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Der Blumentisch meiner Mutter

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Meine Mutter war eine leidenschaftliche Blumenliebhaberin: was für mich Tiere bedeuteten, waren für sie Blumen, nämlich das Schönste, was die Natur einem jeden von uns zu bieten vermochte.

Sic hatte auch die „glückliche Hand", die ein Mensch haben muß, der sich mit „pflanzen“ befaßt, und von der Erde ihren Segen benötigt. Sie ging im Garten herum, schob den Sehne zsur Seite und konnte sich, wie ein Kind freuen, wenn sie Schneeglöckchen entdeckt . Ein glückliches Lächeln verschönte ihre etwas vergrämten Züge, wenn sie die ersten Krokusse blühen und ihre Lieb- Iingsblumen — die Auri kein, neben Himmelschlüsseln auf dem runden Beet, neben der großen Fichte, in mannigfacher Blüte stehen sah. Oft hat sie mich gebeten — dereinst — auf ihr Grab Aurikeln zu pflanzen, die dann von selbst in jedem Frühjahr von neuem zu blühen beginnen würden. Wie selbstverständlich nahm sie an, in unserer schönen Familiengrabstätte, neben ihrem Gatten, ruhen zu dürfen Doch gegen jede Vernunft und Voraussicht ist es anders gekommen: sie liegt irgendwo in fremden- und von uns ungeliebtem Reich, wohin uns harte und brutale Hände umzu pflanzen versuchten — als Nummer so und so.., eingetragen im Buch der Toten unter einem versinkenden, verwehenden Sandhügel — ohne Kreuz. Und nie wird jemand kommen, und ihr Aurikel im Frühling, und im Sommer Hortensien, die sie ebenfalls liebte — aufs Grab pflanzen. Niemals.

Als ich nach Jahren aus fremden Ländern und von jenseitigen Ufern wieder heimkehrte, in die Stätten der Kindheit mein Kahn auf offener See in den stillen Hafen der Heimat einlief, und das mir nun — nach den großartigen Dimensionen, an die idi mich draußen gewöhnt hatte — klein und niedrig erscheinende Elternhaus betrat, stand vor dem Fenster des sonnendurchfluteten Speisezimmers mit den hell polierten Birkenmöbeln aus der Kindheit ein runder Tisch mit einer Anzahl blühender Blumen, Päonien waren es. Sie blühten weiß und rosa, rot und gelb, während draußen noch hie und da Schnee lag.

„Sieh doch“ — sagte sie voll Stolz, „was mir gelungen ist!“ Und sie lockerte Kicr fie Erde and entfernte dort ein gelb gewordenes Blatt goß ein wenig Wasser in diesen oder jenen Topf.

„Dieses weiße Prachtexemplar hat mir die Nachbarin geschenkt, und jenes habe ich als ganz kleines Pflänzchen erhalten und es selbst aufgezogen, es blüht dieses Jahr zum erstenmal."

Ihr liebes, altes Gesicht strahlte „Setz dich nun jetzt an den Tisch, dann kommt die Blume — zu den Blumen!"

Und sie schaute auch mich mit dem gleichen liebevollen Blick an, wie die Blumen, die sie selbst gezogen hatte, und schien auch über mich voll Stolz zu sein.

Aber mir gefiel dieser Vergleich irgendwie nicht — ich kam mir ah, verblüht, sonnenverbrannt und verdorrt vor und ging darauf nicht ein. Ja, sie mochte einen unguten, ironischen Zug um meinen herb geschlossenen Mund oder in meinem — in den langen Jahren, die sich trennend zwischen uns gelegt, kühl gewordenem — Blick bemerkt haben. Der Ausdruck, der oeben noch ihr Gesicht, gleich einem Sonnenstrahl erhellt und durchleuchtet hatte, erlosch — und sie stand, wie im Schatten.

Ach, es war nicht das einzigemal, daß sie durch mein Verschulden im Dunklen zu stehen kam.

Später bradihte ich einen hellen Fensterplatz für meinen Schreibtisch und verdrängte — die Blumen. Der runde Tisch, auf dem sie gestanden, wurde fortgetragen und die Blumen einzeln in die anderen Zimmer verteilt. — Die einen kamen im Schatten zurecht und gediehen nicht mehr so gut, die anderen Katten in einem leerstehenden Zimmer, das nicht alle Tage geheizt wurde, ihren Platz erhalten, und erfroren eines Nachts. Schließlich gingen sie alle ein. — Meine Mutter hat still geschwiegen. Keine Klage, kein Vorwurf ist über ihre Lippen gekommen. Nur, wie Wehmut stand es in ihren Augen, wie eia leises, fernes Leuchten von ungeweinten, zurückgehaltenen Tränen, wenn sie hinüber- schaute, zum Fenster, wo bisher — an Stelle meines nüchternen, leeren Schreibtisches, sonnenüberflutet — ihre Lieblinge geblüht hatten

Idi habe schon damals einen kleinen, leicht bohrenden Schmerz über das Geschehene empfunden, bin herumgelaufen im kleinen Ort, zu Gärtnern, in Blumengeschäfte und zu Bekannten und habe solche selbe Blumen gesucht, um meiner Mutter einen neuen Blumentisch aufzubauen, aber keine gefunden. „Die gab ts nur einmal" — sagte mein Mutter, und senkte rasch die Lider.

Das war damals, als ich noch dachte, es würde noch tausend Gelegenheiten geben ihr andere, schönere Blumen zu schenken, die ihr manche Freude bereiten, um diese Schuld, die eigentlich nur im Unterbewußtsein ruhte, wieder gutmachen zu können.

Jetzt, da die Mutter tot ist, und ich niemals ihr Grab werde sehen noch bepflanzen können, bin ich mir meiner Schuld, die Blumen ums Leben und meine Mutter um eine harmlose Freude gebracht zu haben, voll bewußt. Und sie wächst, diese Schuld, ins Riesenhafte.

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