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ZOLTAN KODALY / BEGEGNUNG IN BUDAPEST

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Das Budapester Haus, in dem der nunmehr Achtzigjährige wohnt, steht in der „Nipköztärsasäg ütja“, der Straße der Volksrepublik, und stammt wie alle umliegenden Zinshäuser und Villen aus einer Zeit, als dieser breite Boulevard noch „Andrässy üt“ hieß. Die ge-räumigen Zimmer des Künstlerheimes (ohne Anführungszeichen) sind mit soliden altmodisch-bürgerlichen Möbeln eingerichtet. Überall Erinnerungen an die Jahrzehnte reichen Schaffens, viele Bilder, viele, viele Gesichter und Namenszüge. Auf den Borden altungarische Töpferei, von den Wanderfahrten durch die Heimat mitgebracht. Draußen, vor den Fenstern, wechselten die Straßenschilder, stürzten

Symbole, geht die Zeit ihren unruhigen Lauf. Hier aber, in der persönlichen Umwelt des Komponisten, spricht ein tieferes Ungarn, wirkt durch die ungebrochene Kraft seines Wesens, den Wechselfällen der Geschichte und den politischen Umwälzungen entrückt.

Um die Jahrhundertwende, als Zoltän Kodäly zum Musikstudium nach Budapest kommt, haben magyarisches Melodiengut und ungarische Stilformen schon längst die musikalische Welt erobert. In glühenden Farben hatte Liszt das Bild eines Ungarntums im Makartstil geschaffen, eine Puszta mit Samtdraperien, Brahms war von den Tanzformen dieses seltsamen Volkes fasziniert worden, und Europa begeisterte sich am phantastischen orchestralen Husarenritt. Für den jungen Musiker wird die zu jener Zeit intensiv betriebene folkloristische Bestandsaufnahme richtungweisend, für die gerade der östliche Teil der Monarchie und der Balkan ein weites Betätigungsfeld boten. Die Begegnung mit dem Akademiekollegen Bila Bartdk bringt die entscheidenden Impulse. 1905 unternehmen die beiden jungen Männer ihre erste Fahrt durch die Provinzen des Königreiches. In ihrem Reisegepäck haben sie einen primitiven phonographischen Aufnahmeapparat. Ein Jahr spätei publizieren sie die Ergebnisse ihre)

Arbeit, eine Sammlung von Volksliedern. Damit werden die tieferen, bisher unbekannten und von Zigeunerweisen überlagerten Schichten der magyarischen Klangwelt freigelegt.

Aus diesem Jungbrunnen volkstümlichen ungarischen Melodiengutes entspringen die Anregungen für Kodälys kompositorisches Schaffen, in den folgenden Jahrzehnten entsteht sein reiches Oeuvre, getragen von einer Instrumentationskunst, in der sich das neuartige Klangerlebnis mit der Tradition verbindet: die temperamentvollen „Tänze aus Galäntha“, die „Marosszeker Tänze“, der bunte, einfallsprühende Bilderbogen des „Hary Jänos“, bis heute des Meisters Lieblingswerk. Gleichsam selbstverständlich ergibt sich die große Erneuerung des ungarischen Chorgesanges, die im „Psalmus Hungaricus“ (1923) ihren Höhepunkt findet. Der Weltruf des Künstlers, die leichte Verständlichkeit seiner farbenreichen Musik lassen oft vergessen, daß Zoltän Kodäly auch als Theoretiker, als Musikwissenschaftler und Pädagoge die Entwicklung musikalischen Denkens wesentlich beeinflußte. Nach seinen eigenen Worten gibt es zwei Wege, anderen Menschen sein Wesen zu offenbaren: durch die Mwsife und durch den Brief. Obwohl er selbst — und mit ihm die Schule, die er in Ungarn begründete — zutiefst in den Überlieferungen seiner Heimat wurzelt, stellt er, der treue Weggefährte Bartöks, eindeutig fest, daß der Erfolg musikalischer Schöpfungen niemals auf die volkstümliche Grundhaltung allein zurückzuführen ist. „Ein so .unpopulärer' Komponist wie Wagner fand trotz aller Anfeindungen sein begeistertes Publikum.“ Wenn die Problematik moderner Musik berührt wird, dann lächelt Kodäly, der im Gespräch mühelos vom Deutschen ins Französische oder Englische wechselt, und meint: „Ich glaube, es wird zu viel über Musik gesprochen und geschrieben. Sobald ein neues Werk aufgeführt wird, gibt es tiefgründige publizistische Erörterungen, und eine bestimmte Anschauung wird gebildet. Doch auch die Komponisten selbst schreiben zu viel. Wenn sie nur jene Werke schrieben, die ihnen wirklich aus dem Herzen kommen, gäbe es freilich weniger neue Musikliteratur aber mehr gute Musik.“

Zoltän Kodäly ist ein langes Leben hindurch sich selbst treu geblieben. Der heutige Staat nennt ihn demonstrativ „Meister“ und erhöht ihn zum lebendigen nationalen Denkmal. Doch das Ungarn, dem der Künstler und Denker angehört, steht jenseits der Grenzen und Richtungen, die von der Politik bestimmt werden.

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