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Eine grobe Sache ist die Liebe

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Armenväter waren von eh und je geplagte Menschen. Sie wurden mehr von ihrem guten Herzen zu ihrem Amte gedrängt als offiziell bestellt und entsprechend gehalten. Es finden sich selten Dekrete, aus denen ihre Bestallung hervorgeht. Wir müssen vielmehr aus überlieferten Gewohnheiten entnehmen, daß sie in ihrem Amt anerkannt wurden, d. h. daß sie über den Alltägsmenschen hinauswuchsen und etliche als Heilige zu Patronen erhoben wurden.

Die Bezeichnung Oblat verbirgt ein solches Gewohnheitsrecht. Sie erhielt sich in etlichen Tälern Alttirols bis auf den heutigen Tag und erinnert an frühe Verpflichtungen von Abgaben zu einem bestimmten Zeitpunkt an eine geistliche Stiftung, z. B. eine Brotabgabe, die von vorneherein zum Teile besonders Armen zugedacht war. Noch heute heißen z. B. die verschiedenen Parzellen des Tales, der Gemeinde und der Pfarre Lüsen bei Brixen Oblate. Sie zinsten nämlich ungefähr acht Jahrhunderte, bis zur Säkularisation von 1803, dem Hochstifte Brixen. Ihre Kuchlmair (Mayrhöfe) hatten für diese Ablieferungen zu sorgen und gaben bei dieser Gelegenheit selbst ein großes Gemeinschaftsmahl, bei dem die Armen der Gegend nicht zu kurz kommen durften. Doch dürfte die Bezeichnung Oblat kaum erst mit der kirchlichen Eingliederung und Einteilung aufgekommen sein, sondern aus der vorausgegangenen römischen Besatzungszeit stammen. Auf diese weisen nämlich noch etliche Beziehungen der ganzen Gegend und der Urpfarre St. Lorenzen hin. Diese Siedlung hieß damals Sebatum und stellte den Mittelpunkt des Rienzitales dar, über den daher auch die Kirche einen eigenen Erzdiakon setzte. Die ersten christlichen Legionäre von Sebatum durften seit 313 ihre Kultstätte offenhalten und weihten sie dem heiligen Laurentius. Dieser Heilige war bekanntlich ein Diakon gewesen, der zur Zeit der valerianischen Christenverfolgung in Rom, vor 1700 Jahren, gemartert wurde, vorgeblich aus dem Anlasse, Weil er das kirchliche Vermögen, statt dem heidnischen Kaiser auszuliefern, an seine Armen verteilte. Die christlichen Legionäre, die diesen Patron erwählten, mögen wohl selbst wiederholt benachteiligt worden sein. Die Kirche läßt daher auch die Parabel vom Gutsverwalter in der Laurentiuswoche vortragen. Aus den eigenen Erlebnissen der Soldaten erwuchs ihnen der heilige Laurentius zum Patron der Armen, Bedrängten und Unterdrückten.

Das erste Laurentiuskirchlein von Sebatum mag eine starke Anziehungskraft ausgeübt haben;, denn es verdrängte den alten Ortsnamen und die Siedlung hieß nun Sankt Lorenzen. Aehnliches hat sich noch in neuerer Zeit ereignet. So heißt heute die Ortschaft, in der sich Msgr. Seb. Rieger (Reim-michl) angesiedelt hat, Heilig-Kreuz, weil in der Barockzeit ein Kreuzbildnis seiner Kirche viele Benachbarte anzog. Vordem hatte der Ort Gampas geheißen. Die Laurentiuskirche in Sebatum blieb nicht allein. Schloß und Frauenstift Sonnenburg, auf altem Sebater Grund erbaut, besaß eine Lorenzkapelle, und Bruneck, die Sommerresidenz der Brixner Bischöfe, eine Lorenzkirche im Mittelalter. Auch im weiteren Pustertal, selbst in Matrei in Osttirol, im kärntnerischen Drautal, auf Rigi Kaltbad in der Schweiz, aber auch in Witten, in Imst, kurz, an verschiedenen Uebergangsstellen, an denen sich römische Vorposten festgesetzt hatten, begegnen wir noch heute Gotteshäusern zu Ehren des heiligen Laurentius als dem Patron der Armen. Die Zahl der mittelalterlichen Darstellungen ist gerade in den Ostalpen unabsehbar. Noch der große Meister in Bruneck, Michael Pacher, schuf jenen Laurentiusaltar für die Seitcnkapelle im Brixner Dom, die der dortige Dompropst Wolfgang Neundlinger am Ausgang des 15. Jahrhunderts gestiftet hatte.

