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„Dünn wie eine Rasierklinge...“

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„Man macht noch immer zuviel in Optimismus!“, meint man im EFTA-Sekretariat in Genf zu Österreichs EWG-Chancen. Die Tatsache, daß demnächst die Gespräche mit drei beitrittswilligen EFTA-Staaten in Luxemburg feierlich eröffnet werden sollen, trägt hier keineswegs zu einer optimistischeren Haltung bei. Die Stellung Österreichs sei so schwierig, daß es noch Jahre dauern könnte, ehe echte Arrangementchancen bestehen und die Tatsache der Gesprächseröffnung mit Großbritannien, Dänemark, Norwegen und Irland wird in der schweizerischen Stadt als festlicher Beginn mehr denn als politische Realität und damit als handfestes gutes Omen für Österreich gewertet. Hier am Genfer See, wo man schon viele internationale Versuche mit großem Beginn scheitern gesehen hat, ist man scheinbar vorsichtiger als im 800 Kilometer entfernten Wien.

Ein Arrangement Österreichs mit dem gemeinsamen Markt hält man aus zwei Gründen für sehr schwierig:

• einerseits, weil man der Meinung ist, daß die Podgorny-Erklärung keineswegs durch irgendeine neue sowjetische Aussage geändert worden sei;

• anderseits, weil die EWG wegen Österreich kaum neue GATT-Schwierigkeiten auf sich nehmen dürfte.

„Es gibt eine Chance, aber die ist dünn wie eine Rasierklinge“, erklärt man. Denn gerade am jüngsten GATT-Protest in Genf in den Zollfragen EWG—Marokko, und an dauernden Protesten in den Kommissionen der GATT durch die USA, hat man hier gemerkt, wie scharf die Wächter auf den Gemeinsamen Markt aufpassen. Man negiert keineswegs die enorme wirtschaftliche Bedeutung, die eine Zollsenkung gegenüber der EWG für Österreich hätte, aber immer wieder staunt man über die oft zu optimistischen Erklärungen österreichischer Politiker bei Sonntagsreden in unseren Landen.

Tatsächlich zeigen gerade die letzten Wirtschaftsziffern, daß Österreichs Boom und der wirtschaftliche Aufwärtstrend bei einem Arrangement mit der EWG wesentlich zunehmen könnten. So zeigt sich,

• daß Österreich gegenüber der EFTA im jährlichen Durchschnitt der Jahre 1959 bis 1968 eine Stelgerung des Handels bei den Importen um 14,6 Prozent erreichte,

• daß bei den Ausfuhren die Steigerungsrate sogar nur um 16,8 Prozent liegt.

• und sogar im Handel mit der gesamten Welt die Steigerung bei den Ausfuhren bei 8,4 Prozent, bei den Einfuhren um 9 Prozent liegt. Demgegenüber hat sich der Handel mit der EWG bei den Ausfuhren im Jahresschnitt der letzten 10 Jahre nur mehr u>m 6 Prozent gesteigert. Wie abhängig, aber gerade Österreich vom EWG-Raum ist, zeigt sich aus der Tatsache, daß bei den Importen eine Steigerung um 8 Prozent festzustellen ist. Das wiederum würde unweigerlich, wenn die Entwicklung im selben Maß fortschreitet, zu einem steigenden Handelsbilanz-passivum rühren.

Die Hoffnung, die Verhandlungsaufnahme mit Großbritannien könnte auch für Österreich eine Chance sein, erweist sich zunehmend als trügerisch.

Nunmehr zeigen sich Propheten in Brüssel eher bereit, nach dem Abschluß der Verhandlungen mit den vier Beitrittswilligen auch Österreich Chancen für grünes Licht zu geben. „Diese Gespräche werden aber mindestens drei Jahre dauern,“ meint man in Genf.

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