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Der anekdotische Mensch

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Es ist üblich geworden, daß berühmte Leute. ihre Memoiren mit Hilfe eines Magnetophons und journalistischer Freunde — in Amerika nennt man sie ghostwriters — zu Papier bringen; im Nachwort finden wir dann häufig den Dank für diese „Hilfe bei der Niederschrift”. So sehr es nötig sein mag, Selbstzeugnisse von Menschen, die weder durch Herkunft noch Beruf mit “dem Umgang der .Feder vertraut sind, stilistisch und „architektonisch” in Ordnung zu bringen — soviel an Ursprünglichkeit und Eigenart, geht ihnen durch die gleichmäßig gefällige Darbietung verloren. Da ist uns jede Ausnahme willkommen. Der Schauspieler Victor de Kowa hat solche Hilfe nicht in Anspruch genommen; er, der Autor vieler Komödien und des „Katechismus des gesunden Menschenverstands”, hätte sie auch gar nicht nötig gehabt. Er versteht zu erzählen und seine Leser durch seine charmante Offenheit und ungezügelte Sprache sogleich in ein lauschendes Publikum zu verwandeln.

Der Schauspieler ist, nicht nur, wenn er erzählt, der anekdotische Mensch. Jede Erfahrung bedarf für ihn der Greifbarkeit der einmaligen Begebenheit und wird ihm zur Anekdote — nur so, in dieser zugleich originellen und witzigen Verbitdung von Außerordentlichem und Typischem, kann er sie bewahren. Alles muß ihm erzählbar, das heißt: vortragbar sein, damit er es ganz besitzt. Keine Episode in den Erinnerungen de Kowas wird episch breit, jede steuert sofort zielsicher auf ihre Pointe oder Quintessenz zu: die Geschichte von Else Bassermann, die, als ihr Mann an ihrer Seite im Flugzeug starb, ruhig blieb neben dem scheinbar Schlafenden, und erst sprach, als die Maschine gelandet war, ebenso wie die jenes emigrierten Juden, der sich in sein Arbeitszimmer ein Bild Adolf Hitlers gehängt hatte „gegen ‘s Heimweh”, Begegnungen in Südamerika wie Erlebnisse: während der Kriegsjahre in Berlin, Heiteres wie Ernstes. Sie alle werden patienceartig zum großen Kartenspiel des Lebens zusammengelegt, willkürlich scheinbar und doch bestimmten Regeln folgend.

Was uns an diesem Buche wesentlich erscheint und es so sympathisch macht, ist die ernsthafte Lebenshaltung eines Menschen, der nicht an seiner Zeit vorbeilebt, sondern sich für sie mitverantwortlich fühlt und immer bereit ist, aus Fehlern zu lernen. Sein Buch skizziert da einen Reifeprozeß, der Schauspieler kann nicht länger der unbekümmert glückliche Prinz von Arkadien sein. „Und war sie nicht großartig inszeniert, die Olympiade, Victor?” — „Und du hast nicht den direkten Weg vom olympischen Feuer in Berlin zu den Verbrennungsöfen in Buchenwald gesehen?” schreibt er und beschwört mit wenigen Strichen das gespenstische Bild einer vergangenen Aera. Schon das Beispiel des hochgebildeten Raoul Aslan erinnerte uns — zuletzt durch eine kurz vor seinem Tode publizierte Arbeit über „Christentum und Theater” — daran, daß der Schauspieler, der Mann der Maske, weder eine proteus- hifte noch eine innerlich unerfüllte Natur sein muß, sondern sehr wohl eine starke, in sich gefestigte Persönlichkeit sein kann. Auch auf der Bühne ist Persönlichkeit wichtiger als jedes Talent, sagt Victor de Kowa, der bekennt, in der Jugend ursprünglich Theologe werden zu wollen, aber, dem stärkeren Triebe folgend, dann schon mit 18 Jahren Theater spielte.

Heuer, am 8. März, feiert der Wien als Burgschauspieler verbundene vielseitige Künstler seinen 55. Geburtstag; zugleich sind es 30 Jahre, daß seine Weltkarriere mit der Berufung durch Max .Reinhardt nach Berlin begann. Seine Lebenserinnerungen, die er seiner Frau, Michi Tanaka, die er in Wien kennenlernte. gewidmet hat, werden von einem beglückenden Gefühl getragen. Das Motto, unter dem sie stehen — „Oft ist das Glücksgefühl so stark in mir, daß ich in den Garten rennen muß, um einen Baum zu umarmen” —, ist ein Leitmotiv, das sich rasch dem Leser mitteilt. Im Wunsch einer Neujahrsnacht:

„Ich bitte um …den Mut ohne Schlachtfelder und das Gewissen ohne Knechtung”, spricht sich ebenso wie im Dank an Gott, in einer Zeit, in der noch Tagore, Shaw, Hamsun, Hauptmann, Barlach, Strauß atmeten, gelebt zu haben, ein Lebensgefühl aus, dessen unsere Zeit so sehr bedarf.

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