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Alfred Döblins Schicksalsreise

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Dr. Alfred Döblin, Dichter und Armenarzt in Berlin, Autor des berlinerischsten Zeitromans „Berlin Alexanderplatz”, wurde, wie alle echten Berliner, nicht in der Spreemetropole, sondern 1878 in Stettin geboren. Sein Weg, seine Entwicklung in den zwei bewegten Jahrzehnten nach dem ersten Weltkrieg ist typisch für die Generation.

Döblin war überzeugter Großstädter. Das ironische Wort über die in den zwanziger Jahren aufsprießende Bluf-und-Boden-Dichtung und ihre Urheber, das oft zitierte Bonmot von den „Dichtern des total platten Landes" konnte nur von ihm stammen. Ohne Verbindung und Beziehung zu Stern und Wolke, Tieren und Pflanzen aufgewachsen, sah er mit 15 Jahren auf einer Landpartie den ersten Apfelbaum. Sich um das Land und seine Bewohner zu kümmern, schien ihm lächerlich, romantische Fexerei und Zeitvergeudung. „Preußische Strenge, Sachlichkeit, Nüchternheit, Fleiß ist mir auf dem Berliner Gymnasium anerzogen worden." Er kann sich noch daran erinnern, daß es ihm eine atemlose Freude bereitete, als in Berlin die ersten Drähte für die Elektrische gezogen wurden, und wie er off zu „Kroll" zog; aber nicht, um ins Theater zu gehen, sondern um eine große, geheimnisvolle Maschine zu bewundern, die dort stand.

Preußische Sachlichkeit bestimmt zunächst auch die Arbeit des Schriftstellers, das Verhältnis zu seinen eigenen Gestalten. Döblin bekannte sich in seiner frühen Zeit als Feind der prätentiösen „Persönlichkeit”: „Es ist alles Schwindel und Lyrik damit. Zum Epischen taugen Einzelpersonen und ihr sogenanntes Schicksal nicht." Er will Mefapsychologie. Held ist die Masse, nicht der einzelne. So gestaltete er in den „Drei Sprüngen des Wang-lun” die Gruppenseele des chinesischen Volkes, im „Wallensfein’-Roman die Zeitseele der chaotischen Welt des 30jährigen Krieges, in „Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine" die Dämonie der Technik, in „Berge, Meere und Giganfen' den Geist der Zeit zwischen dem 23. und dem 27, Jahrhundert.

Soweit der Denker, der Naturforscher und der psychoanalytisch geschulte Arzt. Aber da ist der Dichter Alfred Döblin, der 1948 in einem „Epilog" auf sein Werk sagte: „Früh merkte ich, daß ich der Religion und der Metaphysik verfallen war — und suchte mich zu entziehen." Dieser Spannung, dieser Pseudomorphose. verdanken Döblins Werke ihren besonderen Reiz. Seine Phantasie ist ausschweifend-kühn, großräumig. Da beschreibt er in dem utopischen Grönlandroman „Berge, Meere und Giganten", wie die Insel enteist wird. Dazu braucht man Feuer von Island. Eine Expedition hat sich aufgemacht, die Krater aufzureißen, die Vorarbeiten haben begonnen:

„Als das mittlere Geschwader zum Brückenbau schritt, hatte der Sturm aufgehört, Windstille mit Regen war gekommen. Die Insel rollte wie sonst. Der Qualm zog hoch nach Osten ab. Die Feuersäulen leuchteten durch die Nacht... Die Brücken stiegen schräg auf aus der Meeresbrandung, dann schwangen sich die weiten, lichten Fluchten der Viadukte ins Land, über Berge, die von Bächen schäumten, über Geröllhalden, Moore, tote Laven, durch die nebeldurchzogene, regenverhangene kühle Luft zum hohen Svalbard, zum großen Myrkarrglefscher, zum zackigen Rymargipfel."

Das ist ein neuer Stil, ein expressionistischer Naturalismus, die Welf erscheint ungeheuer, groß und fremd. Die stets strömende Sprache wirkt nüchtern und trunken zugleich, die Darstellung ist scharf und üppig in einem. Es ist die Sprache eines Naturforschers und eines Zauberers, Resultat einer genialischen Phantasie und geduldigen Noiizensammelns.

Kurz vor 1933 war Döblin ein erfolgreicher Autor — und ein sehr „moderner". Er zählt sich, zwischen den „Feudalisfen" und den „Konservativen", zu den „Progressiven": zu den oppositionellen Aktivisten, die ihre eigene Sprache sprechen und neue Formen suchen. „Berlin Alexanderplatz” war ganz up to date. Wie es in jener Zeit Maler gab, die auf ihre Bilder Streichhölzer, Straßenbahnfdhrscheine und Hbseriknöpfe klebten, so montierte Döblin in den Text seines Romans Zeitungsartikel und Prozeßberichte, Statistiken und die neuesten Schlager aus Operette und Film. So entsteht ein pausenloses Schau- und Hörbild der Großstadt, man hört das Summen der sozialen Maschinerie: die moderne Technik war mit der modernen Dichtung gekoppelt, wie in keinem andern Werk.

