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Der alte Sunder im britischen Film
Die ganze Tradition des britischen Films widerspiegelt sich in der Charakterkomödie, die David Lean mit dem Film „Hobsons Choice“ („H e r r i m Haus bin ich“) zum Leben erweckt hat. Gestalten wie aus Dickens Feder entsprungen, eine bürgerliche Wohlhabenheit und eine proletarische Armut im Viktorianischen England, eine König-Lear-Tragödie, gerade nur angerührt und mit Ironie und gelassenem Humor überspielt, gefühlsharte Menschen mit nur einem Flämmchen ehrlichen Gefühls im Herzen, satte, schadenfreudige, scheinheilige Spießer, das alles ist in diesem Film zu finden, der die Nachdenklichen nachdenklich, die Iachwilligen lachen macht.
Die Figur, auf die das meiste Licht fällt, ist der zum selbstsicheren Genießer und Egoisten gewordene Besitzer eines Schuhladens, der seiner Kinder und Gesellen Arbeit wie in gottgewollter Ordnung als seine Leistung ansieht, die ihn berechtigt, alle fünf gerade sein zu lassen und sich dem Trunk zu ergeben. Aber seine älteste Tochter, über deren Zukunft er so kalt hinweggeht, ist auch aus hartem Holz geschnitzt und rebelliert. Sie heiratet seinen tüchtigsten Gesellen, der nicht lesen und schreiben kann, und macht ihn zum Meister, zum Konkurrenten und dann zum Teilhaber ihres Vaters.
Man könnte zweifeln, wo die größere darstellerische Leistung liegt: bei Charles Laughton, der alle Stadien der Bezechtheit großartig verexerziert, der einen unsympathischen Tyrannen, der auf die Knie gezwungen wird, sympathisch macht, einen „alten Sünder“, aber in die Höhe dichterischer Gestaltung gesteigert. Oder bei dem Schustergesellen John Mills, der aus dem stumpfen, tierähnlichen Arbeitssklaven, der nur den Willen seines Herrn kennt, bis er durch den Willen der Frau, die sich ihn wählte, zu einer Persönlichkeit wird — eine wirkliche Verwandlung. In diesem Film ist ein wissender Humor, der eine Tragödie hart am Rande vorbeiführt und die Bitterkeiten des gezeigten Lebens so intensiv beobachtet, daß sie lachen machen, ob einer nur die „Alte-Sünder“-Oberfläche sieht oder dahinter die Abgründe der sozialen Fragen und Generationenprobleme, die sich zwischen beseligtem Hangen am Laternenpfahl und Mondspiegeleien in schwankenden Pfützen hinter der Oberfläche auftun.
Sie haben Humor, die Engländer, selbst wenn sie die ganze Rüstkammer des Wildwest- und Abenteurerfilms auskramen und die Mechanik ihrer Dramaturgie abrollen lassen wie in dein Farbfilm „Die falsche Sklavin“. Sie überspitzen diese Dramaturgie so stark, daß nur noch die heiteren Wirkungen bleiben, etwa wenn die beiden feindlichen Reiterheere aufeinander zubrausen und dann nur noch die Pferde und die Toten übrigbleiben. Daß ihre Hersteller das mit überlegter Absicht tun, macht den Reiz dieses Films aus. Diese Absicht fehlt leider den Italienern mit ihren „Fahrten des Odysseus“, den leider nicht Pabst inszeniert hat. Denn ein paar gute Ansätze verraten ein besseres Manuskript, das zur Revue und zum Wildwester entartet ist, und wenn die Toten nur so herumliegen, belustigt sich nicht der Filmkommentator, sondern hier wohl gegen die Absicht der Zuschauer.
Wie doch diese Franzosen dagegen aus Nichts etwas zu machen verstehen, wie Marc AHegret in dem so vergnüglichen Schwank „Julietta“, wo Jean Marais fast 90 Minuten lang zwischen ebener Erde und Bodenkammer und Braut und Zufailsgast hin- und herpendelt zum Ergötzen der Zuschauer, nur Dank des Tempos, mit dem die Regie Gag um Gag die Situationen weitertreibt. Würden so etwas nur die Deutschen lernen, wenn sie — wie etwa Hans Schweikart, um den Münchner Fasching nach ungarischen Komödien österreichische Filme inszenieren. Keine Handlung und keine Zubereitung, mit diesem „Glück ins Haus“ kommt kein Glück ins Haus. Schade! *
F i 1 m s c h a u (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Oesterreich), Nr. 8 vom 26. Februar 1955: III (für Erwachsene und reifere Jugend): „Der Herr im Haus bin ich“, „Tanz in der Sonne“. — IV (für Erwachsene): „Vor verschlossenen Türen“. — IV a (für Erwachsene mit Vorbehalt): „Die Kameliendame“, „Bestie der Wildnis“.
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