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OTTO WETTSTEIN / ENTDECKUNGSFAHRTEN DURCHS TIERREICH

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Auf dem mahagonifarbenen Flügel im weitläufigen Wohnzimmer, nahe beim Belvedere, liegt eine große Urkundenhülse: sie enthält das Doktordiplom, das die Universität Wien vor kurzem dem Zoologen Univ.-Prof. Dr. Otto Wettstein zum fünfzigsten Jahrestag seiner Promotion verlieh. „Damals, 1915, hatte sich der gewiß seltene Fall ergeben, daß der Vater als Promotor des Sohnes fungierte“, erzählt der Gelehrte lächelnd. Dieser Vater, Richard Wettstein, war einer der bedeutendsten Botaniker seiner Zeit, und zumindest sein Porträt kennt heute jeder Österreicher, denn der Mann mit dem Lueger-Bart ist auf der Fünfzigschillingnote abgebildet.

In den frühesten Jugenderinnerungen Otto Wettsteins spiegelt sich das alte Prag, wo er, gebürtiger Wiener, Jahrgang 1892, die ersten sechs Jahre seines Lebens verbrachte. Ihr altertümliches Adelsprädikat „von Westers-heimb“ führte die Familie seit den Türkenkriegen, als ein Vorfahr in Würdigung seiner vorbildlichen Verwaltung der Kriegskasse Prinz Eugens nobi-liert wurde. Da Wettstein junior nicht nur väterlicher-, sondern auch mütterlicherseits naturwissenschaftlich „erblich belastet“ war, gab es für ihn kein Problem der Berufswahl. Hatte er bisher während des Sommers auf dem Besitz der Eltern in Tirol alles zusammengetragen, was ihm des Sammeins wert erschienen war — Gesteinsproben, Mineralien, Pflanzen, Schmetterlinge, Tierbälge, Schädel, Jagdtrophäen —, so entschied er sich nun für die Zoologie, ohne indes die vielfältigen Verbindungen zu den anderen Disziplinen der Naturwissenschaft zu vernachlässigen.

Schon während des Studiums spezialisierte er sich auf die Wirbeltiere. „Nicht zuletzt deshalb, weil ich mich darüber ärgerte, daß in dem großangelegten“,Catalogue of the Mammals of Western Europe', der 1912 in London veröffentlicht wurde, die Fauna des österreichischen Rau-

mes kaum behandelt war. Ich faßte den Vorsatz, diese Lücke auszufüllen.“ Zunächst bot sich aber eine andere verlockende Aufgabe: Wettstein, noch stud. phil., nahm an einer Expedition in den Sudan teil. Dort lernte er, kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges, den legendären angloägyptischen Österreicher Slatin-Pascha kennen. Die nächste Studienreise führte den angehenden Zoologen nach Lappland. 1920 als Kustos am Natur-historischen Museum angestellt, verbrachte der junge Wissenschaftler, wie er selbst sagt, einige Jahre damit, „Glasein zu schupfen“, um die Bestände der Reptilien- und Amphibienabtei-lung zu zentralisieren und neu zu ordnen. Sie ist, was übrigens in der Öffentlichkeit kaum bekannt sein dürfte, mit ihren 200.000 Präparaten eine der größten Reptilien- \ und Amphibiensammlungen der Welt.

Während der zwanziger Jahre publizierte Wettstein als Ergebnis seiner praktischen und theoretischen Forschungsarbeit die „Beiträge zur Säugetierkunde Europas“. Dem Methodiker gelang die Entdeckung zahlreicher bis dahin unbekannter einheimischer Tierarten, namentlich kleiner Nager, wie ja überhaupt die zoologische „Feinsystematik“, die wissenschaftliche Registrierung sogenannter „geographischer Rassen“,

also regionaler Varianten ein und derselben Gattung, sein Spezialgebiet ist, auf dem er sich den Ruf einer Kapazität internationalen Ranges envarb.

Mehrere Reisen nach Griechenland waren dem Studium der Eidechsenarten auf den ägäischen Inseln gewidmet, wobei der Gelehrte über die unmittelbare zoologische Zielsetzung hinaus durch vergleichende Forschung auch der Paläogeographie wertvolle Erkenntnisse über die Erdgeschichte der Ägäis vermittelte. Die Auswertung dieser Untersuchungen und Beobachtungen ergab Wettsteins vielbeachtete „Herpetologia Aegaea“.

Otto Wettstein hatte sich bereits in den dreißiger Jahren an der Wiener Universität habilitiert und hält seit geraumer Zeit, jeweils im Wintersemester, Vorlesungen über Systematik und Ökologie der Wirbeltiere. Die Mitarbeit an dem von der Akademie der Wissenschaften edierten „Catalogus Faunae Austriae“ rundet das Lebenswerk dieses bedeutenden Zoologen ab, der zudem durch sein volksbildnerisches Wirken bewies, daß seine Entdeckungsfahrten durch das Tierreich nicht an jenen Grenzen enden, die den streng wissenschaftlich orientierten Fachmann von der Allgemeinheit interessierter Laien trenne \

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