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1848 in Wort und Bild

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Historische Schätze sprechen in der von der Stadt Wien veranstalteten 1848er-Ausstellung zur Öffentlichkeit. Die Absicht, dieses Material unmittelbar auf den Besucher wirken zu lassen, ist löblich und dankenswert. Freilich handelt es sich hier um eine Epoche, in der erstmalig Kräfte in Erscheinung treten, die heute maßgeblich an der Gestaltung des öffentlichen Lebens mitwirken; die Versuchung, die Vergangenheit durch die Brille der Gegenwart sehen zu lassen, ist also besonders groß. So imposant die Schau im Festsaal des Wiener Rathauses ist,- so macht sie doch spürbar, daß nicht selten ihre Veranstalter von dieser Versuchung sich verlocken ließen.

In dem Bestreben, dem Besucher auch die Ursachen der 1848er-Revolution zu zeigen, hat die Zeit des Vormärz eine entsprechende Würdigung erfahren. Das Verhältnis der Regierten zur Regierung wird schon durch die Auswahl der Ausstellungsobjekte angedeutet: den kurzen Hinweisen auf die staatsrechtlichen Verhältnisse und die oberste Staatsführung steht eine Menge von Dokumenten des kulturellen und künstlerischen Lebens gegenüber. Die Schau begnügt sich nicht mit der Darstellung der glatten Oberfläche des Biedermeier. Neben zeitgenössischen Illustrationen, die das Leben und Treiben des Volkes, seine Berufsarbeit und seine Vergnügungen, den Luxus des Adels und das bescheidene Dasein der unteren Volksschichten zeigen, legen andere Gewicht auf die Darlegung der Wohnungsverhältnisse des Vormärz. Der grimmige Humor bildhafter Darstellungen und die beißende Satire, die die Macht de - Hausherren schildert, vermögen allerdings den Zwangsuntermieter von heute nicht ganz über seine Lage hinwegzutrosten. Die realistische Gegenüberstellung extremer Gegensätze Verfehlt wohl auf den ersten Blick nicht ihre Wirkung, doch gerade die Zurschaustellung diametral entgegengesetzter Verhältnisse läßt bald die goldene Mitte vermissen, die Tendenz wird merklich.

Einige Maschinenmodelle weisen den Stand der Industrialisierung jener Zeit. Eine eingehendere Würdigung des wirtschaftlichen Aufstiegs der dreißiger und vierziger Jahre vermissen wir, obwohl gerade die wirtschaftliche Entwicklung ihre Träger, das liberale Bürgertum, seine politische Einflußlosigkeit besonders empfinden ließ und in ihm Wünsche politischer Art erweckte, hier also eine der wichtigsten Ursachen der Revolution wirksam wurde. Erläuterungen dieser Art hätten die Lage der Arbeiterschaft besser erklärt, als es geschieht. Zusammen mit dem liberalen Adel bildete das Bürgertum die erste Oppositionsgruppe; von ihnen erlangte jene des juridisch-politischen Lesevereins die größte Bedeutung. Diese Opposition mußte sich vor der allgegenwärtigen und allmächtigen Polizei des Grafen Sedlnitzky in adit nehmen. An ein offenes Auftreten war nicht zu denken, ihre Literatur, die in reicher Fülle in dieser Ausstellung gezeigt wird, konnte nur in Deutschland erscheinen.' In der einheimischen, unpolitischen Produktion blühte der Ritterund Schauerroman und der sanfte Almanach. Literarische Feinschmecker erwartet jedoch eine besondere Überraschung: das Manuskript von Grillparzers „Armen Spielmann", der vor hundert Jahren erstmalig in Druck kam.

In einem großen Halbrund werden durch Wort und Bild die Vorgänge der Märztage vor dem Auge des Beschauers lebendig. Befremdend ist es, daß diese geschichtlich ohne Zweifel wertvolle Ausstellung die P o 11 e t - Legende, wenn auch begleitet von einer halb schamhaften Interpretation, auftischt, obwohl sie als Fabel unzweideutig erwiesen ist. Den militanten Organisationen der Revolution, der Nationalgarde und der Akademischen Legion, ist 'in der Ausstellung ein breiter Raum gewidmet. Aus den gezeigten Gedichten und Liedern und Bildern spricht mit einem ergreifenden, naiven Optimismus die Fre'heits- begeisterung jener Zeit, die, wie leider sooft in der Geschichte, bald in bitteren Enttäuschungen ertrinken sollte.

Die Fülle des dargebotenen Materials an Dokumenten, Drucksachen aller Art, Bildern, Karikaturen, Modellen, Figuren ist bezaubernd. Der politisch und historisch geschulte Beschauer, der diese erlesene Schau durchwandert, wird die gelegentlich merkbaren Konzessionen an parteipolitische Anschauungen zur Kenntnis nehmen, ohne sich den geistigen Genuß der dar- eebotenen Kostbarkeiten vermindern zu lassen.

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