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Ein neuentdecktes Bach-Bildnis

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Bisher hatten wir kein als zuverlässig anzusprechendes Bildnis des jungen Bach. Es ist eine schöne Fügung, wenn jetzt, während der Feierlichkeiten zum 200. Todestag, zu den jüngsten Forschungen über seine Bildnisse von Raupach und Smend und den neuesten Aufnahmen des Haußmannschen Gemäldes durch Professor Widmann eine Entdeckung tritt, die uns den Meister in der Erscheinung seines kraftvollen jungen Mannesalters, aus dem Jahre 1713, nahebringt. Ähnliches erlebten wir vor (einigen Jahren, als Professor Dr. Schüne-mann jenes AHersbild von Heinrich Schütz veröffentlichte, das wir ebenfalls sogleich impulsiv bejahen konnten.

Freilich haben wir nicht die Originalarbeit von 1713. Der Blaker, das heißt genauer gesagt: die Rückwand eines Wandleuchters, dessen Mittelstück das kreisförmige, 16 Zentimeter im Durchmesser große, in Kupfer getriebene Relief darstellt, ist nach seiner .Technik etwa 120 Jahre später angefertigt worden. Durch den Blick eines Kenners vor sinnloser Einschmelzung bei der Alt-metallsammlung im Kriege gerettet, hat diese Plakette uns das meisterliche Werk bewahrt, das sein Schöpfer mit „Bach“ und „1713“ beschriftet und mit A und einer Kombination von T und F signiert hatte. Vielleicht gelingt es der Thüringer Forschung und den Kennern der deutschen Medailleurkunst des 18. Jahrhunderts dem Urheber auf die Spur zu kommen. Zweifellos war es ein Könner. Die treffliche Gestaltung der Plakette beweist, in welchem Grade er die Kunst beherrschte, in verdichteter Form einen Kopf oder, besser gesagt, eine Persönlichkeit darzustellen.

Die Zahl 1713 weist uns in Bachs zweite Wreimarer Zeit. Es liegt nichts überraschendes darin, daß uns die Plakette eines erst Achtundzwanzigjährigen entgegentritt. Man brauchte damals nicht sehr berühmt oder 50 Jahre tot zu sein, um auf diese Weise geehrt zu werden. Im Auftrag oder aus freundschaftlicher Anteilnahme oder aus künstlerischem Anreiz wurden oft solche Einzelstücke hergestellt. Und Bachs Ruhm als Orgelspieler, als Komponist und Lehrer leuchtete schon weithin.

Wir haben keinen Augenblick der Fremdheit zu überwinden, wenn wir uns in das Profilbild versenken. Es ist der uns vertraute Kopf, nur jünger, blühendkraftvoll, ungemein anziehend bei aller deutlich spürbaren Energie. Es ist eine in sich ruhende, ausgeglichene, konzentrierte Persönlichkeit. Perücke, Halsbinde, Rock entsprechen völlig der angegebenen Zeit.

Besonders bedeutsam ist folgende Überlegung: Bei der Suche nach Bachs Gebeinen auf dem ehemaligen Johannes-Kirchhof in Leipzig wurde am 22. Oktober 1894 das Skelett eines älteren Mannes aufgefunden. Die vom Rat der Stadt eingesetzte Kommission erklärte in ihrem Schlußurteil vom 8. März 1895, daß die Identität mit Bachs Gebeinen in hohem Grade wahrscheinlich sei. Es war dem Bildhauer Seffner gelungen, über dem Schädelabguß unter Berücksichtigung aller bekannten Gemälde und Stiche und „unter strenger Innehaltung eines für die Gesichtsoberfläche anatomisch festgestellten Systems von Punkten die charakteristisch porträtähnliche Büste von Johann Sebastian Bach zu formen“.

Vor uns liegen die Abbildungen des Schädels, der Seffnerschen Umkleidung des Schädels in ihren verschiedenen Stadien und der vollendeten Porträtbüste — ebenfalls im Profil. Und wenn wir das neue Bildnis daneben halten, dann finden wir den Gesamteindruck auf das glücklichste bestätigt: dies ist das so viel jüngere Ebenbild jener anerkannten

Rekonstruktion von Künstlerhand über dem erhaltenen knöchernen Gehäuse. Und ebenso stimmen die entscheidenden Einzelzüge überein mit den wissenschaftlichen Feststellungen, die der Anatom an Bachs Schädel getroffen hatte: die gewölbte, etwas zurückweichende Stirn-, die Augenbrauenbogen, die nach der Mitte hin in einen starken Stirnnasenwulst übergehen; der fiele Einschnitt der Nasenwurzel, aus dem der Nasenrücken in scharfem Winke.l hervortritt; der etwas hervorstehende Unterkiefer.

Und nun ist es so: Wenn der authentische Werl unseres Bildnisses durch seine Entsprechung zu jenen anatomischen und künstlerischen Erfordernissen gehoben wird, so stellt umgekehrt die neu aufgefundene Plakette, die dem Bildhauer Seffner und der ganzen Bach-Forschung unbekannt war, einen neuen Beweis für die saubere und, gewissenhafte Arbeit jener Männer von 1894 95, einen neuen Beweis für die Identität des auf dem Johannes-Kirchhof aufgefundenen Schädels mit dem Schädel Bachs. Es ist ein Parallelfall zu jener alten Leistung geschichtlicher Quellenkritik, die auf Grund ihres methodischen Könnens das historische Dasein eines bestimmten Annalenwerkes (annales Paterbrunnenses) bis in seinen Wortlaut hinein behauptet hatte und nach langen Jahren durch die Auffindung des Originals einen Triumph sondergleichen erlebte.

Trotz der noch bestehenden Lücken in unserer Kenntnis von der Entstehung des Kunstwerkes wird der Kreis der Bach-Verehrer eine reine Befriedigung bei der Versenkung in dies neue Bach-Antlitz empfinden. Durch die meditative Kral, die jeder künstlerischen Formung eigen ist, bringt es uns dem Dargestellten und seinem Werk näher. Von dem Original stellt der Kasseler Bronzegießer Wassermann jetzt Bronzeabgüsse her. Den ersten hat der Bärenreiter-Verlag dem Präsidenten der Internationalen Bach - Gesellschaft, Professor Dr. Albert Schweitzer, übersandt. Auf der großen Bach-Ausstellung in Göttingen anläßlich des Göttinger Bach-Festes wird die Plakette zum erstenmal der Öffentlichkeit gezeigt werden.

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