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Prakolumbische Kunst - zu Hause

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Der Otto-Walter-Verlag hat sich um das Vermächtnis der altamerikanischen Kulturen an unsere „zivilisierte“ Welt ein bleibendes Verdienst erworben. Er hat durch populäre Darstellungen des alten Mexikos („Ein Reich geht unter“ von Fritz Schäuffele) und Perus („Im Reich der Inkas“ von Siegfried Huber) zur Kenntnis dieser untergegangenen hochentwickelten Kulturen beigetragen, und mit dem geistigen Gut der Prärieindianer, ihren Überlieferungen, Mythen und Geheimlehren („Ich rufe mein Volk“ und „Die heilige Pfeife“ von Schwarzer Hirsch) den deutschen Sprachraum erstmals bekanntgemacht. Dieses noch nicht genügend bedankte Werk, konsequent auf Kulturgut hinzuweisen, das uns gerade in der heutigen Weltsituation einiges zu geben vermag, findet jetzt seine Krönung in der Herausgabe des prachtvollen Tafelbandes „Altamerikanische Kunst“, die gemeinsam mit dem Verlag Phaidon Press in London erfolgt.

Wir haben vor ungefähr einem Jahr, aus Anlaß des Berichtes über die Ausstellung „Kunst der Mexikaner“ im Züricher Kunsthaus unter dem Titel ..Das Volk der Bildhauer“, zum erstenmal auf das bevorstehende Erscheinen dieses großangelegten Werkes hingewiesen und eine Bildprobe abgedruckt. Inzwischen hat die Ausstellung über München, Köln und Berlin ihren Weg nach Wien gefunden und ist im Künstlerhaus, vermehrt durch Leihgaben des Wiener Völkerkundemuseums, unter dem Titel „Präkolumbische Kunst“ aufgestellt worden; 25.000 Besucher haben die Ausstellung schon in den ersten Wochen besichtigt. Und nun liegt auch das Buch ausgedruckt vor uns. Wie für die Ausstellung genügt ein Tag nicht, all die Schätze zu bewundern, die es birgt. Auf rund 170 Farbtafeln und mehr als 100 Schwarzweißbildern wird, meisterlich und raffiniert photographiert, eine Fülle der erlesensten Dinge vor uns^ausgebreitet: Masken aus Kalk-Onyx, Kalkstein, grünem Serpentin und Jadeit im Stil von Teotihuacan, Mexiko. Dämonisch ins Leere blickende Ton- und Jadefiguren aus der frühesten archaischen Zeit. Ein Mann, als Jaguar verkleidet, aus Serpentin im olmekischen Stil. Jaguarmasken aus Marmor und Bergquarz. Köpfe aus Basalt, Kalk-Onyx und Ton im brutalen Stil von Veracruz. Das berühmte Fresko aus Tetitla bei Teotihuacan, das den Priester des

Regengottes Tlaloc zeigt, unterwegs zum Tempel, wo er um Regen flehen will.

Höhepunkte der Bildhauerkunst sind die Statue der aztekischen Göttin Tlazolteotl, dargestellt im Moment des Gebärens (Aplit mit Einschüssen von Granat) und die blutdurchpulste Jadeitfigur eines sitzenden Kaninchens. Und dann die Schlangensteine aus Porphyr, aus dunkelolivgrünem Basalt und aus Quarzdiorit, in die zuweilen, als unentzifferbare Chronik, Jahreshieroglyphen gezeichnet sind! Und erst all die kostbar gearbeiteten Schmucksachen aus Gold und edlen Steinen! Seitenlang müßte man weiter aufzählen, um jedes einzelne Stück, das einen bewegt, auch nur zu nennen; und auf viele möchte man Hymnen schreiben, sie zu rühmen.

Alle die Schätze, die in diesem Buch abgebildet sind, entstammen der berühmten Sammlung des Amerikaners Robert Woods Bliss in Washington. Nun ist sie auch allen denen zugänglich geworden, die nicht nach Washington kommen können, und wir haben die Möglichkeit, die präkolumbische Kunst zu Hause zu genießen.

Über den herrlichen Bildern ist man geneigt, die ausgezeichnet einführenden Texte zu übersehen, die dem Buch beigegeben sind. Professor S. K. Lothrop schrieb über Kulturen und Stile in Mexiko, im Gebiet der Maya, in Zentralamerika und im Andengebiet, W. F. Foshag über Mineralien, Joy Mahlcr über Textilien und wiederum S. K. Lothrop über die Metallurgie in der Neuen Welt, so daß wir nicht nur die geistige Bedeutung der Kunstwerke begreifen, sondern auch die Materialien, aus denen sie gefertigt wurden, näher kennenlernen. Ausführliche Erläuterungen zu jedem einzelnen Bild, Karten und Übersichtstafeln beschließen den Band, der auch drucktechnisch ein Meisterwerk darstellt.

Eine versunkene Welt tut sich hier vor uns auf und hält uns lange gefangen. Viele Saiten unserer Seele vermag sie anzurühren, helle und dunkle, und bei manchem der Bilder ist's uns, als blickten wir in einen Spiegel, der ein vergangenes Ich bewahrt hat — wie in jenem seltsamen Mosaikspiegel aus Pyrit, Türkis und Muschel, gefunden auf dem Boden des alten Peru, aus dem uns stilisierte Menschengesichter ansehen mit großen Augen und hellen Tränenbahnen darunter.

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