In etlichen Ortschaften, die dem heiligen Laurentius geweiht wurden, erhielten sich Gewohnheiten von Zuwendungen für Arme. Am geläufigsten waren Brotspenden neben den Brotzinsen. Aber auch größere Ausspeisungen, ja ganze Kirchtagsschmäuse zugunsten Bedürftiger wurden zunächst in Erinnerung an den gemarterten Verwalter und Verteiler gemeinsamen Gutes veranstaltet. Doch dürfte ihr Zustandekommen sich an örtlichen Einrichtungen und persönlichen Anregungen angereichert haben. Die größten und nachhaltigsten Gemeinschaftsmahlzeiten dieser Art waren wohl die Kirchweihfeste zu Pet-schied im Tale Lüsen, in Onach bei St. Lorenzen selbst, in Matrei in Osttirol und in Stein in Unterkärnten. Diese Gewohnheitsrechte wurden schließlich mit verschiedenen Heiligenfesten, nur nicht mehr mit dem des Laurentius, zusammengebracht, nun vor allem mit dem frühsommerlichen Translationsfest des Bischofs Nikolaus von Myra, das im Leben der Landleute und in den Schulen als Merktag wirkte.

Der heilige Nikolaus rückte nämlich seit dem 11. Jahrhundert als Armenpatron mehr und mehr in den Vordergrund. Seine Lebensgeschichte enthält zwar keinen ähnlichen unmittelbaren Anhaltspunkt wie beim heiligen Laurentius. Aber die apokryphe Legende von den drei goldenen Kugeln oder Aepfeln, die er armen Bräuten ins Haus geworfen habe, führte dazu, daß sich eigene Bruderschaften und Stiftungen im Mittelalter herausbildeten, die sich die Unterstützung solcher bedrängter Mädchen zur Aufgabe stellten. Solche Fonds bestanden z. B. in Trient, Bozen und Inns-biuck. Aehnlich erstarkte sein Ruf als Schutzherr bedürftiger Jugend. Noch als z. B. die neue Gemeinschaft des Ignatius von Loyola ein Heim für arme Studenten in der Sill-gasse zu Innsbruck errichtete, weihte sie es dem heiligen Nikolaus. Tausende und aber tausende gingen aus ihm hervor, die sich verpflichteten, Bedürftigen zu Hilfe zu kommen. Im 17. Jahrhundert galt der Bischof von Myra noch schlechthin als Patron der Armen. Viele Abbildungen, Gebete, Kanzelreden, Spiele stellten ihn als solchen dar. Daneben war er freilich auch als Gabenspender der Jugend in den Vordergrund getreten. Als solcher sind uns sein. Auftreten und sein Festtag vom 6. Dezember noch heute geläufig.

Die starke Bevorzugung des klein-asiatischen Bischofs datiert seit der Ueber-tiagung seiner Gebeine von Myra nach Bari in Süditalien vom Jahre 1087. Diese Translation wurde in Bari selbst am 9. Mai, in den Alpen am 9. Juli begangen. Die eigenwillige Verschiebung des Gedenktages gibt zu bedenken. Die Bezeichnung Oblat erinnert nicht bloß an die alte kirchliche Einheit, sondern auch an eine wirtschaftliche. Sie wurde sogar zum Ausgangspunkt kirchlicher, sozialer und rechtlicher Einrichtungen. Mit den Abgaben an die Grundherren verband das Zeitalter der Christenherrschaft von selbst Abgaben an Arme, vor allem die Armenbrote, die ja noch heute nicht gariz abgekommen sind, z. B. die Nigelen (Nikolausbrote) des Pustertalcs und ähnliche Namen von Gebildebroten. An den Sonnwendragen von Lüsen und Onach, zur Kirchweihe von Laurentius und Nikolaus zu Matrei in Osttirol, zum Hildegardfest der Laurentiuskirche von Stein in Unterkärnten festigten sich große Armenausspeisungen mit Stierschlachtungen, Brotausgaben u. dgl. m. War es in Stein der Schlengeltag der Diensthalten am Fest der Mutter des heiligen Albuin von Brixen, dem 5. Februar, wie er ähnlich als Agathafest in Lana bei Meran begangen wird, so im Pustertal vornehmlich ein Tag in der Nähe des Alpensegensonntags, der als solcher Kirchtag eingehalten wurde. Noch heute ist Kirchweihe ein Tag freudigen Genusses. Früher war es eigentlich der höchste „Kuchel-tag“, der außerdem die ganze Sippschaft aus nah und fern zusammenführte, so daß man ihn geradezu als das Sippenfest schlechthin bezeichnen konnte. An einem solchen Hausfest gehörte es zur Selbstverständlichkeit, daß auch der Armen der Sippe und des Ortes in reichem Ausmaß gedacht wurde. Die erwähnten Züge in der Lebensgeschichte des heiligen Laurentius und in der Legende des heiligen Nikolaus wiesen die Richtung, der sozialen Gemeinschaft bewußt zu sein.

