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Bajuwarisches Welttheater und romanische Fliegeroper in Graz

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Mit zwei Operneinaktern, die zwar nicht mehr zum Allerneuesten gehören, hat Graz seinen diesjährigen Beitrag zur Pflege des zeitgenössischen Musik-drämas geleistet. Sowohl „Der Mond“ von Carl O r f f als auch „N a c h t f 1 u g“ von Luigi D a 11 a-p i c c o 1 a sind 1939 entstanden. So wenig sie auf den ersten Blick ob ihrer Verschiedenheit in Thema, Technik und Aussage zueinander zu passen scheinen, so ist'ihnen doch eines gemeinsam: sie streben beide zur alten musikalischen Form zurück und gleichzeitig zu einer neuen des Theaters.

In dem seltsamen Märchen „Der Mond“ erzählen die Brüder Grimm von den vier Gesellen, die den Mond gestohlen hatten und, als sie starben, als ihr Eigentum mit ins Grab nahmen. Die Toten, die durch das fremde Licht aus ihrem Schlaf erwachten, erhoben sich, fingen ihr altes Luderleben wieder £n und trieben es so arg, daß schließlich Petrus vom Himmel herabsteigen mußte, um sie wieder zu beruhigen, wobei er den Mond mitnahm und ihn am Himmel aufhängte. — Carl Orff. hat in diesem Stoff das Urmythische, das Kosmische aufgespürt — den „Spiegel der Welt“ — und es ins Bajuwarische übersetzt, Die Mittel sind bekannt aus der „Bernauerin“, den „Carmina“ und der „Klugen“. Auch hier springt aus dem Sprechrhythmus der, Funke über und zündet musikalisch. Auch hier die gewollte Primitivität der Erfindung, die Pentatonik. das Volkslied und der Gregorianische Choral, Der Einsatz des Spieles mit den scharf rhythmisierten Ensembles der vier Burschen ist der mitreißendste und sympathischeste Teil von Stück und Aufführung. Gegen die Mitte zu wird's merklich dünner, die musikalische Substanz ist eben zu gering. Da muß dann ein heidnisch-sinnenfreudiger Hexensabbath — eine Danse macabre ä la Hofbräuhaus sozusagen — her zur Aufrüttelung. Hier tobt sich so einiges im tiefen Keller der Geschmacklosigkeit aus. Und schließlich mündet's gar in ein verkitschtes Ende mit Zitherklang und Liebespärchen in Betrachtung des Mondes. Man sollte es nicht für möglich halten, daß das ernst gemeint ist. Dennoch soll einen all das nicht daran hindern anzuerkennen, daß es sich auch hier um einen anregenden Versuch handelt, spätromantischen Ballast über Bord zu werfen und über einen aus mimischen und bewegungsrhythmischen Urkräften gespeisten Stegreifstil zu neuen, volkstümlichen Formen zu gelangen.

Der „Nachtflug“ von Dallapiccola dient dem Suchen nach neuen Wegen auf ganz andere Weise. Der Dichtung Saint-Exuperys, dieser einzigartigen Verbindung von Technik und Poesie, erstand in dem italienischen Maestro ein kongenialer musikalischer Gestalter. Mit den Mitteln einer gemäßigten Zwölftontechnik hält der Komponist auch den weniger geübten Hörer in Bann. Das ist nicht nur gekonnt, nicht nur konstruiert, das ist mit großem Ernst und echter Tiefe gearbeitet, da ist der Pulsschlag des Jahrhunderts zu spüren. Es ist die Oper unserer Zeit: ergreifend ersteht zwischen Fliegerschicksalen und menschlichem Leid in der erregenden Atmosphäre des Flugplatzes das Drama des Einsamen, der die Verantwortung trägt, sie tragen muß, weil er in die Zukunft blickt. Unmöglich, sich dieser ernsten, großartig harten Deutung unserer Zeit und unserer Welt zu entziehen.

Allerdings gehört dazu eine so meisterliche und begeisterte Interpretation wie die durch die Grazer Oper und ihre Kapellmeister Maximilian Kojetinsky („Mond“) und Gustav Czerny („Nachtflug“). Stefan Haag inszenierte den „Mond“ mit tänzerischer Beschwingtheit, kräftigen, oft recht krassen Farben, und Operndirektor A. Diehl gab dem „Nachtflug“ die verhaltene Intensität. Besonders schön waren die Bühnenbilder des „Monds“ von Heinz Ludwig: ein mondrunder Rahmen, aus dem, mit farbigen Scheinwerfern scharf eingestellt, aus dem Weben kosmischer Nebel tauchend, die Bilder dieses kleinen Welttheaters hervortraten, während im mystischen Halbdunkel der Unterbühne Erzähler und Chor die Handlung kommentierten. Von den Darstellern, die diesem Gemeinschaftswerk ohne solistische Allüren dienten, sei Otto Wiener nicht nur wegen seiner sängerischen, sondern mehr noch wegen seiner durchdachten schauspielerischen Leistung besonders hervorgehoben.

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