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Beinbruch in Farbe

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„Ich will's gar net wissen“, sagte die Frau, als ihre Freundin sie fragte, ob sie denn nicht das verschlossene Kuvert mit dem Befund des Facharztes „aufdämpfen“ wolle. „Ich will's gar net wissen“, sagte sie, „wenn's gut ist, dann ist's sowieso gut, und wenn's schlecht ist, werde ich's nicht damit ändern können, daß ich es weiß.“ Dieser Haltung zufolge, dürften alle Fernseh-Serien, in denen dem Publikum die — oft nur zu grauslichen — Tatsachen der Medizin und insbesondere der Chirurgie nahegebracht werden sollen (wie jetzt mit der Reihe über die heutige Wiener medizinische Schule) ein Interesse voraussetzen, das nicht vorhanden ist. Politikern und anderen Offiziellen wäre nahezulegen, daß wir keine unentwegt optimistischen Gemeinplätze und Gesundbetereien zumindest im Fernsehen hören wollen. So zuletzt in der Sendung über die Auswirkung der Industrialisierung im Land Tirol. Nach den von den Offiziellen bei dieser Gelegenheit abgegebenen Versicherungen ist hierin alles Wonne und Waschtrog. Jeder, der auf die eine oder andere Weise damit zu tun hatte, weiß, daß es sehr wohl genug Probleme gibt. Sicherlich gibt es für einen Offiziellen kein geringeres Problem, als zu sagen, was ist.

Einem, der es gelernt hat — der allerdings dafür mit dem Verlust seiner Position bezahlte — sind wir unlängst im Fernsehen begegnet: Milovan Djüas, ehemaliges Mitglied des Politbüros der jugoslawischen KP und rechte Hand Marschall Titos. Sein Auftreten war um so interessanter, als ihm ein anderer Jugoslawe dabei als Interviewer assistierte: Alfons Dalma. Vor fünfundzwanzig Jahren wären die beiden wohl kaum imstande gewesen, einander so ruhig gegenüberzusitzen und über den Lauf der Welt zu diskutieren. Freilich trug Djüas dabei das ganze Gewicht des Gesprächs. Er mußte die Fragen beantworten, welche den Inhalt und Sinn des größten Teils seines Lebens ausgemacht hatten: Kommunismus, sein Glaube daran und seine Heilung davon. Was er dazu sagte, war würdig, freimütig und intelligent.

Verwirrung der politischen Gefühle soll jungen Leuten pardo-niert werden. Nicht aber soll ihnen gestattet werden, sie im Fernsehen kommentarlos zu verbreiten, als ob es ewige Wahrheiten wären. So auch zuletzt In der Sendung „Die Bücherecke“, deren Präsentator diesmal zwei junge Deute als Gastrezensenten für Bücher über studentische Rebellion, Außerparlamentarische Opposition und dergleichen eingeladen hatte. Was schon einmal über das Kriegführen und die Militärs gesagt wurde, gilt auch für die Jugend und ihre Probleme: die letzteren sind zu wichtig, um der ersteren zur Lösung überlassen zu werden. Übrigens leiden wir auch in der Kunst unter dieser Repetition abgetanener Konzepte. So konnte ein eigentlich gar nicht mehr so junger Fernsehregisseur wie Michael Kehlmann, der unlängst einen Julius Cäsar inszenierte, wissen, daß wir Römer in Lederwesten und Hamlet in Frack schon in den zwanziger und dreißiger Jahren gehabt und überwunden haben. Wenn Shakespeares Römer elisa-bethinischen Inflexionen unterworfen waren, dann war das unvermeidlich. Wir jedoch wissen heute schon viel mehr über das Römisohsein der alten Römer, um sie als Rockers auftreten lassen zu müssen. Und ebenso wissen wir, daß man keine vergangene Zeit näherbringt, indem man sie in die eigene transponiert.

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