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Die Frankokratie

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DIE KREUZFAHRER EROBERN KONSTANTINOPEL. Die Regierungszeit der Kaiser Alexios Angelos. Isaak Angelos und Alexios Dukas, die Schicksale der Stadt nach der Einnahme sowie das „Buch von den Bildsäulen“ 1195 bis 1206 aus dem Geschichtswerk des Niketas Choniates. Mit einem Anhang: Nikolaos Mesarites — Die Palastrevolution des Joannes Komnenos, je übersetzt, eingeleitet und erklärt von Franz G r a b 1 e r. Verlag Styria, Graz. 320 Seiten mit einer Abbildung und drei Karten

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DIE KREUZFAHRER EROBERN KONSTANTINOPEL. Die Regierungszeit der Kaiser Alexios Angelos. Isaak Angelos und Alexios Dukas, die Schicksale der Stadt nach der Einnahme sowie das „Buch von den Bildsäulen“ 1195 bis 1206 aus dem Geschichtswerk des Niketas Choniates. Mit einem Anhang: Nikolaos Mesarites — Die Palastrevolution des Joannes Komnenos, je übersetzt, eingeleitet und erklärt von Franz G r a b 1 e r. Verlag Styria, Graz. 320 Seiten mit einer Abbildung und drei Karten

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Nicht ohne freudige Bewegung kann man diesen Band in die Hand nehmen. Es ist schon der IX. Band aus der Reihe „Byzantinische Geschichtschreiber“, herausgegeben von Prof. Ivänka. Man kann wirklich nicht achtlos an der Tatsache vorbeigehen, daß in Oesterreich eine solche Reihe veröffentlicht wird; daß hier ein Verlagsprogramm verwirklicht wird, welches keinen Schmutz und keinen Schund, keine Sissi-Romy-Süßigkeiten und keine volkhaft-rauh- nächtigen Heimatromane, sondern wertvolle Geschichtsquellen herausgibt. Es ergreift einen direkt optimistische Stimmung, wenn man so ein konkretes Ergebnis kultureller Ambition vor sich hat.

Der vorliegende Band schließt sich dem VII. und VIII. Band der Reihe an; mit ihm ist das Geschichtswerk des Choniates abgeschlossen. Die Uebersetzung, von derselben Hand, ist womöglich noch besser gelungen. Was Uebersetzungen betrifft, sind wir ja bei zeitgenössischen Autoren auf das Gräßlichste gefaßt; es ist um so auffallender, wenn hier ein mittelalterlicher Autor, dank dem verständnisvollen Liebersetzer, zur spannenden Lektüre geworden ist. Die Uebersetzung ist so fließend und die Anmerkungen sind so reichlich, daß auch der vollkommen uneingeweihte Leser das Buch genießen kann.

Es ist durchaus möglich, die Chronik des Choniates einfach als Abenteuergeschichte zu lesen — ebenso bunt, ebenso aufregend und auch ebenso blutrünstig wie der Weltraum-, Cowboy- und Landsermist unserer Hintertreppenhefte. Es versteht sich aber, daß man sich dabei auch sehr viel ernstere Gedanken machen kann.

Der Herausgeber weist mit Recht darauf hin, welche weltgeschichtliche Bedeutung die Frankenherrschaft in griechischen Landen hat. Dem Abendland brachte sie eine farbenprächtige Episode von abenteuerlichster Romantik, deren Reste wie glitzernde Goldfäden im Gewebe der europäischen Geschichte an den verschiedensten Orten auftauchen. Nur ein Beispiel: im großen Titel Kaiser Karls VI. heißt es auch: „Herzog von Athen“; denn im lateinischen Kaisertum Romanien hatte es auch ein Herzogtum Athen gegeben, und die aragonesischen Ahnen des Erzhauses hatten darauf ein Erbrecht erworben ... Und in unvergleichlicher Kaiserherrlichkeit strahlen im Domschatz des heiligen Markus zu Venedig die geraubten Juwelen von Konstantinopel.

Doch eben diesen Raub konnte das Griechentum dem Abendland niemals verzeihen. Die Kirchenspaltung von 1054 war nichts Endgültiges gewesen. Darauf hoffen wir demnächst in einer anderen Buchbesprechung zurückzukommen. Der Streit zwischen dem Heiligen Stuhl von Rom und dem Patriarchenthron von Neu-Rom war heilbar; und schien heilbar auch nach 1204. Auch nachher, und nach der Restauration des byzantinischen Reichs zu Konstantinopel, gaben sich Kaiser und Kirchenfürsten des Ostens mit der Kirchenunion ab. Aber verwirklichen konnten sie sie nicht; das Volk haßte die Franken, die Lateiner, die Abendländer— und folgte willig jeder antipäpstlichen Propaganda. Das war alles die Folge der Frankokratie. — Wenig ist seither geschehen, um diese Abneigung zu besiegen. Wir dürfen vielmehr behaupten: die italienische Herrschaft auf Rhodos, die italienische Kriegsführung im zweiten Weltkrieg hat die griechischen Antipathien gegen Alt-Rom aufgefrischt — sowenig auch das Papsttum mit der Era Fascista zu tun hatte.

Das ist übrigens nicht die einzige Aktualität, an die man beim gegenwärtigen Band Choniates denkt. An manche diplomatische Situation unserer Zeit erinnert etwa die Szene, wo der östliche Kaiserhof dem aggressiven, von Weltherrschaftsplänen beherrschten Kaiser Heinrich VI. imponieren will. Man glaubt, ein friedliches Nebeneinanderleben beider Reiche am besten zu fördern, wenn man die kulturelle und wirtschaftliche Ueberlegenheit des alten Reichs vordemonstriert; daher zeigt man der deutschen Gesandtschaft die reichsten Hoftrachten, die kostbarsten Kronjuwelen beim zeremoniellen Empfang. Und die Barbaren denken nur daran, daß sie nicht verweichlicht, sondern wohlgerüstet sind. Nur der Tod des Staufers fristete dem Ostreich das Leben bis 1204. Dann wurden die tausendjährigen Paläste geplündert.

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