Mercedes Spannagel - © Foto: APA / Herbert Neubauer

Debütroman von Mercedes Spannagel: „Das Palais muss brennen“

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Mercedes Spannagel seziert in ihrem scharfsichtigen, bitterbösen Debütroman „Das Palais muss brennen“ rechtskonservative Eliten und Ideologien.

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Mercedes Spannagel seziert in ihrem scharfsichtigen, bitterbösen Debütroman „Das Palais muss brennen“ rechtskonservative Eliten und Ideologien.

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Mercedes Spannagel entwirft in ihrem Roman „Das Palais muss brennen“ ein dystopisches Szenario, das gleichzeitig Erinnerungen an politische Verwerfungen der unmittelbaren Vergangenheit und Assoziationen zur gegenwärtigen politischen Wirklichkeit in Österreich aufruft. Die schwarz-blaue Regierung ist zwar vorbei, und der rechte Bundespräsident blieb uns erspart, aber in welche politische Zukunft sich das Land bewegt, bleibt offen.

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Dass eine Bundespräsidentin und die Regierung zurücktreten müssen, weil während des Opernballs ein Video in den öffentlichen Medien zu sehen ist, in dem die Annahme von Schmiergeldern erwogen wird, ist eine ebenso abgründige wie irrwitzige Idee. Aufgenommen wurde das Video im türkisfarbenen Zimmer des Palais, Spielfiguren sind die „Frau Bundespräsidentin“ und zwei Männer. Die rechtskonservative Bundespräsidentin lebt mit ihren beiden Töchtern in diesem Palais in der Wiener Innenstadt. Auch dass sie am Ende ein Jobangebot in einem russischen Unternehmen annimmt, verwundert nicht. Da ließen sich einige Politiker nennen, die als reale Vorbilder dienen könnten.

Antiautoritär und verwahrlost

Virtuos inszeniert Mercedes Spannagel in ihrem Debütroman ein Vexierspiel zwischen Wirklichkeit und Fiktion. Als sich die „Mutter Bundespräsidentin“ ihren neunten Windhund anschafft, kauft sich Tochter Luise als Trotzreaktion einen Mops und nennt ihn Marx, weil die Mutter den Kommunismus hasst. Dass die Mutter reinrassige Windhunde züchten möchte und einen Hundetrainer namens Ferdinand mit Schmiss engagiert hat, ist gleichermaßen groteske Zuspitzung wie scharfsinnige Beobachtung. Während die Ich-Erzählerin Luise diesem Burschi, also dem Burschenschaftler einer schlagenden Verbindung, „Mensur ist Menstruationsneid“ entgegnet, hat ihre Schwester Yara mit ihm eine Affäre.

Luise studiert Jus, ihre Schwester Yara Kunstgeschichte, aber eigentlich hat sie das Studium schon abgebrochen und arbeitet als Tätowiererin in einem Tattoo-Studio. In eine „dysfunktionale Familie“ sei sie hineingeboren, erklärt Luise, der soziale Aufstieg der Familie vom Plattenbau ins Palais sei durch die Politik erfolgt. „Ich hatte früh eine Abscheu in mir. Ich hatte früh Revolution in mir. Ich war antiautoritär und verwahrlost. Ich war verwöhnt. Ich war schwierig, von Anfang an.“

Mercedes Spannagel beweist, dass Literatur mehr kann als eine soziologische Studie. Sie erfindet sprachlich eine Welt, die realer ist, als wir sie uns vorstellen möchten.

Christa Gürtler

So selbstironisch charakterisiert Luise sich selbst, für ihre Freundin Sef ist sie „ein linksliberaler Vampir“. Luise und Yara rebellieren trotzig gegen die Mutter und die Nazis. Doch auch wenn der Titel „Das Palais muss brennen“ ihr Bemühen signalisiert, am Ende ist Party angesagt. Bis es zum furiosen Finale kommt, erproben die Töchter verschiedene Provokationen. Luise versenkt bei einem Jagdausflug in der Steiermark gemeinsam mit einem Komplizen die Jagdgewehre im Swimmingpool, während die Jagdgesellschaft schläft. Oder sie füttert ihren Mops bei einer Abendgesellschaft mit einem goldenen Löffelchen mit Foie gras, also gestopfter Gänseleber, und stellt fest: „Und je länger ich mich umschaute, desto ähnlicher schienen alle dem Mops, alle hatten irgendetwas Degeneriertes an sich.“

Was dann während des Opernballs passiert, ist dennoch eine Überraschung. Denn so weit wollten die Töchter nicht gehen. Sie dachten an eine Guerillakunstaktion während der Veranstaltung. Doch ein Liebhaber von Yara hatte eigene Interessen und drehte nicht nur einen feministischen Porno mit ihr, sondern nahm auch die nächtlichen Gespräche im türkisfarbenen Zimmer auf. Einer der Gesprächspartner war ausgerechnet der Vater eines Liebhabers von Luise, ebenfalls Mitglied einer schlagenden Burschenschaft.

