Tiwald

Putins Propagandakrieg: Nach dem Ende von Schwanensee

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Wladimir Putins Reich beherrscht die Kriegspropaganda – und die wenigen unabhängigen Stimmen in Russlands Medienwelt scheinen verstummt. Dennoch finden Medienmacher(innen) Mittel und Wege, den Informationsfluss abseits der Propagandapfade aufrechtzuerhalten.

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Wladimir Putins Reich beherrscht die Kriegspropaganda – und die wenigen unabhängigen Stimmen in Russlands Medienwelt scheinen verstummt. Dennoch finden Medienmacher(innen) Mittel und Wege, den Informationsfluss abseits der Propagandapfade aufrechtzuerhalten.

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Als am 19. August 1991 einige Granden der sterbenden UdSSR versuchten, sich zurück an die Macht zu putschen, wusste man im Staatsfernsehen nicht, was Sache war: über die Bildschirme flimmerte daher eine Aufzeichnung von „Schwanensee“, Tschaikowskis Ballett, in dem alles so herrlich leicht aussieht. Als am 3. März Natalja Sindejewa, die Geschäftsführerin des russischen Fernsehsenders Doschd, umringt von ihrem Team auf Sendung ging und die vorübergehende Einstellung des Kanals bekanntgab, endete das Programm mit derselben Aufnahme: schwarzweiß, vier Damen in Tutus.

Auch die Nowaja Gaseta brachte im März den Umriss der vier menschlichen Schwäne auf der Titelseite. Im Hintergrund wölbte sich das Feuer einer Bombe. Mehrere Angehörige ihrer Redaktion sind seit Gründung der Zeitung 1993 ermordet worden, Chefredakteur Dmitri Muratow wurde 2021 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Im Moment ist das in Russland bedeutungslos, die Zeitung kann nicht erscheinen. Ein eigenes Team arbeitet derzeit an einer europäischen Version, editiert außerhalb des Landes.

„F@ck this Job“

Der Sender Doschd ist jünger, in jeder Hinsicht. Ursprünglich war er als „Kultur-und Lifestylekanal“ gedacht, wie Mitgründerin Sindejewa in einem Dokumentarfilm erzählt: „F@ck this Job“ heißt er, „schwierig auszusprechen“, grinst Sindejewa in einem ihrer Online-Videos. Der Film sollte jetzt, im Frühjahr 2022, in ausgewählten russischen Kinos laufen.

Daran ist nicht mehr zu denken, stattdessen kann man ihn auf einigen Festivals sehen – und auf der Plattform Vimeo. Natalja Sindejewa ist darin als ursprünglich durchaus partyinteressierte Jungunternehmerin zu sehen. „Optimistic channel“ ist der Beiname des Kanals. Mit dem Fortschreiten der Putin’- schen Jahre zeigte sich allerdings zunehmend, was es heißt, in Russland Nachrichten zu bringen. 2011 berichtete Doschd von den großen Moskauer Protesten. Es folgten Störaktionen gegen die Übertragung, der Hinauswurf aus dem Kabelnetzwerk und Unannehmlichkeiten mit den Vermietern.

Als Aleksej Nawalny am 17. Jänner 2021 aus Deutschland zurückkehrte, konnte man seine Verhaftung am Flughafen dank Doschd live mitverfolgen. Eduard Burmistrow, Reporter vor Ort, wurde vor laufender Kamera abgeführt. Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine berichtete das Team ausführlich zu aktuellen Ereignissen, vor allem in zahlreichen Interviews mit Expertinnen und Experten; der Druck war spür- und sichtbar.

Dann machte das seitdem zum Gesetz gewordene Gerücht die Runde, das Verbreiten von „Fakes“ zu „Handlungen der russländischen Streitkräfte“ werde mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft, und Mitarbeiter des Kanals wurden bedroht. Die ersten beschlossen, das Land zu verlassen. Und wie man Sindejewa in „F@ck this Job“ in ihrem pinken Auto durch die Stadt und über Land fahren sieht, so zerstreute sich das Team in verschiedene Länder, darunter auch nach Österreich: Petr Ruzavin ist aktuell Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen und produziert einen Podcast namens „Chuj Wojne“ – F*ck den Krieg.

Michail Fischman, Anchor einer wöchentlichen Politsendung, wurde die Einreise nach Georgien verweigert, Moderatorin Anna Mongajt war, während die Abschiedssendung lief, gerade in Tbilisi gelandet und entschied sich gegen ein Statement über Zoom. Sie habe, erklärte sie später, das nicht übers Herz gebracht und hoffe auf einen Neustart des Senders. In der Tat sprach Sindejewa in dieser letzten Sendung von einer „vorübergehenden Einstellung“.

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