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Festival der Millionäre

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Cage, Cunningham, Calder, Haubenstock-Ramati, Miro, Chagall, Marcüse, Tal Coat, Stockhausen...sie alle genießen Gastrecht bei Maeght in Saint-Paul, unweit der' Cöte d'Azur. Und viele andere der internationalen Künstler-und Denkerprominenz. Nun, sie sind eines der exklusivsten Festivals Europas, die Nuits de la Fondation Maeght, ein Fest der renommierten Avantgarde und der Millionäre Europas und der USA, die in den strahlenden Luxusvillen rund um das bezaubernde mittelalterliche Städtchen Saint-Paul in Südfrankreich sich einmal im Jahr Rendezvous geben. Seit Aime Maeght, einer der prominenten Experten und Manager neuer Kunst in Frank- reich (und überhaupt), 1964 seine Fondation gegründet hat und einen Centre d'Art, quasi Villa mit Kunstgalerien, drinnen und „open air“, errichten ließ, ist turbulentes Leben auch in den romantisch-malerischen Ort eingezogen. Oie Fondation Marguerite et Aime Maeght in Saint-Paul (mit Zentralsitz in Paris in der Rue de Teheran) gesehen zu haben, ist für jeden Kunstliebhaber, der für das Oeuvre Chagalls, Miros, Calders, Giacomettis etwas übrig hat, unerläßlich geworden. Erst recht für Kunstexperten und vor allem für internationale Sammler, die natürlich fast alle zum Kundenkreis der Maeghts gehören und bei ihnen in Paris ihre bedeutenden Kostbarkeiten erworben haben.

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Cage, Cunningham, Calder, Haubenstock-Ramati, Miro, Chagall, Marcüse, Tal Coat, Stockhausen...sie alle genießen Gastrecht bei Maeght in Saint-Paul, unweit der' Cöte d'Azur. Und viele andere der internationalen Künstler-und Denkerprominenz. Nun, sie sind eines der exklusivsten Festivals Europas, die Nuits de la Fondation Maeght, ein Fest der renommierten Avantgarde und der Millionäre Europas und der USA, die in den strahlenden Luxusvillen rund um das bezaubernde mittelalterliche Städtchen Saint-Paul in Südfrankreich sich einmal im Jahr Rendezvous geben. Seit Aime Maeght, einer der prominenten Experten und Manager neuer Kunst in Frank- reich (und überhaupt), 1964 seine Fondation gegründet hat und einen Centre d'Art, quasi Villa mit Kunstgalerien, drinnen und „open air“, errichten ließ, ist turbulentes Leben auch in den romantisch-malerischen Ort eingezogen. Oie Fondation Marguerite et Aime Maeght in Saint-Paul (mit Zentralsitz in Paris in der Rue de Teheran) gesehen zu haben, ist für jeden Kunstliebhaber, der für das Oeuvre Chagalls, Miros, Calders, Giacomettis etwas übrig hat, unerläßlich geworden. Erst recht für Kunstexperten und vor allem für internationale Sammler, die natürlich fast alle zum Kundenkreis der Maeghts gehören und bei ihnen in Paris ihre bedeutenden Kostbarkeiten erworben haben.

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Jedenfalls hat Monsieur Aime schon so viele große Maler und Plastiker der letzten Dezennien „gemacht“, daß er in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts als einer der großen Anreger heute einen entscheidenden Platz hat. Und es bleibt abzuwarten, wen er noch entdecken wird. Sozusagen drauf und dran ist er immer, wenn's um das Aufspüren von großen Begabungen geht: So zählt zu seinen jungen „Stars von morgen“ etwa Alain Le Yaouanc, dem er heuer eine besondere Aufgabe zuteilte: die Decors zur Uraufführung der „Anti-Oper“ „La Comedie“ des international renommierten österreichischen Komponisten Roman Haubenstock-Ramati zu entwerfen, die dieser nach Samuel Becketts Text als Auftragsarbeit für Maeght schuf. Es war bereits das 4. Festival „de Musique et d'art contemporains“ in der Reihe der „Nuits“, reich an künstlerischen Sensationen und Kontrasten, von Francis Miroglio glänzend organisiert und — was heutzutage bei Festivals so selten geworden ist — von Persönlichkeiten für ein exklusives Publikum gestaltet, dem aller Durchschmttsge-schmack zuwider ist. TV und Film war da mit von der Partie. Und gewagt-kapriziöse Extravaganz der Avantgarde, grandseigneural diktiert und mit geistigen Leitlinien vom alles formenden Hausherrn versehen, war da natürlich Atout. Uberhaupt, man kann stets gewiß sein, in Saint-Paul bei künstlerischen Ereignissen mit dabeizusein. 1966,

als John Cage mit Merce Cunning-hams Balletttruppe dort gastierte, ebenso wie heuer oder in Zukunft ...

Diesmal sah man vor allem zwei Attraktionen, großartige Beispiele neuen Musiktheaters: eben Haubenstock-Ramatis Werk und Francis Miroglios „Tremplins“ (ausgeführt vom Conoert Ensemble Musique VI-vante unter Diego Masson, Regie: Jacques Poliert, Dekorationen: Le Yaouanc); man hörte eine Menge neuer Musik Werke von Girolamo Arrigon, Jean-Pierre Guezec, Anton von Webern, Luis de Pablo, Mau-ricio Kagel, Luc Ferrari, dann ein Karlheinz Stockhausen gewidmetes Konzert mit Uraufführungen dreier Versionen seiner „Spirale“. Ferner gab's Experimentfilme von Bury, Calder, Kemeny, Maas, Matisse, Portabella, Riopelle, Tapies und anderen, schließlich im Museum eine grandiose Schau „Matisse und seine Freunde“.

