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Der Autor und der Ladentisch

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Autoren sind merkwürdige Zwitter. Sie wollen die Kontinuität der Literatur ermöglichen und zugleich müssen sie mit Geist handeln. Sie verantworten mit ihren Verlegern das Vergnügen oder Mißvergnügen von Millionen Zeitgenossen, den Lesern, und gleichzeitig sollen sie wie Kaufleute kalkulieren.

Schiller zum Beispiel setzte in seinem Hono-rarkalender für das Jahr 1806 die Summe von 200 Talern für die Neubearbeitung eines alten chinesischen Romans an, die er kaum begonnen hatte und auch nicht vollenden konnte, da er das Jahr 1806 nicht mehr erlebte. Aber wer von seinen vielen Millionen Lesern hat nach dieser Kalkulation eines Genies gefragt? Sie scheinen meist zu vergessen, daß ein Dichter bezahlt sein will.

Darüber spricht „man“ nicht, es liegt ein Tabu über dieser Verbindung von Geschäft und Ehre. Auf der Frankfurter Buchmesse von 1953 sahen sich manche junge Autoren zum ersten Male auf dem Ladentisch ausliegen. Ihre Bücher sind, so meinen sie, ein Teil ihres Lebens. Doch wenn sie zusahen, wie das, was sie zumeist recht einsam und verwegen hinter ihren Schreibtischen verfaßten, zur Ware wurde, wuchs ihre Verlegenheit und ihr Erstaunen, obwohl es doch nur selbstverständlich ist, daß ihr Geschäftspartner, der Buchhändler, nicht allein im Bewußtsein seiner Tradition, sondern auch unter Berücksichtigung seiner Rolle als Kaufmann auswählt.

Beides läßt sich ebenso schwer vereinen wie Ehrgeiz und Verdienst eines Autors. Und den-doch machen beide Komponenten den Büchermarkt zu einer erregenden und verwirrenden Funktion im geistigen Leben unserer Zeit.

Er ist ein geistiges Abenteuer und eine realistische Chance. Er ist der Jahrmarkt der Eitelkeiten, die Waage des Gerichts über Wert und Unwert einer Neuerscheinung, die Lotterie kultureller Ansprüche.

Und der Autor, der sich auf dem Ladentisch findet, sieht gelassen und doch ungeduldig, zufrieden und doch wenig bescheiden dem ernsten Spiel zu, das mit ihm getrieben werden muß.

Denn der Ladentisch ist nur eine Zwischenstation. Hinter ihm steht der Anspruch des Autors, gehört zu werden, vor ihm wählt ein Publikum, das sich einem Angebot gegenüber sieht, dem es nicht immer gewachsen ist. Doch seitdem Bücher geschrieben und verlegt werden, ist die Neugier des Lesers stärker als sein Mißtrauen, das ihm den Geldbeutel geschlossen halten möchte. Und der Buchhändler wird zum Anreger; er kann den Leser überzeugen und überreden. Er muß ihn gewinnen und festhalten. Die jungen Autoren meinen, die Chance des Buchhändlers sei auch ihre Chance. Dies klingt verwegen — aber ist nicht durch die Literaturgeschichte bewiesen worden, daß sich der Einsatz für Bücher, die ihrem Verfasser erst einen Namen einbringen sollten, wirklich in vielen Fällen lohnte?

Wenn auch das Angebot noch unbekannter Autoren nicht gering ist, der Buchhändler hält das Schicksal jeder Neuerscheinung in seinen Händen. Er läßt sich von Kritikern beraten und muß doch ganz allein ein Buch abschätzen und — lieben.

Am Anfang aber bleibt immer der einsame Mann hinter dem Schreibtsich, der Schriftsteller und Dichter, jener Zeitgenosse, der mit Schreibmaschine, Federhalter und ein wenig weißem Papier alles das hervorzaubert, was wir die große, schöne und lebendige Welt des Buches nennen. Er ist es, der eine Welt im Roman, die Zeit im Essay, Stimmungen und Beobachtungen im Gedicht, Erkenntnisse und Meinungen in einem wissenschaftlichen Werk und Erfahrungen in einem Bericht festhält. Ihm dankt der Buchhandel seine Existenz und der Leser das Ereignis, aber auch die Enttäuschung zahlloser Lesestunden.

Beides gehört zur Literatur. Ereignisse können zu Enttäuschungen, Enttäuschungen zu Ereignissen werden .. s

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