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Laurentius von Schnifis

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Im eben vergangenen Jahr jährte sich zum 250. Male die Stunde, in der der größte Vorarlberger Barockdichter, der bedeutendste Meisler des katholischen Kirchenliedes im 17. Jahrhundert, Laurentius von Schnifis, diese Welt verließ. Vor einem Vierteljahrtausend, am 7. Jänner 1702, ist er, noch nicht 70 Jahre alt, im Kapuzinerkloster in Konstanz gestorben. Die fromme Legende will wissen, daß er tags zuvor noch eines seiner Lieder am Klavier gespielt und daß seine Seele unter Spiel und Gesang seiner eigenen Melodien durch die Mitbrüder zu Gott emporgetragen worden sei. Was daran verbürgte Tatsache und was freie Erfindung ist, das zu entscheiden, bleibe ein Vorrecht der positivistischen Forschung. Wir sehen in dieser Legende ein Stück tieferer Wahrheit, denn Laurentius' ganzes Leben war ein einziges Loblied, Gesang und Preis des Schöpfers und seiner Werke.

Laurentius' Leben füllte das zweite und letzte Drittel des 17. Jahrhunderts aus und hat die ganze Szene des damaligen Deutschland zum farbigen Hintergrund. Mitten im Dreißigjährigen Krieg, als Hufschlag und Wagenspuren fremder Heere den deutschen Boden pflügten und Hunger und Tod statt des duftenden Brotes in den Furchen reiften, wurde Laurentius als Kind einfacher Bauersleute im Vorarlberger Illtal geboren. Er entsproß einer düsteren Zeit, aber ein heller Stern stand über der Stunde seiner Geburt. Seine Aufgabe sollta es werden, diese Welt des Unfriedens und der drängenden Lust mit der süßen Stimme seines Gesanges zu versöhnen. Seine Eltern waren von bescheidenster Art. Die Mutter war eine Gohm aus Düns, der Vater entstammte dem Geschlecht der Marte in Schnifis. Der Pfarrherr, der ihn am 24. August 1633 taufte, trug seinen Namen in schriftdeutscher Form als Johann Martin in das Taufregister des Kirchspiels ein. Linter diesem Namen hat der Dichter den Weg seines Lebens begonnen.

Der Lebensweg des jungen Martin trägt sichtbar die Zeichen seiner aufgestörten Zeit. Wie ein Pendel schwingt sein Dasein zwischen Weltlust und Jenseitsverlangen, bis es in der Stille der Klosterzelle endlich Ruhe findet. In der Abgeschlossenheit des Walgaus aufgewachsen, wurde dem Bauernkind die gestellte Szene des Schäferlebens der höfischen Gasellschaft zum erlebten Bild seiner Kindheit, das ihn sein Leben lang, bald weltlich verklärt und bald geistlich umgedeutet, begleitet. Wo der Bub in die Schule ging, wissen wir nicht, doch lassen seine Kenntnisse im Latein und seine frühe Könnerschaft im Gesang auf eine Ausbildung als Sängerknabe im gräflichen Hohenems schließen. Als fahrender Schüler zog er den Rhein hinab bis nach Köln, wo ihn die „Trutznachti-gall“, das Liederbuch des Jesuiten Friedrich Spee, zu eigenem dichterischem Schaffen entflammte. Der Reiseweg, den er weiterzog, ist uns nicht bekannt, der Ordensdironist aber weiß zu berichten, er habe „die berühmteren Städte Deutschlands mit der Laute durchzogen“. Plötzlich tritt er dann als Schauspieler in Wien auf, und von dort zog ihn Erzherzog Ferdinand Karl an sein neugegründetes Innsbrucker Hoftheater.

In Innsbruck verlebte Johann Martin Jahre schwelgenden Glücks und heiterer Sinnlichkeit — und Stunden bitterster Not und nagender Reue. Die Gunst des theaterfreudigen und prunkliebenden Fürsten führte ihn rasch die Stufenleiter der höfischen Ämter bis zum Spielführer empor und schloß ihm den Kreis der adeligen Gesellschaft auf. Daneben blieb ihm der Schuldturm nicht erspart, und eine schwere Erkrankung, in der ihn alle verließen, öffnete ihm das Auge für die Hinfälligkeit der höfischen Gunst und den schwankenden Grund alles Weltlebens. Er zog sich vom Hofleben zurück, wurde Priester und Hofkaplan des Hohenemser Grafenpaares — doch sein Drang nach Weltabkehr findet..erst Genüge durch den Eintritt bei dan Kapuzinern, den er 1665 in Zug in der Schweiz vollzieht. Als Ordensmann empfängt er den Namen Laurentius von Schnifis, unter dem ihn die deutsche Geistesgeschichte kennt. Den bürgerlichen Namen Martin formt er im Anagramm „Mirant“ zur Maske, die er bei seinen geistlichen Schäferspielen trägt. In der praktischen Seelsorge tätig, verlebte Laurentius viele Jahre in den Klöstern Zug, Meßkirch und Konstanz. Kaiser Leopold verlieh ihm 1692 den Rang eines „poeta laureatus“. Zehn Jahre später erlöste ihn in Konstanz ein sanfter Tod.

