6543153-1946_51_14.jpg
Digital In Arbeit

Burggräfler Bauern in Schönbrunn

Werbung
Werbung
Werbung

Am 16. August des Jahres 1756 standen sie vor ihr, die Vierundvierzig: Bauern, Schmied und Garber, Krämer, Huter, Zimmermann und drei weißhaarige Pfarrer.

Demütig und stolz zugleich, wie die Berge die Menschen formen, standen sie in dem Paradeisersaal von Schönbrunn — mit verwitterten Gesichtern und zergerbten Händen, wie die gute Erde selbst und der leibhaftige Acker, der da sein Bestes mitgebracht hatte: Almbutter, golden wie der große Tag, Lammeswolle und in fein geflochtenen Weidenkörblein von den Ufern der jungen Etsch Meraner Äpfel. Die waren köstlicher als alles Obst, das die steifen Pagen auf Silber und Kristall an die Tafel der Majestäten trugen.

Der Kaiserin war es, als träume sie; als versänke der Saal, der Thron und die Krone; als wäre sie wieder das Kind im spanischen Röcklein und ein längst versunkener Wintertag stand auf mitten im heißen, rosenüberrieselten Sommer von Schönbrunn.

Da fuhr sie mit ihrer Aja im klingelnden Schlitten über das weiße Land, an dem großen Wasser hin, das durch ihr Reich rauscht und Donau heißt, in das große Haus voll schwarzer Mönche und singender Knaben.

Da war ein großer Saal, schön und reich wie dieser, und in seiner von barocken Engeln und Liebesgöttern umflügelten Fensterecke bastelte der pausbackige Tiroler Pater die Krippe zurecht: das Christkind auf dem Stroh, den Weihnachtsstall vor den Toren von Bethlehem und rund herum die Tiroler Berge mit Burgen und Mühlen, Bergwerken und Gehöften, Gemsen und Jägern, Hirten und Bauern. Die stiegen von den Bergen und standen vor dem kleinen König, genau wie die Vierundvierzig da: adlernasig, mit verwitterten Gesichtern, Wolle, Butter, Obst und Lamm in den zerfurchten Händen.

Maria Theresia löste die Spange und die schwere Seide ihres Mantels glitt an ihr nieder. Sein Purpur hatte sie umflossen als eine Wolke, die sie von allen Sterblichen trennte. Nun stieg sie vom Throne und trat zu den Bauern und war nicht mehr die Majestät, nur mehr die Mutter ihrer Millionen und das Weib, das sich aus den eisigen Höhen der Krone nach der warmen, mütterlichen Erde sehnt.

Ob sie noch immer ihre alten Krippen aufstellten, fragte die Kaiserin.

„Ei ja, Majestät. Wenn unser Landl am schönsten und am stillsten ist, holen wir sie vom Unterdach“, gnapste ehrerbietig und beeifert der Gurter von Sankt Jörgen. Der hatte eine daheim, die brauchte die halbe Stube und jede Weihnacht räumte er um ihretwillen den Tisch, die Stühlc-und die Bänke aus und aß mit seinem Weib, seinen zwölf Kindern und Knecht und Dirn in der Diele

„Und wenn die Krippe steht und das Christkind im Stroh da hegt“, erzählte der Gurrer weiter in seiner bedachtsamen Art, „dann singen wir dem kleinen Herrgöttlein unsere schönsten Weisen.“

„Singt!“ bettelte die Kaiserin, schier wie das hungrige Karrnerkind um ein Stücklein Brot, um ein Lackel warme Suppe.

Da stellte der Gurter seinen Korb Äpfel hin und der S'althauser legte seinen Butterknollen dazu. Der Fallgatter von Grätsch hielt immer noch ehrfürchtig die Rolle Pergament in der hohlen Hand. Drauf standen Punkt um Punkt die Klagen der Landschaft: wegen Maut und Zoll, Monopol und Forstgesetz, wegen der Einfuhr der welschen Weine und mancherlei örtlicher Unbill und Bedrängnis, vor allem aber wegen der kleinen Münzen und des großen Unwillens und Auflaufs, den sie im Lande gezeitigt hatten. Alle die Klagen, Punkt um Punkt, sollten die erkorenen Vierundvierzig in dieser seltsamen Audienz vor das Ohr der Kaiserin tragen. Sie aber sahen nur mehr ihr mütterlich warmes Angesicht. Sie falteten die Hände und sangen:

„Es wird schon glei tümper Es wird ja schon Nacht. Drum komm' i zu dir her, mein Heiland, auf d' Wacht. Will singen a Liedel dem Liebling, dem kleinen. Du magst ja nit schlafen, i hör di ja weinen. Hei, hei, hei, hei, schlaf söaß, herzliebs Kind! Vergiß iatzt, o Kinde) dein Kummer, dei Leid, daß du da mußt liegen

im Stall auf der Heid!

Es zieren ja die Engel

dei Liegerstatt aus.

So schön, sag i, ist nit

der Kaiserin Haus,

Hei, hei, hei, hei, schlaf süß

du liebs Kind!“

Leise, wie man in der Christnacht singt, das allerholdeste Kindlein nicht zu wecken, hatten die Singer begonnen. Lauter, wie beim Auroraamt in der glashellen Frühe setzten sie wieder ein. Und zu guter Letzt war es ein einziger Jubel von Schwegein und Schalmeien. Über alle Berge her klangen sie in das alte Lied, in den Saal der kalten Spiegel und steifen Perücken und lockten und lockten . . .

Die Sehnsucht nach dem Angesicht seiner Kaiserin hatte Südtirol entflammt. Nun flammte in der Kaiserin die Sehnsucht nach diesem ihrem allersdiönsten Lande auf.

Ich will kommen . . . wenn es am schönsten und am stillsten ist, gelobte sie insgeheim.

Ganz still will ich kommen, nicht wie die Kaiserin durch ihr Reich fährt, ganz still: auf meinem Schloß Tirol, im Kranz seiner hohen Berge will ich weiße Weihnacht feiern

Den S'ingern aber schenkte sie von den neuen Talern, die man ihr eben blitzblank von der kaiserlichen Münze gesandt hatte.

Die trugen die Vierundvierzig in hoher Ehrfurcht heim, löteten sie daheim an die schwere, silberne Uhrkette und erzählten: von der großmächtigen Kaiserstadt und wie da die Jungen wie die Alten in weißen Locken daherspazieren; von dem Stephansdom und seiner Liebfrauen, vor der die vielen Kerzen brennen und die Mädchen weinen; von rotsamtenen Magnaten in Gold, Pelz und Brillanten und von den Pandurenfürsten mit dem Amulettstein im Ohr; von dem lustsamen Schönbrunn, seinen Wasserspielen, den nackten Marmorfrauen und dem spiegelnden Saal; vor allem aber und ohne Ende bis an das Grab erzählten sie benedeiend von der allermilde-sten Kaiserin.

Allüberall sprach man von ihr im ganzen Land und seinem roten Herbst: beim Wimmen und beim Türkenbratschen in den abendlichen Tennen, an allen Wirtstischen beim neuen Wein, in den Buschenschenken und Spinnstuben.

„Unsere Kaiserin zu Wian ist schnittig, ist strittig, ist wunderschian“

jodelten die Burschen, die vom Süßen kamen, und die Mädchen spannen die Silberfäden vom Haar der Kaiserin in ihre Wolle und in ihren Traum.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung