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Das Bild des Bauern in unserer Zeit

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In der Gegenwart, in der besonders mit der Frage nach Brot aller Augen auf den Bauern gerichtet sind, sei auch die Frage nach dem Bild des -Bauern, wie unsere Zeit ihn sieht, gestellt und beantwortet. Haben sich auch in den letzten Jahren durch die Flucht aus den Städten auf das Land die Vorstellungen über den Bauern geändert, so ist der Weg doch noch weit vom Kennenlernen eines Landmenschen bis zum Verstehen der geistigen Welt des Bauern.

Das Bild des Bauern machte in den letzten achtzig Jahren manche Wandlungen durch. Am sichtbarsten wurde dies auf dem Gebiete der Kunst, und da wieder am meisten bei dem kunstgewerblichen Ableger der Dichtung, in der Unterhaltungsliteratur, die ja von allem die breiteste Wirkung ausübt. Im Schrifttum vor den achtziger Jahren fehlten die Beziehungen zum Bauern fast vollständig. Die papierene Gartenlaubenliteratur wurde abgelöst durch einen kämpferischen Naturalismus, aber dessen Stoffgebiete waren die moderne städtische Gesellschaft und die Elendsviertel des gerade damals breit anwachsenden Industrieproletariats. Wie ein schütteres Wässerlein floß daneben die „Dorfgeschichte“. Die Heimatkunst um die Jahrhundeftwende gestaltete ein ideales und teils auch wirkliches Bild des Bauern. Sie wurde aber immer wieder überdeckt durch ein bindungs- und traditionsloses Literaten-tum. Den großen Einzug in die Literatur feierte der Bauer erst in den letzten zwanzig Jahren. Vollends in den letzten Jahren überschwemmte das Hochwasser der „Blubo-Literatur“ alle Büchereien. Der heidnische Bauer wurde entdeckt, das Bild des Bauern und im letzten der Bauer selbst sollten nach einem einheitlichen Willen „ausgerichtet“ und geformt werden, indem man das Fundament der geistigen Haltung des Bauern, das Christentum, als dünnen, abgenutzten Firnis betrachtete, durch den überall der geisterhörige, primitive, heidnische Bauer hervorsah. Heute ist diese Entwicklung jäh abgebrochen. Wie der Bauer morgen gedeutet wird, wissen wir noch nicht.

Die Dichtung aber, die mit ihrem Zug zum Ganzen des Volkes naturnotwendig mit dem Bauern zusammentreffen mußte, schuf immer und schafft ein großes und prächtiges Bild des Bauern. Er ist darin der bedächtig Schreitende, der ruhig Wägende und der schweigend Schaffende. Er weiß noch von den kraftvollen Strömen des blutvoll Ererbten und von den tieferen Zielen der Triebe. Er trägt schwer an ihnen, aber er weiß sie doch zu bändigen und lenken durch die uralte Weisheit der Uberlieferung und durch einen ungebrochenen Glauben. Dieses Bild des Bauern besitzen nur wenige, in der Breite des Volkes verblaßt es, der Bauer selber trägt es bewußt selten in sich.

Film und bäuerliches Volksstück aber bauen immer noch aus Lederhose und Kammer-fenster, aus Stallgeruch und Dummdreistheit ihr Bild des Bauern auf. Es trägt einen durchaus sentimentalen Zug. Mit viel „Gefühl“ wird das Vorhandensein eines höheren Ge-, fühls, als sich ausdrücken läßt, durch Wirtshauskrakeel und unehelich gezeugte Kinder, abgestritten. Es ist sogar viel die Rede von „echtem Volksbrauch“ und „wackeren Bauerngeschlechtern“, obwohl der Volksbrauch, der hier gemeint ist, sehr oft nicht mehr echt, das heißt lebendig ist, und die Bauerngeschlechter mit dem Beinamen „wacker“ nur ein sentimentales, papierenes Romandasein führen. Dieses Bild vom Bauern hat aber immer noch die weiteste Geltung; sogar der Bauer weiß davon und versucht oft, sich nach diesem Bild zu formen.

