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Elisabeth Reicharts Roman "Das Haus der sterbenden Männer".

Vier Lesetage liegen hinter mir. Dass ich nicht aufgegeben habe, liegt nur an der Kritiker-Gewissenhaftigkeit, die diagonales Lesen und vorschnelle Urteile verbietet. Der Zorn über die vertane Zeit richtet sich gegen ein Buch, dessen Thema heute verdrängt wird und uns doch alle einholt: der Tod.

Elisabeth Reicharts Roman "Das Haus der sterbenden Männer" greift dieses Thema auf, aber erst ab Seite 147 (von 400). Vorher: Verwirrendes Geschwätz, Figuren, die keine Konturen gewinnen, Banalitäten, sprachlich bombastisch verkleidet. Elisabeth Reichart, promovierte Historikerin, Jahrgang 1953, ist eine erfahrene Autorin mit zwei Hauptthemen: Österreichs nationalsozialistische Vergangenheit und Frauenemanzipation. Für ihre Romane, Kurzgeschichten, Theaterstücke und Hörspiele erhielt sie zahlreiche Preise: Ingeborg Bachmann-Preis, Anton Wildgans-Preis.

Liebesdienste bis zum Ende

Das Haus der sterbenden Männer ist eine von der Ich-Erzählerin geleitete Institution für reiche alte Herren, die nicht allein sterben wollen. Jeder Mann bekommt eine schöne junge Pflegerin, die willig "Liebesdienste" bis zum Ende ausführt. Von keinem der Männer erfährt der Leser mehr als ein paar Andeutungen seiner Lebensgeschichte. Alles bleibt bloße Behauptung. Bis auf eine Szene, die eine Pflegerin in eine Ausnahmesituation versetzt: "Er (der Sterbende) war grausam heute. Auf eine ganz perverse Art, die ich noch nie erlebt habe. Er wollte, dass ich mich schlafend stelle, dann hat er mich wie eine Puppe bewegt und mich schweigend angestarrt. Immer wieder hat er meine Beine anders hingelegt, sogar die Lage meiner Hände war ihm wichtig und die meines Kopfes. Meinen Kopf hat er am öftesten hin und her bewegt. Als es ihm zu langweilig wurde, meinen Kopf und meine Glieder zu arrangieren, hat er mir alle möglichen Gegenstände in die Vagina gestopft, er hat mich vollgestopft, ich weiß nicht womit, das meiste fühlte sich kalt an im Vergleich zu seiner Hand, und dann hat er in mir herumgewühlt, als wollte er mir meine Eingeweide herausreißen, grauenhaft, es war einfach grauenhaft."

Jedenfalls zu viel für die junge Frau: sie bringt den Sterbenden und sich gleich mit dazu um. Das Haus wird geschlossen, der Hass der Dorfbewohner (die Geschichte spielt irgendwo an der Donau) gegen die Ich-Erzählerin, Leiterin dieser unwahrscheinlichen Einrichtung, ist gewaltig. Sie will selbst sterben, wird aber gerettet von einer Freundin, welche sich durch Baron-Münchhausen-Lügensucht auszeichnet.

Liebe und Klischee

In den Cocktail aus Grauen und widerlichen Szenen (Vögel verstreuen stinkende menschliche Eingeweide in der Gegend) sind eine peinliche Liebesgeschichte und viele Klischees hineingerührt: Amerika-Beschimpfungen, ein gespanntes Mutter-Tochter-Verhältnis, verklärte Großeltern. Und dann Sätze, deren Un-Sinn sich erst beim zweiten Lesen erschließt: "Ich sah eine endlose Strecke vor mir, die ich gehen konnte, von keinem Urwald behindert, ich brauchte nur immer weiterzugehen, wie meine Urgroßväter und Ururgroßväter: Streckengeher, Grenzgeher, Almgeher, Störgeher. Das Gehen musste mir im Blut liegen, ausgeschlossen, dass all diese Geher nicht ihre Spuren in mir hinterlassen hatten." Soll derartiger Determinismus ernst genommen werden?

Elisabeth Reichart schreibt schwindelerregend schlecht: Da sind Ohren "gestrichen voll", da lächelt eine usa-Heimkehrerin ihr "erlerntes Zahnpastalächeln", da heißen Menschen, die sich im Alter ihren Erinnerungen hingeben, "Erinnerungssüchtige". Den hohlen Phrasen können x-beliebig viele hohle Sätze beigesellt werden: "Mit dem ersten Schritt auf das Licht zu waren wir aus dem Stillstand der Zeit hinausgegangen, ohne zu ahnen, dass wir auf den Abschied zugingen." "Der Abschied gehörte dem Schweigen, schweigend kam er nicht in Versuchung, die Regie im Weiterleben zu übernehmen."

Nein, dieses Buch kann ich nicht empfehlen. Elisabeth Reicharts Aussagen über Sterbende sind absurd, unglaubwürdig, konstruiert. Es gibt genügend Leute, die ihr bei einer ernsthaften Recherche hätten helfen können, wenn sie wirklich etwas hätte erfahren wollen.

Das Haus der sterbenden Männer

Roman von Elisabeth Reichart

Otto Müller Verlag, Salzburg 2005

391 Seiten, geb., e 23,-

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