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Der Zug der Zeit

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Unlängst hat einer im Radio gesagt, daß er lieber Prominente interviewt als Unbekannte. Weil nämlich das Wimmerl, das der Placido Domingo hinterm linken Ohr hat und von dem er möglicherweise was ausplaudert, vom Publikum mit ungeteiltem Interesse verfolgt wird.

Klar, es könnte den Stern einerseits am nächsten hohen C hindern, und andererseits überhaupt. Der Eberhard Meier hingegen kann mit der schönsten Schuppenflechte am ganzen Körper keinen Kommissar Rex vom Quietschpupperl wegholen. Wieder einerseits weil man den Eberhard Meier erst einmal langmächtig vorstellen müßte. Und weil wiederum andererseits dann ja erst keiner in Tränen ausbricht.

Es hat gar keinen Sinn, ob dieser Tatsache die Ungerechtigkeit dieser Welt zu beklagen. Der inhumane Lauf der Dinge ist nämlich auch von Menschen wie dir und mir, und da zitiere ich, der dem gottlob immer mehr wieder in Mode kommenden

Sie zurteigt und das von manchem Möbelhaus gesponserte Du für jedermann aus vollem Herzensgrunde ablehnt, nur einen uralten Werbespruch, also der Lauf der Dinge ist hausgemacht. Und da Trends weder Heuschreckenschwärme noch Windhosen, sondern durchgestyltes Menschenwerk sind, versagt vor ihnen naturgemäß sogar der Hundertjährige Kalender aufs kläglichste.

Auf ihm können wir bestenfalls nachlesen, wie's denn früher so war. Da marschierten sie etwa noch in den frühen sechziger Jahren unseres finsteren Säkulums zu Häuf in einer Demo, die man damals noch ungekürzt als Demonstration ausschrieb, über den Wiener Ring, nur weil auf der Riesenleinwand des mittlerweile durch ein Computerzentrum ersetzten Forum-Kinos in Millimetergröße und für Sekundenbruchteile die nicht völlig bekleidete Hildegard Knef zu erkennen war. Wenn sie einem heutzutage schon im Patschenkino feminin- wie maskulin Unbehostes in Überlebensgröße nur so um die Ohren hauen und wir darob in Langeweile ausbrechend zum nächsten nicht • zu Unrecht so genannten Kanal weiterswit-

chen, weiß man nicht, worüber man sich eher die Haare zu raufen hätte.

Im Zweifelsfall verzichten wir aber großzügig gänzlich drauf und harren der Lottozahlen, immerhin im tristen Dahindämmern der Tage ein hoffnungsfroher Lichtblick. Die Selbsterfahrungsgruppe hat uns jedoch gelehrt, auch den der Ziehung unweigerlich folgenden Frust tapfer zu bekämpfen. Da ist, mittelfristig, versteht sich, der existentiellen Bandbreite nur mit einem Höchstmaß an Selbstverwirklichung beizukommen. Was nichts anderes heißt, als professionell auf den Soll-Zu-stand hinzuarbeiten, im harten Konkurrenzkampf einerseits mit den Wölfen zu heulen, was zwar als Sprichwort im Hinblick auf seine unzeitgemäße Bildhaftigkeit unverständlich geworden, aber dem Sinne nach total up to date ist. Und andererseits unter Einsatz der Ellenbogen, symbolisch wie in facto, wenn schon nicht dem Wimmerl des Welttenors, so doch zumindest den Mitessern des Katzenklodesigners zuzustreben.

Wenigstens ein kurzer Schwenk über unseresgleichen in den Seitenblicken dürfte sodann gewiß sein.

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