Die literarischen Anfänge von Laurentius' Schaffen liegen für uns zum größten Teil im Dunkeln. 'Aus der vorklösler-lichen Zeit ist nur wenig auf uns gekommen. Ein „Ehrengedicht auf den Erzherzog Sigismund Franziskus“, 1659, und einzelne eingestreute Liedstücke in einem späteren autobiographischen Werk sind die einzigen Zeugnisse eines früh entfalteten dichterischen Könnens. Die Gedichte bewegen sich feierlich oder witzig in der dichterischen Formensprache des Barocks, zeigen aber wenig persönliche Eigenart in der Beherrschung der zeitüblichen Bilder und Vergleiche. Erst als mit der inneren Einkehr der lebendige Quell seiner naturhaften Frömmigkeit zum Sprechen kommt, empfängt auch die überpersönliche Stilsprache der Zeit die Prägung eines persönlichen Schicksals, Alle Dichtungen des Laurentius sind von der gleichen Frömmigkeit getragen. Sein Werk stellt sich als mannigfaltige Variation eines einzigen Gedankens dar. Das Gegenüber Mensch-Gott ist die Mitte all seiner Aussagen. Der „autobiographische“ Roman „Philotheus oder des Miranten Weg“, 1665, gibt an der Schwelle der eigenen Einkehr Zeugnis von der inneren Umwandlung vom Weltmenschen zum religiösen Künder. Aber das eigene Leben ist nur der Stoff, nicht der Gehalt des Ganzen. Mitte und Sinn der Handlung ist die gnadenhafte Beziehung von Gott und Mensch, die in den Gleichnissen der barocken Schäferwelt gestaltet wird, Der Roman „Mirantische Wald-Schallmay oder Schul wahrer Weisheit“, 1688, macht diese innere Erfahrung zur abstrakten Lehre. Das humanistische Motiv des irr-reitenden Pilgers wird in diesem Zusammenhang mit der barocken Schulweisheit verwoben, indem ein verlorener Weltfahrer von einem Einsiedler über die Hinfälligkeit alles Irdischen und die Allmacht der göttlichen Gnade belehrt wird.

Laurentius' Liedersammlungen „Miran-tisches Flötlein“, 1682, und „Mirantische Mayen-Pfeiff“, 1691, sind ein einziger Preis der gnadenhaften Beziehung von Gott und Mensch, die im ersten Büchlein durch den Schäfer Christus, im zweiten durch die Weltdame Maria versinnbildet wird. Sinnberückende Zeichen der Natur, Gleichnisse des nahen täglichen Verkehrs, der Brautschaft, des ehelichen Umgangs und Bilder des Hohen Liedes, des Minnesanges, der kirchlichen Liturgie dienen dazu, diesem sinnlichübersinnlichen Verhältnis Schaubarkeit zu verleihen. Was aber dem Ganzen die Einheit gibt, ist die erlebte Gewißheit der Gotteskindschaft und die Sicherheit des Heils, für die alle Bilder und Vergleiche nur sinnfällige Zeichen bleiben.

Diese Befangenheit im seligen Gefühl des eigenen Herzens, die die Welt in der Allegorie erlebt und als Spiel entwertet, durchbricht Laurentius unter dem Einfluß des beginnenden Aufklärungsdenkens am Ende seines Lebens. Aus dem bloß auf sich selbst bezogenen religiösen Gefühl entbindet er Kräfte des Handelns, sein Wille richtet sich nicht mehr auf die weitabgewandte Begegnung der Seele mit Gott, sondern strebt nach Durchgeistigung der Welt und sittlicher Steuerung des menschlichen Tuns. Die „Mirantische Maul-Trummel“, 1695, richtet sich in dreimal zehn Elegien allgemein gegen Weltlust, Wißbegierde und Sinnenfreude, die das ewige Glück der Seele bedrohen. Das „Futer über die Mirantische Maul-Trummel“, 1699, stellt die zeitlichen Schäden heraus. Die sechzehn lateinischen und sechzehn deutschen Elegien haben ein durchaus völkisches Pathos und wenden sich gegen das ä-la-mode-Unwesen und die Würdelosigkeit des deutschen Lebens. Das letzte Werk „Lusus mirabilis orbis ludentis“, von fremder Hand vollendet und erst 1703 erschienen, gibt in Bildern des Spiels die Lehre, die der Ertrag seines inneren Lebens gewesen ist. Es ist das Spiel von dem Tod, vor dem alles nichtig ist. An der Schwelle der Ewigkeit aber wird die Rolle zugleich zum Unterpfand des unvergänglichen Seins. So vereinigt das letzte Gedichtbuch noch einmal das volle Widerspiel zwischen Mensch und Gott, aus dem das Werk des Laurentius hervorgegangen ist.

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