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Der Brunnen des Hasses und der Liebe

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Der amerikanische Film „Stadt in Aufruhr“ nimmt die Aufklärung des Falles — ein Negerkind verschwindet in einer Provinzstadt, indem es auf dem Schulweg in einen verfallenen Brunnenschacht fällt —- gleich mutig in den ersten Bildern, übrigens auch im Originaltitel „The Well“ („Der Brunnen“) vorweg. Es ist, als ob er sagen wollte: Versteht mich recht, was nun kommt, ist kein spannendes Rätselraten, kein Kriminalreißer. Es kommt vielmehr die Massenhysteric, hüben und drüben, ein hektischer Ausbruch des Farbigenkomplexes, wie ihn beklemmender noch kaum ein Film, auch nicht die letzten großen Negerproblemfilme der Amerikaner, wiedergegeben haben. Soll man mehr die schauerliche Realistik oder die subtile psychologische Reaktion des Filmes loben? Doch endet nicht mit Fluch der Sang. Der ganze, nicht kürzere zweite Teil des Films bringt nach der ätzend scharfen Analyse die versöhnende, aber nicht schönfärbende Synthese. Ein Meisterstück: dieses langsame Erwachen und Besinnen der notleidenden Kreatur, dieses schamhafte Zusammenrücken von Mensch zu Mensch, als es in einem schwierigen Bergungswerk darum geht, das schuldlose Objekt des Anstoßes, das Kind, dem Leben wiederzugeben und zugleich zur Vernunft und Würde der Erwachsenen zurückzufinden. Es wird sogar gebetet ■ in diesem Film — in einem Film! — und mit zehnfachem Gewicht fallen die Worte in die atemlos aufhorchende Stille: „Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben . ..“ Merkwürdig, wie fremd, wie ungewohnt im Film diese Worte klingen. Aber, das ist nicht seine, sondern allein unsere Schuld. Denn der Film gibt nur wieder, was unsere Hände, Füße und Augen sonst auf der Erde tun. Und unsere Hände sind nur selten zum Gebet gefaltet.

Die Freude an der hinreißenden Travestie des Schundrornanes, wie sie das amerikanische Grotesklustspiel „Das Doppelleben des Herrn M i 11 y“ im richtigen alten Chaplin-Stil vorexerziert, wäre ungetrübt, wenn man nicht wüßte, daß Tag für Tag aus derselben Windrichtung millionenfacher Schund in Buch und Film unverulkt zu uns kommt. „Ein Fremder ruft an“ ist ein seriöser amerikanischer Film, der vier zerbrechende Schicksale in eine originelle Beziehung zueinander bringt, während „Hongkong“ und „R a d a r-Geheimpolizei“ sich verdächtig dem von Herrn Mitty verulkten literarischen Kaffeesatz nähern. Ja, ja, das Doppelleben von Hollywood...!

Zündende Musik-, Tanz- und Revueatmosphäre zaubert Marika Rökk in „Maske in Blau“ auf die Leinwand, ein zweites deutsches Lustspiel „Muß das sein, Fräulein?“ ist um so viel zahmer wie Sonja Ziemann gegenüber der Rökk. „Hoch vom Dachstein“, ein Bauernfilm, ist der ^latur so wenig nahe wie der Heidefilm „D o r o-thee“, in dem nur das Moor seine Schuldigkeit tut.

Kein Geringerer als Delannoy hat mit Jean Marais „Das Geheimnis von Mayerling“ ins Französische übersetzt. Es scheint eine Art vierte Internationale des literarischen Schundes zu geben, und keine Filmnation der Erde scheint von der Anfälligkeit dafür ganz frei zu sein ...

Dagegen findet der Musikfilm, der im Frühling des Tonfilms die schönsten Versprechungen gegeben, in der Folgezeit aber nicht gehalten hat. in dem amerikanischen Flm „Der große Caruso“ wieder zur alten Höhe zurück. Makellose Wiedergabe der Musik, ein verhaltenes Drehbuch und die prachtvolle Stimme Mario Lanzas lassen den Film für alle

Freunde der Oper zu einem nachhaltigen Erlebnis werden.

Roman Herle

Fi Im schau (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Oesterreich) Nr. 12/111 vom 25. März 1953: II (Für alle zulässig: „Der große Caruso“; III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Hoch vom Dachstein“, „Ein Fremder ruft an“, „Das Doppelleben des Herrn Mitty“, „Honkong“; IV a (Für erwachsene mit Vorbehalt): „Maske in Blau“; IVb (Für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): „Das Geheimnis von Mayerling“, „Dorothee“; V (Abzuraten): „Der Rächer der Unterwelt“.

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