Das sensationelle Ereignis für die internationale Musikwelt war Haubenstock-Ramatis „Comedie“, für deren Präsentation man im Hof der „Fondation“ extra sechs Publikumstribünen, bienenwabenartige Gebilde, die teilweise über die Dächer der Galerien wuchsen, errichtete. Roman Haubenstock-Ramati, knapp 50 Jahre alt, geboren in Krakau, einer der wichtigsten Vertreter der österreichischen Avantgarde, der sich im neuen Musikleben Europas und der USA einen hervorragenden Platz erarbeitet hat, lebt und schafft in Wien. Obwohl ihm das Ausland

Roman Haubenstock-Ramati

sehr häufig verlockende Angebote macht. Immerhin, er reist viel, lehrt an Universitäten, leitet Seminare, bald in Buenos Aires, bald in New York oder Stockholm, neuerdings sogar in Tel Aviv. Und er komponiert viel und intensiv. Aufträge drängen einander: Eben wurde „Multiple II“ für Friedrich Cerhas Ensemble „die reihe“ fertiggestellt (Uraufführung in einer vom Komponisten fixierten Version beim diesjährigen Grazer Musikprotokoll im Oktober). Multiple III, IV, V folgen in verschiedenen Besetzungen, von zwei bis zehn Instrumenten, wobei dais musikalische Material gruppenweise identisch sein wird. Ferner: das Lasalle-Quartett erwartet ein

Werk von ihm. Der Süddeutsche Rundfunk Stuttgart bestellte ein Orchesterstück, das Michael Gielen dirigieren soll, Rolf Liebermann erbat für die Hamburger Oper ein neues Opus, wobei Haubenstock allerdings noch auf Librettosuche ist.

Für deutsch- und englischsprachige Aufführungen der „Comedie“ arbeitet der Komponist eben an den beiden Neufassungen, die vollständig neu komponiert werden müssen: „Weil die Klangfarben und Strukturen der Sprachen zu unterschiedlich sind und ich auf auch optisch .richtige' Partituren enorm viel Wert lege“.

Nun, aufs Optische legt Haubenstock besonders viel Wert. Mit Malerei etwa hat er sich schon immer befaßt. Gerade Partiturbilder, We-berns und Debussys besonders, haben ihn von Kindheit an fasziniert. Das Kopieren hat ihm sogar Spaß gemacht. Und er malt noch heute und arbeitet — so nebenbei — an einer Graphikmappe, die er in einem österreichischen Verlag herausbringen möchte ... Sein Kommentar: „Partiturseiten müssen mich optisch befriedigen, das Material muß wie bei einem graphischen Kunstwerk .richtig' arrangiert sein, muß einer inneren Logik gehorchen. Schlechte Partiturbilder repräsentieren kaum gute Musik.“

In der „Comedie“ hat Haubenstock-Ramati Becketts französischen Text ohne Veränderungen übernommen, die zerfallende Konversation zwischen Gattin, Gatte und Freundin mit all ihren diffizilen, nach innen gerichteten psychischen Spannungen mit musikalischen Mitteln nachvollzogen. „Sarkophagen, Tonkrügen — und nicht mehr wie bei Beckett Abfallkübeln — gleich stehen die drei nebeneinander, leblose Masken, sprechen ihre Monologe“, Zahnrädern ähnlich, die in immer gleichem Rhythmus ineinandergreifen. Dem Licht kommt eine besondere Aufgabe zu: „In der Ex-

position beleuchtet es jeweils den Sprechenden, in der Reprise dieses .klassischen Rondos' diktiert es, wann jeder Akteur mit seinem Part einsetzen oder aufhören muß. Das ergibt eine reizvolle kombinatorische Bauweise, unzählige Permutationen. Tonbandaufnahmen, die von in einem Halbkreis aufgestellten Lautsprechern ausgestrahlt werden, so daß das Tonmaterial .wandert', multiplizieren sozusagen das Geschehen.“ Die „Comedie“ ist — trotz vieler Probleme — ein Werk, das mit geringen Mitteln aufgeführt werden kann: drei Parsonen — für die deutsche Fassung denkt Haubenstock-Ramati natürlich an Gertie Charlent, William Pearson und Marie-Therise Cohn, die übrigens gemeinsam mit Genevieve Roblot und Luis Masson die französische Fassung sangen —, drei Schlagzeuger, die ihre in der vertikalen Abfolge nicht kontrollierten Geräusche vor Kontaktmikrophonen produzieren, ein paar Projektionen ... das ist alles. Für die Sänger gibt's drei Vortragsweisen: automatisches Rezitieren, Sprechen mit einzelnen Akzenten, melodische Deklamation, ohne jemals in den Bel-canto zu verfallen. „Mit der Bezeichnung ,Anti-Oper' gebe ich lediglich dem Regisseur Spielanweisungen, vor allem die Aufforderung, Konventionen der Oper szenisch zu brechen.“ Über die Uraufführung in Saint Paul beim Festival der Millionäre war Haubenstock glücklich. Sein Mjähriger Sohn Alexander übrigens auch, der hier erstmals ein bdisserl internationale Luft riechen, die mondäne Welt miterleben durfte. Des Vaters Erfolg war für ihn ein „Mordserlebnis“.

Wien sollte sich übrigens jetzt die Chance nicht entgehen lassen, das Werk im Konzerthaus oder im Museum des 20. Jahrhunderts zu präsentieren. Der Österreicher Roman Haubenstock-Ramati hätte es längst verdient. '

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