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Begebnisse auf verschiedenen Ebenen

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Das Gerede von der „Krise des Romans“, das seit den Tagen James Joyces nicht mehr verstummen will, hat gerade durch die Österreicher Robert Musil, Hermann Broch, Otto Stößl und nicht zuletzt durch Martina Wied seine eindeutige Widerlegung erfahren. Diese Dichterin, die vielleicht die letzte noch lebende Vertreterin einer großösterreichischen Literatur ist, hat in ihrem Oeuvre, das bereits eine Vielheit wichtiger Romane („Das Asyl zum obdachlosen Geist“, [„Kellingrath“], „Rauch über St. Florian“, „Das Einhorn“) aufweist, von ihrer hohen — musikalisch zu nennenden — Kompositionskunst Zeugnis abgelegt. In ihren Büchern spiegelt sich die sinnenhafte Welt ebensosehr wie die rätselhafte dunkle Welt der Seele. Ja, man darf sagen, daß die „Begebnisse“ ihrer Bücher immer auf „verschiedenen Ebenen“, spielen wenn auch nicht so deutlich wie in ihrem jüngsten Buch.

In diesen „Begebnissen auf verschiedenen Ebenen“ deutet die Dichterin das Schicksal der Heimatlosen und Entwurzelten. Sie leuchtet tief hinein in die Probleme der Emigration, der Kollaboration, des Widerstandes und des Verrates, die den Menschen der jüngsten Vergangenheit aufgegeben waren und heute abermals Millionen aufgegeben sind. Uberzeugend enthüllt sie den Zwiespalt in den Herzen der heimatlos Gewordenen, ihre Versuchungen und ihre Möglichkeiten zu leiden und zu überwinden.

Die Schüler einer „fortschrittlichen* Londoner Schule, die im letzten Kriegsjahr vor den Bomben auf ein verfallenes Landgut geflüchtet sind, haben ihrer Schule — der „Teleme-Abtei“ — den Spitznamen „Krähennest“ verliehen. Sie führen hier ein freies zeitentrücktes Leben und nennen sich mit Phantasienamen, die die Dichterin hauptsächlich der Welt Shakespeares und Mozarts entnahm. Ein zauberhafter Einfall, der das Entrückte des Handlungshintergrundes noch mehr akzentuiert. In diese Schule kommt als neue Lehrkraft für ihre Muttersprache eine Pariser Kunsthistorikerin, die nach dem Einmarsch der Deutschen ins Exil ging. Der geliebte Mensch, den sie zurückließ, der Dichter Ernest Mathieu le Sieutre, hat sich den Eroberern treulos als Kollaborateur angeschlossen. Madeleine will nun In selbstgewählter Verbannung seine Schuld In stellvertretendem Leiden büßen. Das ist ihre Antwort auf den Liebesverrat. Anders- antwortet auf das gleiche Schicksal der Sohn des Leiters der „Teleme-Abtei“, Arthur. Er will sich für das, was ihm ein vermeintlicher Nebenbuhler antat, durch Verrat rächen. Er kann aber das Bewußtsein seiner niedrigen Tat nicht ertragen und richtet sich selbst. Diese beiden Hauptmotive — Verrat und Heimatlosigkeit — werden in Form einer Fuge mit Umkehrungen und Engführungen vor uns entwickelt. Dazu tritt noch eine dritte Parallelhandlung, die das Schicksal des Kollaborateurs Ernest, der von einem Widerstandskämpfer, der früher zu seinen glühendsten Bewunderern zählte, ermordet wird, aus Briefen, die sich wie Fenster in die große Welt öffnen, schildert.

Die wahre Welt dieses Buches aber spiegelt sich erst in den Seelen der einzelnen, meisterlich gezeichneten Figuren. Das Motto der „Teleme-Abtei“, das freche „Tu, was du willst“, wird ad absurdum geführt und an seine Stelle die Forderung nach einem wahren, hierarchischen Ordo erhoben.

Eine der schönsten Stellen des Buches handelt von jener transzendenten Ordnung, „wo Könige und Bettler, käme ein Spruch von oben, ihre Stufen vertauschen müßten“, von jener Ordnung einer überirdischen Welt, danach sich im Grunde alle Figuren der Dichterin — sei es die Coeur aus dem „Rauch über St. Florian“ oder „Kellingrath“ oder viele andere sehnen, weil sie in ihr erst mit dem Namen angeredet werden, den sie vor Gott tragen.

Ein sprachlich und kompositorisches Meisterwerk, das vielleicht nur etwas allzusehr von dem überreichen Wissen der Autorin belastet wird. Der Leser von heute hat leider nicht mehr die reiche Assoziationsfülle aus Geschichte, Kunstgeschichte, Philosophie und Psychologie, die Martina Wied bei ihm voraussetzt. Nimmt er sich aber die Mühe einer aufmerksamen Lektüre, dann wird er das Buch reich beschenkt an Seele und Geist aus der Hand lagen.

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