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Die Zeit, aus der wir kommen

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Zu dem Buch „Deutsche und antike Welt“. Lebenserinnerungen von Ludwig Curtius. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 531 Selten, DM 16.80

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Zu dem Buch „Deutsche und antike Welt“. Lebenserinnerungen von Ludwig Curtius. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 531 Selten, DM 16.80

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Man hat in den letzten Jahrzehnten oftmals an der Notwendigkeit, ja an dem Wert des humanistischen Bildungsgutes und der humanistischen Erziehung gezweifelt. Dieses Buch beweist einfach durch seinen Inhalt, ohne daß es irgendwo davon spricht, was man verlieren kann, wenn man die Brücken zum klassischen Altertum abbricht, und was man gewinnen kann, wenn man sie überschreitet und erhält. Denn wo — und das ist das einzig Betrübliche, vielleicht Bedrückende, das sich aus der Lektüre des Werkes ergibt — haben wir noch solche Persönlichkeiten, wo können wir sie überhaupt noch haben und wann können wir sie je wieder erwarten? Die Gelehrtengeneration, die an den Universitäten wirkte, an denen Curtius studierte, konnte ihren Schülern und Nachfolgern nicht nur umfassendes Wissen und ein geschlossene Weltbild vermitteln, sondern in ihren Herzen auch jenen Funken der Begeisterung entzünden, dessen es bedarf, um Forscher und Lehrer werden zu können. Denn Wissenschaft ist mehr als nur Routine und ein guteingespielter Apparat, es ist mehr als nur das Vermögen, in gutgeschliffenen Worten und geistreich konstruierten Sätzen schon Bekanntes neu darzustellen oder mit.neuen Auslegungen zu blenden. Wissenschaft, wenn sie es wirklich sein soll, muß Erleben bedeuten, muß eine Herzensangelegenheit sein und setzt nicht zuletzt voraus, daß man die Fähigkeit besitzt, sich begeistern zu können. Von all den Übeln, die uns heute das Leben schwer machen und an denen unsere Welt krankt, ist das der Blasiertheit und der Gleichgültigkeit der größten eines. Curtius aber — und das macht das Buch, von dem hier die Rede Ist, auch für alle jene bedeutsam, die nicht an der Gelehrtenselbstbiographie, sondern an dem allgemein menschlichen Inhalt dieses Buches interessiert sind — hat sich seine Begeisterungsfähigkeit stets und in allen Lebenslagen erhalten. Ob er nun als Bub auf dem Gut seiner prächtig geschilderten Großmutter im Allgäu lebt oder als junger Forscher auf den griechischen Inseln nach den Dokumentationen der Hellenen sucht, ob er im ersten Weltkrieg als Nachrichtenoffizier in Albanien in schwierigen Situationen Auswege zu finden und zu verantworten hat, oder ob er als Lehrer einer Generation von Studenten an den Universiäten Deutschlands und schließlich als Direktor des Deutsdien Archäologisdien Instituts in Rom wirkt — stets bewahrt er sich neben seiner Herzlichkeit, seinem Takt und seiner gewinnenden Güte auch die echte und bedingungslose Freude am Schönen, am Heiteren und am Augenblick, den es zu genießen gilt, um das Leben recht zu leben. Stets aber sieht er — und wie viele können das noch — im Mensdien wirklich den Menschen!

Man erinnert sich kaum eines anderen Buches, das solchen Reichtum an Erlebtem und an in einem relichen Leben gewonnenen Weisheiten enthält, wie dieses, dessen Verfasser in der Welt der Antike ebenso beheimatet ist wie in der seiner Vorfahren. Eine Fülle bedeutsamer Persönlichkeiten, mit denen Curtius in Verbindung war und mit denen ihn zum Teil enge Freundschaft verband, werden in der blendenden Darstellung so richtig lebendig und lassen uns, die wir zwar aus dieser kommen, sie aber nicht mehr zu der unserigen zu machen imstande waren, jene Jahre eines echten Lebensgefühls nachempfinden. Nicht nur die Porträts all dieser Menschen erstehen als unübertreffliche Charakterbilder aus den Seiten dieser Selbstdarstellung, sondern auch die Landschaften und die Städte kann Curtius wie kaum ein anderer Autor mit solcher Gestaltungskraft schildern, daß man mitten in ihnen zu sein vermeint, wenn er davon erzählt! Gelehrte wie Lujo Brentano, Max Weber und Ludwig Furtwäng-ler, der große Archäologe, waren Lehrer und Kollegen des Autors. Dem Sohn des letzteren, dem bekannten Dirigenten, gab er als Hofmeister längere Zeit Privatunterricht. Künstler und Dichter — unter ihnen auch Hugo von Hofmannsthal — verkehrten in seinem und seiner Freunde Haus, die Reihe bekannter Persönlichkeiten, mit denen er Kontakt hatte, reicht von Bismarck bis Francois Poncet, und eine große Anzahl Gelehrter, Militärs und Politiker des alten Osterreich lernte er kennen und schätzen. Wirklich einmalig aber ist die in diesem Buche gegebene Darstellung der italienischen Welt und vor allem des italienischen Volkes, das er schon als junger Student, der sehnsüchtig und weitoffenen Herzens nach dem klassischen Süden pilgerte, kennen und lieben lernte.

Alles, was dem Worte Humanismus an Größe, Wert und Güte zukommt, findet man in diesen Lebenserinnerungen eines Humanisten widergespiegelt. Gleichzeitig aber auch die Bescheidenheit, den liebenswerten Humor und die ganze große Gläubigkeit eines edlen und voll gelebten Lebens. Sie machen dieses Buch zu einem kostbaien Geschenk, das wir mit großer Dankbarkeit und in vollem Bewußtsein der Tatsache hinnehmen müssen, daß uns ähnliche nur qanz selten gemacht werden können, denn Persönlichkeiten wie Curtius, die mit solcher Souveränität schreiben können, sind mehr als rar geworden.

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