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Das Wort im Film

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Das Kennzeichen unserer literarischen Bildung ist überhaupt die Wortinflation. Die Folgen dessen spüren wir auch im Film. Heutzutage ist der Film noch immer mehr Dialog als optisch betonte Kunstform. Wenn man die Bühnendramatiker zu Drehbüchern verpflichtet, machen diese viel zu lange Dialoge. Bessere Erfahrung machte man mit Journalisten, die gewohnt sind, im Telegrammstil Kurzmeldungen und Artikel auf Bestellung zu schreiben. Doch den Journalisten fehlt es an der Tiefe der Konflikte. Wir warten noch immer auf den eigentlichen Filmdichter, welcher die mathematische Logik für das Dramatische und den optischen Sinn für die filmische Bewegung hätte. Dieser Filmdichter könnte dann auch dem Worte im Film den Platz geben, der ihm gehört. Viele Tonfilme erzählen die Entsdieidungen der Handlung, statt sie zu zeigen. Das ist vollkommen falsch.

Der Film als selbständige Kunst hat sich vom Theater heute so entfernt, daß er in den meisten Fällen gar nicht auf das Wort angewiesen ist. Im Film spricht das Bild, die Großaufnahme, der Schnitt — das Wort darf nur im spärlichen Einsatz erscheinen. Beim Schauspiel ist die Dekoration, die Kulisse, das Kostüm ein Element der dramatischen Versinnbildlichung, das dichterische dramatische Wort aber das Mittel zur Eroberung der sichtbaren und metaphysischen Welt. In einer erhabenen Stimmung, die das Wort schafft, kann der Zuschauer lange verharren. Der Film aber, der schon durch seine Technik immer wechselnde Bilder geben muß, ist sosehr an das dramaturgische Bedürfnis der psychologischen Auffassungsgabe des Menschen gebunden, daß er gezwungen ist, jede Szene inhaltlich in wechselnde Bilder zu gliedern. Der Filmdichter muß genau so ein Kenner des Menschenlebens sein wie ein Romansdiriftsteller und Dramatiker. Doch muß er sich außerdem noch die Kenntnis erwerben, alles, was der Dichter mit Worten ausdrückt, in wechselnde Bilder zu transponieren, die Handlung muß sichtbar gemacht werden. Nichts darf aus dem Wort abgeleitet werden. Alles muß so dargestellt werden, als ob man es mit zwei Augen sähe. Der Filmdichter muß auf das Wort als Mitteilung vollkommen verzichten tonnen. Nur ein Augenmensch kann ein Drehbuchautor sein. Das Gegenteil eines Drehbuchschreibers ist ein Dialogdiditer, der die Vorgänge mit Worten erzählt. Man wird bestimmt keinen Tonfilm ohne Dialoge machen, aber die Dialoge sollen nicht mehr als eine Zugabe sein. Die Filmhandlung darf niemals im Wort verankert sein.“Ein schlechtes Drehbuch erkennt man an langen Dialogen. So wie der Dramatiker die Lyrik, muß der Drehbuchdichter die Dialoge nur zusätzlich verwenden. Die schwierigste Aufgabe des Filmdichters ist, das Wort zu überwinden und es in Bilder aufzulösen.

Im Vergleich zum Theater müssen wir feststellen, daß das Wort im Theater der Träger des Theaterlebens sei. Träger des Filmischen ist das bewegte Bild. Wer das bedeutsame Wort für das Theater prägt, also der Dramatiker, ist sein produzierender Künstler, der Schauspieler reproduziert. Ebenso ist es im Film, nur im kleineren Umfang. Das Wort des Dichters und die Schauspielkunst sind die Elemente des Theaters, sind die Träger der Theaterkunst. Das Wort des Filmautors und die Schauspielkunst des Filmschauspielers sind aber nur Hilfsmittel der Filmkunst.

Eine der schwierigsten Aufgaben beim Betrachten der Filmkunst ist festzustellen: wie soll das Wort im Film, der Dialog im Film ausschauen, damit es im Film auch im bescheideneren Umfange am Platze wäre? Der Film hat mit der Literatur gemeinsam, daß auch sie auf einem laufenden, vom Auge verfolgten Sdiriftband die Handlung erzählt. Film und Literatur sind zeitlich fortschreitende Mitteilungen. Das Auge verfolgt beim Lesen die Zeile. Das Darstellungsmittel der Literatur ist das Wort, die Sprache ganz allgemein. Was nicht mit der Sprache gebildet, bewegt, angedeutet werden kann, was nicht in ihr Form findet, ist nicht Literatur. Was nicht mit der bewegten Bildkunst gebildet, bewegt, angedeutet werden kann, was nicht in ihr Form findet, ist nicht Filmkunst. Die Literatur entfaltet sich ganz im Material des Wortes. Literatur ist die Kunst des Wortes, wie Malerei die Kunst der Farbe und Musik die Kunst des Tones ist. Film ist aber auch ein Gesamtkunstwerk, er bedient sich der Malerei, Musik, des Wortes, der Schauspielkunst. Die literarische, zweifellos dichterische Sprache bedeutet aber im Film noch nichts, ja, sie ist geradezu ein Hemmnis. Das literarische, auch das dichterische Wort an sich ist jedenfalls nicht die Sprache des Films, so wie es auch nicht die Spradie des Dramas ist. Die Sprache im Drama muß nach Jens Soltau in erster Linie Raum und Bewegung haben, einen mimischen Charakter besitzen. Die Sprachkunst des Dramas muß im Dienst des Dramatisdien stehen. Shakespeares dichterisches Wort ruht auf mimischer Basis. Die Sprachkunst des Films muß audi auf mimischer Basis ruhen, wenn es audi von viel geringerer Wichtigkeit ist. Die Sprache des Dramas kann aber nicht auch die Sprache des Films sein. Im Film sind zum Beispiel vollkommen ausgesdilossen folgende Sätze: „Dies Mäddien, bestimmt den herrlichsten Bürger von Schwaben zu beglücken, wissen will ich, warum ich verdammt bin, sie einer Metze gleidi mit mir herumzuführen ...“ Dergleichen Gespräche widerspradien dem Realitätsanspruch des Films. Immer wird im Film das oberste Gebot sein, daß der Dialog im Film der zugrunde liegenden Realität entspricht. Der Filmdichter muß seine Dialoge so gestalten, daß er das Ungebräuchliche, Gesuchte ebenso vermeidet, wie literarisch verzierte, überkonstruierte Sätze. Der Dialog im Film darf nicht nach Maßstäben der Literatur und des Dramas beurteilt werden. Film ist keine Literatur und kein Theater. Die Worte, die für Literatur und Drama gut- sind, können für Film unmöglich sein. Der Dialogdichter muß daher die Realität studieren, er muß das wirkliche Leben beobachten, für ihn sind die Worte, die der lebendige Mensch spricht, maßgebend. Der Film als Gesamtkunstwerk darf auf das Wort nicht vollkommen verzichten, wie er auf die Musik nicht verzichten darf. Diese beiden Hilfskünste sollen die Atmosphäre des Films ergänzen. Der eigentliche Schöpfer des Films, der Regisseur, muß diesen beiden Hilfskünsten jenen Platz in dem Gesamtkunstwerk zuweisen, der ihnen je nach der Gattung des Films gehört. Bei aller Realität darf sich aber das Wort im Film nicht in platte Alltäglichkeit verlieren Eine gewisse dichterische Substanz ist auch hier notwendig, wenn auch nicht in diesem Umfang, wie es bei der epischen, lyrischen und dramatischen Literatur ist.

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