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Mao ist auch im Labor
Die Nachrichten über die Herstellung rotchinesischer Atomraketen mit immer größer werdender Reichweite lenken die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf den Grad der wirtschaftlichen Fundierung des rotchinesischen Machtapparates. Sie ist schwer zu durchschauen: Peking hat seit Jahren die Veröffentlichung exakter Produktionsziffern eingestellt, und die Schätzungen ausländischer Experten gehen weit auseinander. Bei der Beurteilung der rot- chinesischen Wirtschaftslage haben sich japanische Beobachter als überdurchschnittlich zuverlässig erwiesen. Sie registrierten . Fortschritte, obwohl sie feststellen, daß sogar in den bestentwickelten Bereichen unter anderem das Niveau der industriellen Technologie Chinas weit hinter jenem Japans zurückbleibt. Auch das Realeinkommen pro Kopf Ist nach Schätzungen des japanischen Fachwissenschaftlers Professor Uchida kaum größer als ein Siebentel des entsprechenden japanischen Wertes.
Was die Folgen der Kulturrevolution für die landwirtschaftliche Produktion anbelangt, sind manche Chinaexperten der Meinung, daß sie sich auch auf diesem Sektor nachteilig ausgewirkt hat. Andere Fachleute dagegen glauben, daß sie zumindest in mehreren Provinzen die Bauern von einem Teil der bürokratischen Kontrollen- befreite und gerade dadurch zusätzliche Energien für landwirtschaftliche Arbeiten freimachte. Sogar in Rotchina selbst sind die bekanntgewordenen Urteile über die wirtschaftliche Entwicklung nicht einheitlich. So erklärte zum Beispiel Tschu En-lai vor mehreren Tausend Delegierten aus allen Teilen Chinas, daß die Kulturrevolution in Industrie und Verkehr produktionshemmend gewirkt habe, während andere offizielle Berichte trotz der Kulturrevolution unter anderem industrielle Produktionssteigerungen .ln..verscbiedep.en Sek.taieq. rk ün-, den und in betreff der Landwirt- seta lftefäniaUichinesi hflüHEfflVPlpen Ernteüberschüsse bekanntgeben. Nach nationalchinesischen Meldungen kam es im Reiche Maos im Laufe vön zwölf Monaten als Folge der Kulturrevolution zu einem Rückgang der industriellen Produktion im Ausmaß von zehn Prozent und zu einem Rückgang des rotchinesischen Außenhandels mit sieben großen Ländern um durchschnittlich 13 Prozent. Nach maofreundlichen Darstellungen ist die ungünstige Beeinflussung der Produktion und Transport- möglichkeiten durch die Kulturrevolution lediglich temporär. Nach Berichten Unparteiischer Gewährsmänner in China nahen Gebieten liegt der Hauptakzent ihrer Beseitigung und Überwindung auf dem Sektor des Erdöls und der Kohlenproduktion und Kohlenverteilung. Wie in anderen Bereichen bediene man sich auch hier der „Volksbefreiungsarmee“, deren Soldaten unter anderem auch zur Bekämpfung eigenmächtigen Fernbleibens von Arbeitsplätzen eingesetzt und im Notfall als Ersatzarbeiter und Ersatzangestellte herangezogen werden.
Export mit Rauschgift
Gewährsmänner, in Hongkong, die laufend mit vielen aus Rotchina kommenden Personen Gespräche führen, behaupten,- daß die revolutionäre Kampagne aus manchen ländlichen Gebieten absichtlich herausgehalten wurde. Auf dem industriellen Sektor seien im Durchschnitt viel größere Schäden entstanden, doch habe alles in allem die Wirtschaft etwas weniger gelitten als unter den fanatischen Übertreibungen des seinerzeitigen „Großen Sprungs nach Vorne“.
Bei der Beurteilung der unter anderem durch große militärische Ausgaben, durch die Kosten gewaltiger Entwicklungsprojekte und durch Riesenausgäben für den Aufstieg zur Atommacht schwer belasteten finanziellen Lage Rotchinas werden oft sehr beachtliche, zum Teil getarnte, Einnahmsquellen übersehen. So wurde unter anderem nach sowjetischen Berichten schon vor Jahren beschlossen, die jährliche Rauschgiftproduktion um Tausende von Tonnen zu steigern. Für die einfache Bevölkerung steht auf den Besitz und Genuß von Rauschgift die Todes strafe, während der hinter den Kulissen staatlich gelenkte Export von Rauschgift den Machthabern Unsummen einbringt. Schon im Jahre 1965 sollen mehr als 10.000 Tonnen Opium „schwarz“ exportiert worden sein, mit einem Reingewinn von nahezu einer Milliarde Dollar. Hiezu kommt die bekannte Rolle Hongkongs als Devisenbringer, schleichende Zuwendungen reicher Auslandschinesen als „Rückversicherung“, die Verwendung wichtiger, exklusiver Nachrichten der oft vorzüglich funktionierenden Informationsdienste zu einträglichen Börsenspekulationen im Ausland, der Verkauf „beschlagnahmten“ Goldes und Silbers im Ausland, die Nutzbarmachung neuerschlossener Bodenschätze an Edelmetallen und Halbedelsteinen und das gutgehende Geschäft mit der Duldung von etwa 50.000 Ausreisen aus Rotchina im Jahr gegen entsprechende hohe Bezahlung durch Verwandte im Ausland. So ist es erklärlich, daß das wiederholt für bankrott erklärte China unter anderem Tausende von Schiffsladungen von Getreide im Ausland ankaufen und prompt bezahlen konnte und Milliardenbeträge für verschiedene „Beeinflussungen“ im Ausland aufzuwenden in der Lage ist. Auch für die weitere Erschließung der Kernenergie sollen Riesenbeträge bereitstehen. Die erstaunlichen diesbezüglichen Erfolge werden aber nicht nur dem Vorhandensein großer Geldmittel zugeschrieben, sondern auch der Mitarbeit in den USA und in der Sowjetunion geschulter bedeutender
Kernforscher und vor allem der Tatsache, daß im nuklearen Bereich politische. Beeinflussungen völlig ausgeschaltet bleiben —, eine bezeichnende Ausnahme in einem Land, in dem heute sogar wissenschaftliche Fachblätter 70 Prozent Propagandamaterial enthalten!
Gute Asienkenner meinen über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Kulturrevolution, daß sie zwar zu gewissen materiellen Nachteilen geführt hat, das wirtschaftliche und militärische Potential des Landes aber im wesentlichen intakt geblieben ist. Dieses Potential bleibe auch weiterhin in den Händen der sich einem „Welterlösungskomplex“ verschreibenden Machthaber und eines Teiles ihrer Gefolgschaft. Es sei schwer, wenn nicht aussichtslos, ihr dieses Machtinstrument zu entwinden. Daher sei eine „Umbiegung“ und Zähmung dieses „Welterlösungskomplexes“ durch Einwirkungen auf der religiösen, geistigen und weltanschaulichen Ebene erforderlich.
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