Aber damals schon, vor 1933, schrieb Alfred Döblin: „Proletariat" sei eine Konstruktion, die beulenartig an den Massen wuchert. Es gibt nur eine persönliche Regeneration. „Die Sfaatskonstruktionen des Marxismus sind genau so ungeistig wie der von ihnen bekämpfte Bürger." Ein erstaunliches Zeugnis, wenn man bedenkt, daß die „progressive Literatur" damals fast ausschließlich links war.

Das Jahr 1933 traf Döblin in der Schweiz. Von dort emigrierte er nach Frankreich. Hier erlebte er den Zusammenbruch, und zwar nicht nur den Frankreichs, sondern auch den der eigenen Welf. Seine Gedanken beginnen um das Kreuz zu kreisen. Es war in der Zeit schwerster Not und Bedrängnis, als Döblin seine Familie verloren glaubte:

„In Paris stand ich oft vor Läden, in denen man Kruzifixe verkaufte. Ich stand und versuchte, vor ihnen zu denken. Sie zogen mich an. Vor ihnen fiel mir ein: das ist das menschliche Elend, unser Los, es gehört zu unserer Existenz und dies ist das wahre Symbol. Unfaßbar der andere Gedanke: was hier hängt, ist nicht ein Mensch, dies ist Gott selber, der um das Elend weiß und darum herabgestiegen ist in das kleine menschliche Leben." — Dann folgen die Flucht nach Amerika und fünf Jahre der Emigration. In Frankreich hafte Döblin die französische Staatsbürgerschaft erworben. Nach Deutschland kehrte er 1945 als Katholik zurück. Diese entscheidende Phase seines Lebens hat der Dichter in dem Buch „Schicksalsreise — Bericht und Bekenntnis" geschildert. Es ging zunächst um die Erziehung seines jüngsten Sohnes:

„Man konnte den Jungen nicht so aufwachsen lassen, ohne Wissen von dem, was die Welt und die menschliche Existenz war, ohne Kenntnis von unserem Los, ohne Weg und ohne Halt... Woran sollte eine junge Pflanze sich hochranken? Wir waren selbst so aufgewachsen. Wir hatten Sprachen, Mathematik und Naturwissenschaften geschluckt, mit welchem Ergebnis? Wie hafte es uns geformt? Der Junge sollte besser geführt werden.' Ein Freund der Familie vermittelt die Bekanntschaft mit einigen Jesuitenvätern. Zunächst besuchen die Elfern, um sich zu „Informieren”, den Religionsunterricht ihres Sohnes. Dann beschließen sie gemeinsam, den letzten Schritt zu tun.

Döblin hat In dem Buch „Der unsterbliche Mensch' über diesen Schritt Rechenschaft abgelegt. Er tat es nicht in der Form einer individuellen Confessio, sondern in Gestalt eines philosophisch-psychologischen Dialogs, der die Folgerichtigkeit, ja dip Notwendigkeit des Weges von der exakten Naturwissenschaft zum positiven Glauben auch für andere erhärten soll, In jener Zeit schrieb er „Die babylonische Wanderung" und die historische Trilogie „November 1918". Die letzten Jahre, bevor Döblin erkrankte, war er, in der Uniform eines französischen Majors, bei der Besatzungsbehörde in Baden-Baden tätig. Aus dieser Zelt stammt sein Bericht über die „Literarische Situation”. Darin tritt er für eine Umschulung der Deutschen ein „ohne Lärm und Aufdringlichkeit'. Man müsse das Abklingen der Wahnvorstellungen abwarten, um dann an ihre Stelle die der klassischen Humanität und des Christentums zu setzen, „die ebenso zum GeistesSchafz der Deutschen wie zu dem des Auslandes gehören", Zum Schluß heißt es:

„Wo das Göttliche sich nähert, mit seinem Ernst, seinen Schauern, seiner Wahrheit und Herrlichkeit, klingen die Lieder der Kunst anders. Die Harfen werden neu gestimmt. Das ist keine Zeit für Klassen, Nationen und private Eigenbrötler. Es ist die Epoche, in der wieder, und nicht zum letztenmal, die Frage nach dem Menschen aufgeworfen wird." Diese Worte dürfen wir als das Vermächtnis Alfred Döblins bewahren, der in den letzten Junifagen im 79. Lebensjahr gestorben ist.

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