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Pariser Ausstellungen

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Paris, dieses Kaleidoskop unendlicher menschlicher Möglichkeiten, ist eine Stadt von hohem Bewußtsein (dies rechtfertigt ihren Ruf und ihre Ambitionen), ist die eigentliche Sinnerfüllung der urbanen Lebensform. In dieser Stadt wird jeder Konflikt zum künstlerischen Ereignis, der jede Existenz erfüllt, die vom Bewußtsein gelenkt wird: ein Konflikt, dessen Kennzeichen ist, daß mit dem Kopf gefühlt wird, wie Grillparzer 1836 aus Pari6 schrieb. Die Kunst, die von dieser Welt hervorgebracht wurde, ist legitimer Beweis der Erkenntnis, daß hier der Mensch von einer doppelten Spannung lebt: indem er sich zur Schau stellt, enthüllt er sich. Die szenische Bildordnung (man denke an Callot!) ist der eine Aspekt französischer Kunst, der ergänzt wird durch den indiskreten Blick hinter die Kulissen.

Überlegungen dieser Art kommen einem beim Betrachten von Manets „Nana", die das Plakat der Ausstellung von „M e i s t e r- werken des Impressionismus aus deutschen Museen" an alle Pariser Plakatwände und in die Auslagen vieler Geschäfte versetzt hat und so zum populärsten Bild dieser einzigartigen Schau machte. Es sei am Rande erwähnt, daß in der Orangerie nach sechs Wochen bereits 90.000 Besucher gezählt wurden. Manets Meisterwerk steht in der Orangerie in guter Gesellschaft. Es ist buchstäblich das Beste vereinigt, was deutscher Museumsbesitz zu geben vermochte. Tschudi und Lichtwark waren die Museums- leute, die der mo-dernen französischen Kunst zu einer Zeit ihr Interesse zuwendeten, als dieęe im eigenen Land noch umstritten war und die öffentlichen Museen verschlossen fand. Methodisch auswählende Sorgfalt brachte den Reichtum der Sammlungen in München, Berlin, Hamburg, Bremen und Essen zusammen. Und der Besucher der Ausstellung in der Orangerie hat heute die seltene Gelegenheit, die deutschen Leihgaben mit den Impressionisten des Louvre zu vergleichen, die im Jeu de Paume — also gleich gegenüber — in beispielhafter Weise untergebracht wurden. Man verläßt diese Säle mit der Einsicht, daß es hier gelang, die Lebensform einer Epoche zur Kun6tform zu steigern, daß jedes dieser Bilder sowohl zeitgeschichtliches Dokument als auch Kunst ist. Hinter der gefälligen Aktualität dieser Malerei verbirgt sich ihr strenger Anspruch auf künstlerischen Form- und Sinngehalt. In der „Impression“ 6teckt, was im 19. Jahrhundert noch vom „Genre" weiterlebte, zugleich aber die Möglichkeit, damit eine private bekenntnishafte Mitteilung von der Art zu verknüpfen, wie sie später zum gegenständlichen Kern des Expressionismus wurde. Dieser erwarb sich die Eindeutigkeit der persönlichen Aussage um den Preis jener Ambivalenz, die den Impressionismus zu einer reizvollen Grenzsituation in der Malerei des 19. Jahrhunderts macht.

Eindeutig romantisch-expressiven Ursprungs sind die Frühwerke Kandinsky 6, die eben in der Galerie Maeght zu sehen sind. Eine Exposition von wunderbarer Geschlossenheit, die uns den Kandinsky der Jahre 1910/12 in etwa 20 Beispielen vorführt. Es sind die Münchener Jahre der Gemeinschaft mit dem Blauen Reiter, welche die entscheidende Wendung zur absoluten, vom Gegenstand befreiten Farbe und zur dynamisch entworfenen Form erbrachten. Schon in den bayrischen Dorfgassen und den glutroten Sonnenuntergängen (bei denen man an den frühen Munch denkt) schließt sich die Farbe zu glasflußartigen Körpern zusammen, die wohl hie und da noch an die Butzenscheibenromantik der Jahrhunderwende denken lassen. Und dann peitschen plötzlich grelle Stürme über die Leinwand: jene apokalyptischen Farbvisionen werden geboren, die jeder kennt, dar nur je von Kandinsky gehört hat.

Paris war die Stadt, in der dann das Lebens- werk des Künstlers entstand, deren kühlere geistige Temperatur das Chaos seiner deutschen Jahre glättete und beruhigte. Kandinsky be6chritt den Weg der Mäßigung, auf dem die „eiarte" der „dė6involture" begegnet und jene Synthese begründet, der die verbindliche geistige Macht der Seinestadt verbürgt.

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