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Die Hauptstadt des Pustertales

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Im alten Tirol stufte sich die Bewohnerzahl seiner Städte von den 30.000 Innsbrucks langsam ab bis zur kleinsten, die nicht einmal den ersten Tausender erreichte. Auch ihr Lebensbereich hatte sich geradezu köstlich ausgeglichen und aufgelockert, so daß rst alle diese Städte und Städtchen zusammen das physische und geistige Gesicht de Bauernlandes bürgerbewußt abschlössen.

Eine der köstlichsten Kleinstädte unter ihnen blieb Bruneck am Südhang des Pustertals, das in diesen Tagen seine 700jährige Stadtherrlichkeit feiert. Adelige Ansitze in weiter, fruchtbarer Ebene hatten vor 700 Jahren dazu geführt, daß der Landesfürst, Bischof Bruno von' Brixen, über .der erhöhten Siedlung Rägeri ein Schloß als Erholungsplatz und Mittelpunkt des' Hochpusrtales errichtete und damit das ältere St.- Lorenzen - aus der Zeit der ersten christlichen Legionäre allmählich zur Seite drängte. Der Burgbau erinnert noch immer an die schwersten Auseinandersetzungen zwischen Mittelalter und Neuzeit, zwischen Kirche und Staat, zwischen Kardinal Nikolaus von; Kues und der Aebtistin Verena von Sonnenburg. Das war ein erbittertes Machtringen in Bruneck gewesen, wie es die Stadt selbst in den Kämpfen des Bauernkrieges von 1525 und der Wiedertäufer und der Erhebung Tirols vom Jahre 1809 nicht mehr erlebte. Verschwunden sind 'die alten Befestigungen. Ein wohnlicher Schloßbau dient noch heute den Bischöfen von Brixen als Sommersitz. '

Aus den grünen Lärchen knapp darunter blickt versonnen die Kathreinkirche am Rain,' jahrhundertelang der Schauplatz der Brunecker Bürgerspiele zu Ostern und zu Pfingsten, det: regelmäßigen Passionsspiele, aber auch eines „Jedermarin“-Spiels vom sterbenden Menschen, von Lazarus und dem Prasser und anderen. Sie sind derzeit erst von 153 8 an bis zum Jahre 1790 nachzuweisen. Aber wenn einmal die Archivalien der Stadt, der Pfarre, der Klöster, der Bruderschaften und Zünfte wieder zugänglich gemacht sind und verglichen werden können, und wenn die restlichen Ausstattungsstücke, die Zunftstangen, Tragfiguren, Ornate und Masken von Tod und Teufel dieser festlichen Veranstaltungen für ein Museum gehobener Bürgerkultur zusammengerückt werden, dann dürfte Bruneck mit diesen Festbräuchen an Alter und Zähigkeit denen von Sterzing und Bozen, den Kronzeugen deutscher Bürger- und Spielkultur vom Mittelalter her bis zur Aufklärung, nicht viel nachstehen.

Eines besitzt aber Bruneck daraus allein: Parodien auf solche Feste, bei denen die Patrizier und Bürger große Rollen, Kostüme und Gesten annahmen und daher sich auch der Kritik und des Spottes der Mitbürger unterziehen mußten. Ein seltsamer Humor durchzieht diese Brunecker Grotesken von 1676 und 1770, denen die deutsche Volksliteratur nichts Aehn-liches mehr zur Seite zu stellen vermag.

Um diesen denkwürdigen Brunecker Schloßberg gruppiert sich das altertümliche Städtchen in anmutiger Frische und biedermeierlicher Behaglichkeit. Es ist keineswegs nur 15. Jährhundert, und doch vergnügt als historische Tiroler Kleinstadt dank ihres Gewerbefleißes und Handelssinns. Hinter den beiden Reihen der Hauptstraßen erheben sich auch schon die dunklen, dichten Wälder und die Berge des Pustertals: ein erfrischender Anblick auf.breiter Hochebene, die noch heute im Rundkreis manchen friedlichen Edelsitz heraushebt. Das dürfte für Bruneck die charakteristische Note bleiben, ein,friedlich schaffender, schöpferischer Zug, der“ Bruneck namhafte Künstler, Dichter und. Heimatschriftsteller des Landes einbrachte. Gleich klingen die Namen, der Meister des Altar- und Krippenbaus, der Maler und Bildschnitzer! Michael P a c h e r und Josef Bachlechner auf und erwecken die schönsten Vorstellungen von den gotischen Flügelaltären des 15. Jahrhunderts und der Krippenkunst Tirols. Hermann von G i 1 m s seligste Zeit ersteht wieder mit seinen Singspielen und Geschichtsdramenversuchen, seinen Sophien-, Schützen- und Naturliedern. Gilms Geist vom Bruneck 1843/45 ging hier nie mehr ganz unter. Der Dichter des „Ewigen Juden“ und des Volksliedes „Auf zum Schwur, Tirolerland“ von Josef S e e b e r und Bruder W i 11 r a m (A. Müller), der hinreißende Redner und Sänger der Tiroler Heimat um 1900, aber auch der unentwegte Schilderer und Volkserforscher Südtirols, Paul Tschurtschen-t h a 1 e r, der mitten im zweiten Krieg in Sehnsucht nach seinem Südtirol am Bodensee verstarb, der sprachkundige Volksbeobachter und Verdichter ladinischen Sagengutes, Karl Staud-acher, zehrten von dem poesievollsten Reiz der Brunecker Landschaft und ihres besinnlichen Lebens. Einer ihrer getreuen Söhne, Hofrat J. Neumair in Wien, war als Redner, Deklamator und Festveranstalter immer der Tätigste gewesen, wenn es galt, dieses Bruneck, dieses Tirol in der Donaustadt zur Geltung zu bringen. Er sollte denn auch das Brunecker Stadtjubiläum mit einem Vortrag eröffnen. Leider lassen die augenblicklichen Gesundheitsverhältnisse des Achtzigers dies nicht zu.