Die Wissenschaft trägt nur zögernd bei zum Bild des Bauern. Zwar ist jeder Strich wesentlich Und von innerer Wahrheit, der von der Soziologie und Volkskunde geführt wird, aber die experimentelle Strukturforschung ist über den Arbeiter und Städter schon viel weiter gediehen. Wer seit Riehl über Bauern und Landvolk schrieb, das waren nur wenige, die veilleicht bewundernd genannt, aber selten gelesen wurden.

Vielerlei Wirkung hatte das Bild des Bauern auf die äußere Kultur unserer Zeit. Vielleicht machen die vielen schönen und unschönen Dirndlkleider noch einmal den Weg zurück zu denen, dessen Bild sie abgeschaut wurden. Auch ein anderes lockte im Bild des Bauern: wohlhabend und gesichert zu sein auf eigenem Grund. Daß aber der. Bauer nicht nur gesichert allein ist, sondern auch auf Gedeih und Verderb an seinen Boden gefesselt, taucht nicht auf in diesem Bild des Bauern.

Wo aber finden wir den wirklichen Bauern? Der wahre Bauer lebt immer noch fast unbekannt unter den andern Brüdern seines Volkes. Er wurde schon oft entdeckt, wenn Krieg das Land bedrohte, wenn der Schatten des Hungers über dem Horizont der Zeit stand. Hernach aber vergaß man ihn wieder.

Der rechte Bauer selbst weiß in der Regel nicht viel von den Bildern über ihn. Sie werden ihm nur spürbar durch den aStrom von Verkitschung und Ausbeutung im geistigen Sinn, der von ihm und seinen geistigen Gütern lebt und sie „marktgängig“ macht.

Alle Schichten unseres Volkes tragen in sich die Keime des Guten und Bösen. Auch der Bauer ist nicht anders geartet.. Was ihm wesentlich ist, ist nicht das „Bessersein“, sondern daß ihm noch der Blick bewahrt blieb für die gesunde Ordnung des Lebens, daß sein Denken und Handeln sich nicht ausrichtet nach Neigungen und Meinungen des Tages. Seine Lehrautoritäten sind unantastbar, deren Forderungen allgemein gültig.

Der wahre Bauer beginnt jenseits der Äußerungen und Handlungen, die von der ihm wesensfremden Stadtkultur übernommen wurden. Alle Mittel der Bildung, des Umgangs und der Unterhaltung sind zugeschnitten auf den Menschen mit städtischer Kultur. Die Bauernkunst, die vor allem Ornamentalkunst ist, verlor ihren Anwert für ihn, als sie entdeckt und von findigen Köpfen „vervielfältigt“ wurde. Im Brauchtum ist es nicht anders. Auch hier schafft das Wort „Brauch“ Abstand, der Bauer wird sich seiner bis jetzt unbewußten Handlung bewußt und — unterläßt sie. Hier wäre viel mehr Behutsamkeit vonnöten. Es gibt vieles im Bauernbrauch, das die harte Fixierung durch das Wort nicht verträgt, das verblaßt, wenn es zu sehr in das Licht des Wortes gerückt wird: die tägliche Arbeitsordnung, das Tischgebet, manche Form bei Geburt, BrautT zeit und Tod.

Der wahre Bauer lebt von allen Brüdern des~ Volkes am nächsten den Kräften der Erde, die sich zeigen in Aussaat, Keimung und Frucht. Er weiß, daß er die Natur nie allein bezwingen wird. Die Einheit des christlichen Lebensgrundes blieb im ganzen Bauernstand erhalten. Das ist es, was die andern Brüder des Volkes im JBauerntum eine Insel des Friedens sehen läßt, oft beneidet, aber selten verstanden.

Und in den tieferen Lebenszusammenhängen des Volkes hat wohl auch die Tragik des Bauern ihren. Sinn, daß er dem Volk immer wieder das Beste an Menschen, geistiger Haltung und bleibenden Werten schenkt, er selber aber im Dunkel bleiben muß ...

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