der allgemeinen Menschenrechte aus, wonach Menschen ihrer religiösen Anschauung wegen nicht diskriminiert werden dürfen. Ja, es muß ihnen ermöglicht werden, ihren religiösen Grundbedürfnissen nachzukommen. Platthy betont im Gespräch mit der Furche, daß der Staat verpflichtet sei, die Grundlagen religiösen Lebens zu gewährleisten, zumal sich die Kirchen finanziell nicht völlig unabhängig vom Staat machen könnten. „Der Staatsbürger hat auch das Recht, seine Kinder in konfessionelle Schulen zu schicken. Auch das sollte der Staat fördern. Er hat allerdings das Recht zu fordern, daß der Unterricht in diesen Schulen auf demselben Niveau stattfindet wie in den anderen.”

In Ungarn besuchen gegenwärtig an die 60.000 Kinder (von insgesamt 800.000) im Pflichtschulbereich die mittlerweile 200 konfessionellen Schulen. Die Zahl kirchlicher Institutionen wie Schulen hat seit der Wende bedeutend zugenommen. Kirchen gelten in Ungarn als Rechtsperson, sie können wie der Staat auf bestimmten Gebieten tätig werden, der Staat selbst finanziert diese Aktivitäten wie seine eigenen, zum Beispiel wird pro Kind 40.000 Forint an die jeweilige Schule gezahlt, der Betrag kommt auch den konfessionellen Schulen zu. Der Wunsch nach Religionsunterricht an staatlichen Schulen hat ebenfalls sehr zugenommen. In Ungarn muß man sich zum Religionsunterricht anmelden. Der Schulträger hat den Religionsunterricht zu finanzieren.

Eine schwierige Frage zwischen Staat und Kirche stellt in Ungarn momentan die Vermögensrückgabe dar.

Zwischen 1948 und 1951 waren die traditionellen Kirchen - katholisch und evangelisch - die Hauptleidtragenden der kommunistischen Konfiskation. Bis 30. September dieses Jahres mußten die Kirchen Listen jener Immobilien vorlegen, die sie zurückhaben wollen, bis 30. November läuft noch die Frist zur Bekanntgabe jener Gebäude, die abgelöst werden sollen. Eine Entschädigung wird der Staat für Wald- und Grundbesitz zahlen. Die katholische Kirche war beispielsweise bis 1948 mit 20 Prozent der Landwirtschaftsnutzfläche einer der größten Großgrundbesitzer in Ungarn (Diözesen und Ordensgemeinschaften). Ivan Platthy erklärt, daß auch die katholische Kirche nicht den gesamten ehemaligen Besitz zurückfordere. „Das hätte einen derartigen Widerstand in der Bevölkerung herausgefordert, den die katholische Kirche nicht gewollt hätte.” Der ungarische Staat will jedenfalls bis zum Jahr 2.000 etwa 6.000 Fälle dieser Art gelöst haben. Rund 2.000 Liegenschaften sind bislang schon verhandelt worden. Die Regierung hat bisher Verpflichtungen zur Wiedergutmachung in der Höhe von 20 Milliarden Forint übernommen.

In Osterreich studierte die ungarische Delegation, der auch der Sekretär der Ungarischen Bischofskonferenz, Weihbischof Csaba Temyäk (als gebürtiger Westungar spricht er hervorragend deutsch), angehörte, auch das hiesige Kirchenbeitragssystem. Dieses läßt sich jedoch nicht ohne weiteres auf Ungarn übertragen, da es die ungarische Verfassung dem Staat verbietet, die Religionszugehörigkeit des Bürgers zu erheben. Jetzt soll eine gemischte Staat-Kirche-Kommision gebildet werden, um ein gutes System auszuarbeiten. Österreich hat dabei Hilfe zugesagt.

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