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Blumen aus weißem Marmor

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Das Ägäische Meer ist wegen seiner Schönheit, aber auch seiner Erbarmungslosigkeit und plötzlicher Zornesausbrüche bekannt. Vielleicht ist gerade dies ein wirkungsvoller Schutz vor dem unberechenbaren Ansturm des Massentourismus, der bereits binnen weniger Jahre die französische und italienische Riviera, die Costa Brava, aber auch die Insel Capri ihrer Reize beraubte.

Gleich „Blumen aus Marmor” steigen aüs dem Ultramarinblau des Meeres, zwischen dem griechischen Festland, zwischen Asien und Afrika, mehr als zweitausend Inseln und inselchen empor. Hier glomm in den Jahrhunderten der großen Wanderungen der erste Schimmer dessen auf, was später Griechenland heißen sollte: der Anfang seiner Kunst, seiner Wissenschaft und Philosophie, der Anfang des freien Menschen in einer freien Gesellschaft. Auf den Inseln schimmern antike Säulen und Ruinen, und die Bauweise der Dörfer zeigt noch deutlich Einflüsse byzantinischer und arabischer Architektur, der Baukunst des Johanniterordens und Venedigs. Die geistige Kraft der Menschen der Ägäischen Inseln war seit jeher unübertroffen. Dichter kommen von dort: Homer, Archi- lochos, Terpandros, Semonides, Alkaios, Sappho; Wissenschafter und Philosophen: Hekataios, Hero- dot, Thaies, Anaximander, Anaxi- menes, der Astronom Aristarch, schließlich Hippokrates,, der Vater der Medizin. Auch heute noch gelten die auf den Inseln Beheimateten gerne als die Weltoffeneren, Aufgeweckteren.

Noch ehe die griechische Seele aus ihrem Schlaf erwachte, blühten auf Kreta eine hohe Zivilisation und eine Kultur von fast rokokohafter Grazie. Delos, wo Apollo und Artemis geboren waren, galt als das größte Heiligtum der Griechen. Der gestürzte Koloß von Rhodos blieb das einzige Weltwunder der griechischen Geschichte; heute wartet die „Roseninsel” mit hellenistischen Tempelresten, der Burg der Kreuzfahrer und Moscheen auf. Auf Patmos hatte der heilige Johannes seine apokalyptische Vision vom Untergang der Welt. Mykonos ist berühmt durch seine vielen Windmühlen, unzähligen Kirchen und Kapellen, die meist von Fischern zum Dank für die Errettung aus Seenot erbaut wurden. Santorini, eine faszinierende, senkrecht aus den Fluten ansteigende Insel, ist entstanden aus einem Teil eines gewaltigen Unterseevulkans, der bis heute nicht zur Ruhe gekommen ist. Samos wiederum ist berühmt durch seine Töpferwaren und seinen guten Wein, Siphnos durch seine antiken Goldgruben, Syros, die wichtigste Insel der Kykladen, durch seine süße Spezialität: Loykoymia. Tinos ist das Lourdes der griechischen Orthodoxen, wo zu Mariä Himmelfahrt tausende Pilger aus ganz Griechenland herbeiströmen. Paros besitzt den weißesten Marmor, der schon im Altertum zur Quelle großen Reichtums wurde..’. Jede Insel hat ihre Besonderheiten, ihre Sehenswürdigkeiten, doch allen gemeinsam ist der strahlende Himmel, die verschwenderische Fülle an Licht, das sich an den stets frisch gekalkten Häusern und Kapellen ins Unermeßliche steigert, gemeinsam auch die tiefblauen Wellen des Ägäischen Meeres.

Mag der Hafen noch so klein sein, überall gibt es ein paar Tische, die auf die Straße oder den Platz hin- ausgestellt sind, wo man einen Cafe ture, geharzten Wein oder einen würzigen Ouzo mit einem Glas kühlen Bergwassers bekommt. Transportmittel auf den Inseln sind die Maulesel; unermüdlich ziehen sie durch die engen Gassen, ihren Eigentümern als wandernde Auslagen und Verkaufsstände für spärliche Waren dienend: Feigen, Melonen, Oliven, Zitronen, Fische, Polypen und frische Schwämme (nach denen man mühsam auf dem Meeresboden taucht). Man lebt auf den Ägäischen Inseln in größter Einfachheit, Stille und Reinheit. Die Men- ‘schen der griechischen Inseln sind bescheiden, stolz, ehrlich, gastfreundlich, doch sie lachen auch gern.

Und doch: „Viele Freuden bietet diese Welt — Frauen, Früchte, große Ideen. Doch gibt es, glaube ich, keine Freude, die das menschliche Herz so bewegt, so tief in das Paradies versenken kann, als wenn man, den Namen jeder einzelnen Insel flüsternd, auf einem hellenischen Schiff dieses Meer durchfurcht…” beteuert der große kretische Dichter Nikos Kazantzakis.

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