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Das alte InselHaus

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Die „Insel In der Kurzen Straße lag unauffällig in der Reihe der Mietshäuser, ausgezeichnet nur durch das große Relief einer segelnden Fregatte über dem Portal, das nach einem Abguß vom Haus der Schiffergilde zu Gent in Sandstein gehauen war. Die dreiteilige Tür trug im Mittelstück in Holz geschnitzt den Spruch „In Deo spes mea“...

Den Besucher empfing im ersten Stock schon vor der Doppeltür zum Verlag die auf eine Holztafel aufgezogene Deutschlandkarte Rudolf Kochs, das schöne Zeugnis einer großen Liebe zum Vaterland, das in den Jahren der Verwirrung politisch mißdeutet wurde — heute ein wohlgehüteter Schatz für jeden, dem es gelungen ist, dies Vermächtnis des Offenbacher Meisters durch die Zerstörung der Kriegsjahre zu bewahren.

Trat man dann durch die „Insel“-Tür ein, so fand man sich abermals durch Bilder angesprochen: an den Wänden des langen Korridors hingen die gerahmten Blätter des Minnesingers aus dem Faksimiledruck der Manessischen Handschrift. Wurde nicht selbst uns, die wir dort täglich ein- und ausgingen, immer ein wenig feierlich zumute in dieser Galerie, in die ein sehr nüchterner Wohnungskorridor verwandelt worden war? Es wirkten nicht die Bilder allein, sondern auch das festliche Gelb der Wände zwischen den weißen Türen, sorgsam nach den Wünschen der fein empfindenden Herrin abgestimmt.

Ein großes Empfangszimmer tat sich dem Besucher auf. Rundum waren da in Schränken bis zur halben Wandhöhe die Bücher des Verlags aufgestellt, ein Teil des Archivs, das im übrigen in anderen Räumen untergebracht war. Darüber hingen die großen Blätter der „Tänze“ von Ludwig von Hofmann und, in den letzten Jahren, vier Probeblätter mit den leuchtenden Farben der Alpenblumen von Josef Weiß. An der Fensterseite stand, zwischen zwei Schreibtischen, vor einem Sofa für den Besucher, ein großer Tisch mit Glastafel — was hat nicht alles auf diesem Tisch gelegen an Kostbarkeiten, neben manchem ewig ungedruckten Manuskript, das da ein Autor zaghaft niederlegte, während er von seinem Sofaplatz aus das Hin und Her zwischen den Türen rechts und links beobachtete: aus der einen stürmte man heraus, durch die andere trat man behutsam ein, und dazwischen lief der eine im Trabe, der andere zögerte, Mappen, Druckfahnen, Bogen, Bücher in der Hand.

An den beiden Schreibtischen saßen zwei junge Mädchen, die umworbenen Mittlerinnen aller vorgetragenen Wünsche, reizende Zerberusse vor der oft vielfach belagerten Pforte, die sich nicht jedem Besucher öffnete.

Dürfen wir eintreten? Wir wollen nicht stören, wollen annehmen, daß der Herr der „Insel“ nicht da ist, und nur einen Blick ins Zimmer werfen: zwischen den beiden Fenstern ein kleiner schwarzer Schreibtisch, aufgeräumt leer; auch auf dem schwarzen Mitteltisch liegt nur ein Buch, ein Schreibblock und auf ihm ein Grünstift. An der Wand neben der Tür ein Schrank mit besonders schönen „Insel“-Ausgaben. Neben dem großen weißen