Vergessen wir aber der Losung des Laurentiustages in der Landwirtschaft nicht. Mit einem Schauspiel am nächtlichen Himmel wird er begonnen, den Laurentiustränen. Daher heißt der Tagesspruch: St. Lorenz kommt in finstrer Nacht ganz sicher mit Sternschuppenpracht. Schon sein Morgen ist gesegnet: An Lorenz Sonnenschein, bringt ein gutes Jahr herein. Noch deutlicher: Sind Lorenz und Bartl schön, ist guter Herbst vbr-auszusehn. Das Entweder-Oder: Wie Lorenz und Bartl sind, wird der Herbst, sei es rauh oder lind. Oder noch persönlicher: Schür', Bartl, schür', in vierzehn Tagen ist's an dir! Somit ist Lorenzi der Wendetag vom Sommer zum Herbst: Lorenzi, Sommer schwenz di'! Oder: Lauriz, schlägt den Herbst an die Spitz. Daher: St. Laurentius man pflügen muß. Dazu die Weisung: Das Holz wächst nach Lorenz nicht mehr, und wenn's auch noch • so wüchsig war'. Da heißt es sich sputen, vor allem auf der Alm. Die dortigen Weiden werden ja nur einmal gemäht. Dieses Almheu ist kostbar. Die Bergmahd ist für jung und alt das größte Ereignis auf der Alm. Zu Lorenzi beginnt die Bergmahd. In tieferen Lagen endet sie vor diesem Lostag. Wer die Gemeindemahd im Kaunertal vor dem Lorenztag abzumähen begann, verfiel einer öffentlichen Bestrafung. Dasselbe galt auf der Seiser Alm. Mit der gregorianischen Kalenderreform Von 1582 und der damit verbundenen Vorverlegung der bäuerlichen Arbeitsordnung waren diese Vorschriften notwendig geworden. Aber schon früher mag der Lostag je nach Lage und Klima der Wiesen und Weiden ins Schwanken geraten sein. Der Translationstag des heiligen Nikolaus und der Laurentiustag näherten sich im Arbeitsjahr des Hochgebirges merklich. Entscheidend blieb wohl der Abschluß der geschlossenen Weidewirtschaft und der Beginn der freien Weide, die allen zugute kam. Inwieweit alte Riten der Hirtenkultur mitbestimmend nachwirkten, inwieweit der am Lorenztag übliche Jahrmarkt zur Ausgestaltung des Festes, zum Sippentag, zum Armengedenken beitrug, ist schwer abzugrenzen. Dienstboten und Ehehalten hatten ihren großen Tag. Bei den Abgaben an den Grundherren fiel das Almosen an die Armen am reichsten aus.

Mit der Säkularisation von 1803 waren die Jahre für den Sonnwend- und Kirchweihstier von Lüsen und Onach gezählt. Schon viel früher hatte das große Stierschlachten von Matrei ein Ende gefunden. Die Hildegardstiftung von Stein blieb auf ein Striezelwerfen beschränkt. Dem Heiligenkult haben diese Aenderungen an sich keinen Abbruch getan. Er verherrlicht, was gerade die Zeit am notwendigsten braucht. Das Motiv bleibt unsterblich: Magna res est Caritas.

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