Ebenso scharfsichtig wie bitterböse seziert Spannagel die rechtskonservativen Eliten, seien sie Aufsteiger oder Angehörige des Adels oder der Bourgeoisie. In kurzen und verdichteten Momentaufnahmen gelingt es ihr, mit treffsicherem Sprachwitz rechte Ideologien zu entlarven. Während die Elterngeneration korrupt ist, frönen die „Kinder der Nazis“ – so die Eigendefinition – den Vergnügungen in Clubs, dem Genuss von Koks, Ketamin oder MDMA, dem Alkohol oder sexuellen Freizügigkeiten in hetero-, bi- oder gleichgeschlechtlichen Varianten. Bussi links, Bussi rechts – das ist ihr gesellschaftliches Credo.

Sie gehören zur Jeunesse dorée, tragen diverse Markenprodukte, müssen sich zwischen Prada-Regenhut oder Cat-Eye-Dior-Sonnenbrille entscheiden. An Geld fehlt es ihnen nicht, weder Luise und Yara noch ihren Freundinnen und Freunden, wie der von der Mutter als „Proletin“ bezeichneten Lili, noch Sel, einer Muslimin mit Migrationshintergrund in Jordanien. Mit Sel hat Lu/Luise ebenso eine Beziehung wie mit dem Kunstlehramtsstudenten Jo und mit Theodor Thies, TT genannt, weil er Hemden mit eingesticktem Monogramm TT trägt. Die Generation der Ich-Erzählerin ist gebildet, ein Namedropping von Walter Benjamin bis Jean Baudrillard zieht sich durch den Roman. Aber Bücher und Kunstwerke sind bloß noch Dekoration, ins Kunsthistorische Museum geht man zu abendlichen Veranstaltungen mit dem Titel „Kunstschatzi“, und Yoga betreibt man in der Albertina. Beide Aktivitäten sind keine Fiktion.

Schonungslose literarische Analyse

Die hochbegabte 25-jährige Mercedes Spannagel beweist mit ihrem Debütroman, dass sie auch eine herausragende und souveräne Erzählerin ist. Als sie ihre Matura mit Auszeichnung absolviert, hat sie bereits drei Jahre Jusstudium hinter sich, das sie zu wenig herausfordert. Deshalb übersiedelt sie 2013 von Salzburg nach Wien, um Maschinenbau an der TU zu studieren, und startet gleichzeitig ihre literarische Karriere.

Sie kann heute bereits auf diverse Publikationen in Zeitschriften und Preise verweisen, so erhielt sie etwa 2017 den Rauriser Förderungspreis und gewann 2018 den FM4- Kurzgeschichtenwettbewerb Wortlaut. Wenn Luise am Ende über das mögliche zu erwartende Erbe antwortet „Na ja, was wir erben könnten, das sei das über Generationen weitergegebene rechtskonservative Gedankengut unserer Familie“, verweist sie damit auch auf die Erkenntnis, dass sie nicht nur ein Kind der Nazis ist, sondern Teil der Rechtspopulisten. Mercedes Spannagel gelingt mit ihrem Debütroman „Das Palais muss brennen“ eine schonungslose und rasant erzählte literarische Analyse rechtskonservativer Eliten. Und sie beweist, dass Literatur mehr kann als eine soziologische Studie. Spannagel erfindet sprachlich eine Welt, die realer ist, als wir sie uns vorstellen möchten.

Die Autorin ist Literaturwissenschaftlerin, Universitätslektorin und Literaturvermittlerin in Salzburg.

Das Palais muss brennen - © Foto: Kiepenheuer & Witsch 2020
© Foto: Kiepenheuer & Witsch 2020
Buch

Das Palais muss brennen

Roman von Mercedes Spannagel
Kiepenheuer & Witsch 2020 192 S.,
geb., € 18,50

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