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Agent des Lesers

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Thomas Rotschild, Jahrgang 1942, ist Österreicher und arbeitet in Stuttgart als Kulturkritiker. Jetzt liegt ein Band mit 30 Aufsätzen aus der Zeit von 1973 bis 1995 vor. Es geht um Literatur, Theater, Film, Medien, und den deutschsprachigen Kulturbetrieb mit einem Äuge auf Österreich und dem ehemaligen habsburgischen Osten.

Kulturkritik als Obertitel ergibt sich erst im nachhinein. Die Sammlung umfaßt viele Genres. Am angenehmsten zu lesen sind die Hommagen an Milan Kundera (ein langes Hörfunkporträt von 1985, genau, einfühlsam, liebevoll), an Vaclav Havel (über das Theater des Absurden in Polen und der Tschechoslowakei), der Nachruf auf Elias Canetti mit einer leisen Klage über schwache Rezeption in Österreich. Dazu Laudationes auf John Berger, Volker Braun und Ulrich Weinzierl. Begelrechte Analysen sind am dichtesten gelungen: Gewalt im Western, geniale Interview-Technik des Filmers Marcel Ophüls im Fall Klaus Barbie, oder vergeßne Qualitäten des Reportage-Romans bei Ilja F'hrenburg. Die Polemiken schießen scharf, gehen so weit, wie es mit Anstand gerade noch möglich ist, etwa zur Art, wie der österreichische Film „gefördert" wird. Die Festivalmisere „Diagonale" in Graz contra „Österreichische Film Tage" in Wels bleibt aktuell, sie scheint kritikresistent.

Ein Beispiel Rothschildscher Methodesei herausgegriffen: „Die Rolle der Medien bei der Zerstörung der Alltagskultur". Beobachtung: Im Rundfunk wird Rockmusik durch Ansagen in immer kleinere Häppchen aufgeschnitten. Kommentar:

„Die Schwätzer vom Dienst... quatschen um jeden Preis hinein, noch ehe der letzte Ton verklungen ist, damit nur ja keine Pause entsteht. Atemlosigkeit und Hektik ersetzen Musik- und überhaupt Verstand." Die „Fragmentierung der Musik" erzeugt „musikalische Analphabeten", die schließlich Musik „nicht nur als Hintergrund, sondern als Droge konsumieren ... Man sage nicht, das Publikum habe es so gewollt. Man hat ihm keine Chance gegeben. Wie soll, wer immerzu mit Fragmenten bombardiert wird, noch eine Vorstellung vom Ganzen haben?" Dann die Verallgemeinerung: „Die Fragmentierung von Musik ... entspricht der Tendenz in den Rundfunkanstalten, durch Magazinierung zunehmend die Welt als Ansammlung beliebiger Einzelheiten darzustellen ... Für sie zählt allein die Ästhetik einer Konsumgesellschaft, für die Schwung und Pseudoaktivität zum Programm der Absatzförderung gehören." Geschrieben 1986. Der Schluß spiegelt die bösen Erfahrungen des Kritikers: „Was so ungemein deprimiert und auch erzürnt, ist die Ohnmacht einer Kritik an einer Entwicklung ... die höchstwahrscheinlich irreversibel ist. Man begegnet nur Arroganz und Zensur."

Rothschild versteht den Kulturkritiker als „Agent des Lesers, nicht des Marktes". Der Leser kann sich revanchieren als Agent des Kritikers. In der vereinten Mühe haben die Gedanken vielleicht dann doch nicht ganz verspielt.

VERSPIELTE GEDANKEN

Aufsätze zu Literatur, Film und Medien aus zwei Jahrzehnte. Von Thomas Rothschild Ueuticke Verlag, Wien 1996 255 Seiten, geb., öS 348,-

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