Damit ist nun freilich noch lange nicht aller kunstfertigen Hände gedacht, die Brunecker Art und Fleiß zu Ehren gebracht haben. Hier entstanden um 1500 einige Holzkalender, die noch heute für die Kerbschnitzerei und die Kalendersymbolik unserer früheren Jahrhunderte Zeugnis ablegen. Das Schüsseldrehen, die Kleinplastik des Holzlandes führten hinauf bis zur besten Bildkunst des Landes. Die alte Brunecker Geschirrhafnerei, die Fliesen der Kachelöfen aus den Patrizierhäusern Brunecks zeugen nicht minder für ein hochstehendes Handwerk im alten Bruneck. Es fand hier keinen goldenen Boden, aber gutes Holz und sonstiges Material genug, um Geist .und Sinn darin zu erproben. Das kleine Bruneck stellte daher Erfreuliches zum geistigen und künstlerischen

Lebens Tirols und. Oesterreichs bei, und sein Jubelfest beschränkt sich daher nicht auf seine Bürgerschaft allein. Wer immer' solche Grundlagen schöpferischen Lebens zu schätzen weiß und wahren will, freut sich heute mit Bruneck über diese Vorzüge.

Dabei hält sich Bruneck bescheiden zurück. Läßt sich auch seine Stadterhebung erst seit 1256 feststellen, ist seine Siedlung doch um mehr als zwei Jahrhunderte älter. Im Jahre 990 schenkte eine Edelfrau, die sich Swanihild nannte, dem damaligen Bischof von Brixen und nachmaligen hl. Albuin und seiner Kirche ihren Besitz zu Ragen, der Stammsiedlung von Bruneck. Das ist die erste und früheste Urkunde, die von Brunecks Entstehung spricht. Dieses Ragen ging dadurch in die Geschichte ein, daß der Neustifter Hofrichter und Großamtmann Georg Kirchmair, der den Aufstand von 1525 miterlebte und miterlitt, sich als Adeliger nach diesem Ragen nannte und in seinen Denkwürdigkeiten viel davon erzählte, aber auch diese gewalttätige Zeit weitschauend überwand. So ist er ein Vorbild für das heutige Bruneck in allen Schwierigkeiten Südtirols geworden.

Die Festlichkeiten der Stadterhebungserinnerung nehmen die Tage vom 15. bis 22. Juli in Anspruch. Die größten Veranstaltungen, an denen ganz Hochpustertal mit seinen Trachtengruppen und Musikkapellen und mit historischen Erinnerungen teilnehmen will, fallen auf den 21. und 22. Juli. Sie dürften sich zu einem Südtiroler Landesfest gestalten. Bischof Gargitter und Bürgermeister Dr. Ghedina stehen an der Spitze. Ein vorbildliches Heimatbuch von Bruneck hat soeben die Druckerei verlassen. Es ist der 152. Band der „Sehlem-Schriften“ (Universitätsverlag Wagner in Innsbruck),- geleitet von dem Brunecker Professor Dr. Hubert Stemberger. Brunecker, wie Professor v. Klebels-berg, Eppacher, Neumair, Perner, des weiteren Sparber und Wolfsgruber steuerten ihre besten Heimatforschungen bei. Aber auch andere Tiroler fehlen nicht. So ist ein Werk von 340 Seiten mit 24 Bildtafeln angewachsen; das, reicht in seiner Bedeutung über den Anlaß und den Raum von Bruneck weit hinaus, und dürfte yorblidlich für das ganze Südtirole'r Heimatschrifttum werden.

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