Kachelofen auf einem Holzsockel die Bronzebüste Felix Timmermans'. Recht im Gegensatz zu seiner vollen Rundlichkeit, drüben beim Schreibtisch, eine andere Büste: der schmale Kopf von Alfred Walter Heymel, dem Mitbegründer der Zeitschrift „Die Insel“, aus der der Verlag hervorgegangen ist. An der Wand einer der schönen Spruchteppiche von Rudolf Koch, gegenüber noch einmal seine Deutschlandkarte, das Original mit den Arbeitsspuren und Korrekturen. Und darunter, auf einem kleinen braunen Tisch vor einem Sofa, ein Aquarium, ein Glasbecken, in dem sich zwischen dem Grün kleiner Schlingpflanzen Goldfische und Schleierschwänze tummeln. Da lebt ein Stück von jener zarten Wimderwelt, die uns im „Kleinen Goldfischteich“ der „Insel“-Bücherei entzückt hat, einladend zur Sammlung der Gedanken, zum besinnlichen Verweilen. Ein Papierkorb? Ja, wir wollen ihn nicht vergessen; von Zeit zu Zeit lag darin eine leere Zigarrenkiste ...

Hinter dem Zimmer des Chefs gab es noch einen kleinen Raum, in den nur selten ein Besucher kam. Geschah es aber, daß der eine oder andere dort an dem kleinen runden Tisch in einem der tiefen Sessel zu einer Brasil Platz nehmen durfte, dann konnte man sicher sein, daß im Hauptkontor vor der Tür rotes und grünes Licht leuchtete — Zeichen, daß man völlig ungestört sein wollte.

Nicht jeder Besucher fand hier schon sein Ziel, mancher wurde hinausgeleitet in den Korridor und an Walther, Wolfram und Tannhäuser vorbei über eine enge, steile Wendeltreppe zum zweiten Stockwerk, wo nun an den Wänden die Minnesinger durch die nicht minder poetische Flora von Rudolf Kochs „Blumenbuch“ abgelöst wurden. Welche Tür sich aber hier oben für den Gast öffnete, das kam auf sein Vorhaben und auch auf die Gunst der Stunde an.

Wie unzureichend alles Beschreiben bleibt, wird einem recht deutlich, wenn man den Versuch macht, den Raum, in dem Katharina Kippenberg arbeitete, sich in die Erinnerung zu rufen. Er unterschied sich von allen anderen im Hause schon dadurch, daß die Fenster niedriger waren: man hatte die Wände über den Fenstern heruntergezogen, so daß sich an Stelle der schmalen überhohen Fensteröffnungen eine mehr quadratische Form ergeben hatte. Sogleich bekam damit der Raum einen intimeren Charakter: der Büroraum war in ein Studio verwandelt. Zwischen den Fenstern 6tand der kleine Schreibtisch, immer beladen mit Büchern und Manuskripten — sie lagen auch auf dem Mitteltisch, auf einer Holztafel an der

Wand, ja auch auf den Sesseln, und mit alledem erhielt das Ganze den Eindruck lebendigsten Lebens; es war immer, wenn man da eintrat, als käme man mitten in eine tätige Bewegung hinein: dies Buch dort war eben aufgeschlagen, das Manuskript da auf dem Tisch war noch kaum aus der Hand gelegt, Korrekturfahnen hingen über der Sessellehne, ein Zeitungsausschnitt lag dabei — wunderbare Atmosphäre eines Raumes, in dem Poesie waltet, Improvisation, Aufbruch. Fürchtete man nicht, mißverstanden zu werden, so würde man vom Zauber der Nichtordnung reden, die sozusagen die Ordnung des künstlerisch empfindenen Menschen ist. Sie stand in einem eigenwilligen Gegensatz zu der strengen Kühle nahezu bildloser Wände und der Nüchternheit schmaler, weiß gestrichener Bücherregale, in denen neben lyrischen Anthologien und Werken jüngerer deutscher Schriftsteller die englischen Romane vorherrschten.

Aber was beschreibe ich denn — den Rauml Er mehr als jeder andere wurde erst ganz, was er sein konnte, wenn die helle hohe Stimme dem Besucher ihr „Herein!“ zurief. Unvergeßlich allen denen, die da in einer glücklichen Mittagsstunde eintreten durften...

(Aus: „Gruß der Insel an Hans Carossa“ im Insel-Verlag.)

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