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Der Film - des Fernsehers liebstes Kind

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Gelten nicht nach landläufiger Meinung die beiden Medien TV und Kinofilm seit dem Zeitpunkt des Bildschirmeinzugs in die Haushalte der Welt als feindliche Brüder? Zwar hat sich in den letzten Jahren die Spannung etwas gemildert, nachdem in Übersee und Europa die Filmproduktionen aller Größenordnungen dazu übergegangen sind, entweder ihre Studios und technischen Anlagen den Fernsehstationen für die Herstellung von Fernsehspielen, -Serien und -do-kumentationen zu vermieten oder aber in dem sie sich direkt in die Produktion für das Fernsehen eingeschaltet haben. Die dabei getätigten Umsätze reichen wohl in den meisten Fällen nicht an die Verdienstmöglichkeiten und Gewinne eines erfolgreichen Kinospielfilmes, der mehrere Jahre durch die Filmtheater in aller

Welt wandert, heran, aber die Fernseheinkünfte genügen doch, um zu überleben, Menschen und Gerät ziemlich kontinuierlich weiterzubeschäftigen, um im Stillen auf eine neue Blüte in den Kinos zu hoffen. Trotzdem glimmt unter der beruhigten Oberfläche das Ressentiment der angestammten Zelluloidweit gegenüber dem jugendlich-forschen Parvenü, genannt Fernsehen, munter weiter. Und es sind vor allem die Kinobesitzer, die sich mit dem üppig wuchernden Konkurrenten noch immer nicht so recht abfinden können. Sie sind es aber auch, die seine Rivalität in vorderster Front zu spüren bekommen. Denn ihre Plätze in den vielfach mit modernem Komfort neu adaptierten Sälen bleiben leer, weil das „Patschenkino“ und die Bequemlichkeit des Publikums sie ihnen streitig macht

Interessant ist in diesem Zusammenhang das Ergebnis einer Untersuchung des ORF über die Wünsche seiner Konsumenten, das einen eindeutigen und deutlichen Trend des Publikums zu dem von Ihm in den Kinos verschmähten und stiefmütterlich behandelten Spielfilm zeigt. Die Frage nach der Wiederholung von Sendungen, wurde überwiegend mit der Nennung von Spielfilmen beantwortet. Mit Ausnahme der Fernsehserie „Orion“ rangierte keine der eigens für dieses Medium hergestellten Sendungen unter den ersten Rängen in der Publikumsgunst. Dabei sind doch die dramaturgischen und optischen Voraussetzungen dieser beiden Medien in vieler Hinsicht grundverschieden. Lebt die inzwischen überdimensional angewachsene Leinwand von der imponierenden Wucht bewegter Massenszenen und der atemraubenden Schönheit weiträumiger und tiefgestaffelter Landschaftsbilder, so liegt 'das attraktive Schwergewicht des Bildschirms In der zuweüen peinlich decouvrieren-den Intensität von Groß- und Nahaufnahmen, von Kameraeinstellungen, die „unter die Haut gehen“. In der Sphäre des Theaters würde man den Vergleich von einer Monstershow zum intimen Kammerspiel wählen. Trotzdem scheinen die Femseher in der Mehrheit, den für ganz andere Wirkungsbereiche gestalteten Spielfilm den telegen ausgerichteten Bildschirminszenierungen vorzuziehen. Sie nehmen es zum Beispiel ohne Murren in Kauf, daß viele dieser Spielfllm-projektionen den ohnehin schon relativ kleinen Bildausschnitt noch durch zwei schwarze Balken am oberen und unteren Rand geschmälert bekommen. Eine Folge des Cinemascope-Formats, in dem ja die meisten Spielfilme der letzten Jahre hergestellt wurden. Dazu gesellen sich noch weitere Beeinträchtigungen, die sich aus den beträchtlichen Dimensionsunterschieden der Vorführungsflächen ergeben und die ebenfalls stillschweigend verkraftet werden. Sicherlich sind die verantwortlichen Programmgestalter der Fernsehstationen über diese Publikumsneigung nicht ungehalten. Weder aus finanziellen, noch aus organisatorischen Gründen. Denn es ist wesentlich billiger und einfacher einen Posten Spielfilme aufzukaufen und einzusetzen, als in eigener Regie eine Fernsehserie oder Inszenierung auf die Beine zu bringen und durchzuführen. Trotzdem sollte man sich mit den psychologischen Hintergründen dieses Publikumsgeschmackes, die nicht allein in allgemein menschlicher Lethargie und Bequemlichkeit zu suchen sind, auseinandersetzen.

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