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Neue Ziele und Wege der Kartographie

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Ein junger Gelehrter zu Paris hat es sich zum Ziele gesetzt, durch eine neue Art der kartographischen, Darstellung wissenschaftlich festgelegter Tatsachen seine Vorträge und Bücher derart einprägsam zu gestalten, daß Bücher und Vorträge, die sich etwa mit der wirtschaftlich-geschichtlichen Entwicklung eines Landes beschäftigen, fast ohne Worte verständlich werden sollen. . In einem einfachen Miethaus in der Nähe des Montmartres sind die weiß-getünditen Räume einer Wohnung mit Karten und Plänen über und über bedeckt. Auch auf den riesigen Tischen liegen sie in bunter Fülle da.

Hier sind statistische und kartographische Darstellungen in der Hand eines großen Künstlers zu farbigen Bildern geworden, die schon an sich schön zu nennen sind und wie wertvolle Imprims irgendeines großen Pariser .Modehauses wirken -oder an die bunten phantasievollen Farbenmuster der Tiefseefische erinnern, die man einst im Aquarium von Neapel und im Meeresmuseum des Prinzen von Monako sehen konnte. Im ersten Augenblick erfreut man sich nur an den Farben selbst, an den Mustern, die wahre Orgien von bunten Bällen, Kreisen, Ellipsen, Oktogonen, Wellen und Linien darstellen.

Allein schon die Farbgebung der ethno-graphisdien, der politischen- und der statistischen Landkarten und Pläne ist unge-, wohnt. Vom zartesten Rosa des abendlichen Horizonts bis zum dunkelroten Violett sind alle Nuancen dieser Farbe verwendet. Blau und Grün erreichen in ihren Tönen das flammende Orange der Spiele des Feuers. Die Landkarten werden hier zu einem Hohenlied der Farbe selbst.

Hat man sich aber einmal daran sattgesehen und den Eindruck dieser neuen Art der Karten und Pläne in sich aufgenommen, dann ist man erst recht begierig, zu wissen, was diese farbigen Zeichen allesamt zu sagen haben. Mit unendlicher Geduld erklärt ihr Schöpfer ihre Bedeutung und man folgt ihm in den Bannkreis seiner Statistiken, man hört die Zahlen der Be-völkerungszur und -abnähme, lernt die Güter der Ernährung in ihrer Verteilung über das Land kennen Das Vorkommen der Schätze der Erde, des Bodens, der Industrie und des Gewerbes prägen sich durch diese Karten alsogleidi auch geographisch ein. .\.;

An Hand der kartographischen Darstellung des Künstlers geht man wie durch ein neues Land des Geistes und der Wissenschaft. Klar und einfach tun sich die wichtigsten Fragen des wirtsdiaftlidien Lebens eines Landes auf und finden ihre Antwort. Einfach, kurz und deutlich durch Verteilung und Größe der Kreise und Ellipsen, Quadrate und Oktogone.

Man ist in der Wohnung und in dem Atelier des Kartographen, der mit dem jungen Gelehrten zusammenarbeitet. Er hatte diese Art der Kartographie gefordert, um durch neue Wege der Darstellung seinen Schülern das Studium der Wirtschaftsgeschichte zu erleichtern und um seine Forschungsergebnisse wie auf einem edlen Instrument einprägsam wiedergeben zu können.

Daß das Ziel der neuen Lehrmethoden mit diesen kartographischen Darstellungen fast schon bis zur,Vollkommenheit erreicht wurde, beweist, daß auch ein Laie diese schematischen Bilder nie wieder vergißt. Sie prägen sich selbstwillig dem Gedächtnis ein und sind gleich memnotechni-schen Merksteinen daraus herauszuholen. So bezeichnen die dunkelviolettroten Kugeln das Wachstum köstlichen Weines, die hohen hellen Dreiecke sind die Ähren goldgelben Korns. Schwarze Oktogone zeigen das Vorkommen wertvoller Kohle, in ihrer Nähe fehlt das Grün der Dreiecke der Maulbeerpflanzungen, das Rosa der Kreise, die die Früchte angeben! Eine andere Karte bringt die bunte Darstellung dessen, was in Frankreich aus-, was eingeführt werden muß. Die nächste, was da und dort an Produkten des Landes verarbeitet wird. Man blättert in diesen Karten wie in einem Buche. Beglückend, mit solchen Unterrichtsmitteln lehren und aus ihnen lernen zu können!

Der Gelehrte und der moderne Meister der Kartographie sind über ihrer ringenden, ernsten, gemeinsamen Arbeit zu Freunden geworden. Sie sind zwei markante und interessante Persönlichkeiten des neuen Paris.

Der Gelehrte, jung, lebhaft, mit eiserner Energie und unbeugsamem Willen. Sein Idealismus, seine Vaterlandsliebe sind so groß und so glühend, daß sie in ihm eine außergewöhnliche Arbeitskraft ausgelöst haben. So real und gegenständlich er lebt, sdieint sein privates Schicksal völlig hinter dem seiner wissenschaftlichen und vaterländischen Ziele zurückzutreten und davon überschattet zu sein... Und doch gibt es wenig Menschen, denen es so gegeben ist wie diesem Professor mit den klugen und gütigen Augen, bei seinem bloßen Erscheinen alle Anwesenden völlig unter .seinen Scharm, aber auch gleichzeitig völlig unter seinen Willen zu stellen.

An einen der ersten Lehrstühle von Paris berufen, hatten seine neuen Lehrmethoden Aufsehen erregt. Anerkennung und Freundsdiaft der Größten der Großen und deren weise Erfahrung, die zu geben, aber auch zu verweigern verstand, hatten dem jungen Kollegen vom ersten Tag zur Seite gestanden. Heute ist er einer von ihnen — einer der Frankreidis großen Schatz — die Heranbildung der Jugend — in seinen Händen hält und diese mit seinem Feuergeist den steilen Weg seiner Begeisterungsfähigkeit aufwärts führte.

Der Schöpfer der Pläne und Karten aber wirkt still und in sich gekehrt — einfach und unauffällig. Nur seinem Werke hingegeben, arbeitet auch er wie ein Besessener an der Sdiöpfung der Unterlagen, derer diese modernen Lehrmethoden bedürfen. Selbstlos, sich selbst verwischend, nur das Ziel allein im Auge — auch er ein Auserwählter, ein Schöpfer einer neuen Kunst —, ein Meister einer modernen Kartographie, die von Paris aus, in der Hand dieser beiden Freunde, die Welt erobern wird.

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