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Sagenberuhmte Sudtiroler Hofe

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Südtirol ist ein Land von uralter bäuerlicher Kultur. Das kommt mannigfach in Recht, Sitte und Brauchtum und nicht zuletzt in den alten Sagen zum Ausdruck, die sich um viele Südtiroler Bauernhöfe ranken. Der Verfasser konnte solcher Höfe nicht weniger als 191 ermitteln, und an einigen von ihnen soll hier gezeigt werden, welcher Art diese Sagen sind, wobei mit Bedacht die ältesten und ganz besonders charakteristischen ausgewählt wurden. Diese zum Teil in die vorchristliche Zeit zurückreichenden Höfe sind zwar über das ganze Land verstreut, drängen sich aber in gewissen Gegenden viel enger zusammen als anderswo und weisen durch gewisse immer wiederkehrende Sagenzüge eine lehrreiche Verbundenheit untereinander auf, bilden also ebenso ganze Sagenfamilien wie ihre Bewohner vielfach miteinander blutsverwandt und verschwägert sind. Solche mit ganz besonderem Sagenreichtum gesegnete, Gegenden sind die von Brixen und jene um den Schiern am linken und auf dem Ritten am rechten Ufer des Eisack-flusses.

Auf dem Reiferhofe zu Mellaun bei Brixen lebte vor Zeiten ein uralter Reifer, der war so übermenschlich stark, daß er einmal einen Stier, den die Metzger 'nicht weiterbrächten, “samt einem Sack Salz auf seinen Schultern von Brixen auf seinen Hof hinauftrug. Es werden noch andere Kraftproben von ihm erzählt. Einen- scheußlichen Drachen, der in den wälschen Köfeln hauste und die Gegend ringsum verwüstete, lockte er aus seinem L^ch und zermalmte das Untier mit einem gewaltigen Felsblock. — Auf dem Pliderhcrf in Lüsen verdingte sich ein Riese aus fremden Landen als Knecht. Nach dem Tode des Bauern heiratete er die Bäuerin. Von diesem Paare stammten die siegelmäßigen Pliderer ab. — Stammvater der Widmann war ein Riese, der sich auf dem Walderhof in Lüsen als Knecht verdingt, eine der Töchter des Bauern get heiratet und nach dessen Tode den Hof geerbt hatte. Die Widmann in Lüsen führen das gleiche Wappen wie die Widmann in Vilnös: einen wilden Mann mit grauem Haar und Bart, der in der Rechten einen . eisernen Streitkolben schwingt. — Beim Fluber in Klerant zu St. Andrä ob Brixen gewahrte die Dirn in der Torkel (Kelter) glühende Kohlen. Es war ein blühender Schatz. Sie unterließ es, etwas Geweihtes darauf zu werfen. Hätte sie es getan, so würden sich die Kohlen in Gold verwandelt haben. Ein in Tirol und anderswo häufiger Sagenzug, der auch an Bauernhöfen haftet. Der sagenberühmteste Bauernhof in der Brixener Gegend gehört dem Meierhofer in Lüsen. Auf diesem Hofe herrschte niemals Not an Brot. Eine salige Dirn (Salge oder saliges Fräulein), die da gedient hatte und heimgerufen worden war — ein in der Tiroler Volkssage immer wiederkehrender Zug —, hatte den Hof bei ihrem Abschiede gesegnet, und dieser Segen ruht hoch heute darauf: die Brotkammer des gastfreundlichen Meierhofers ist weit und breit bekannt. Die Saugen wohnten unter dem Meierhofe und nahmen sich einmal der verirrten Kinder des Bauern an. Auf dem Veltonerhof zu Afers schüttete einmal eine hartherzige Bäurin einem bettelnden saugen Weibele (Fräulein) eine Kelle voll heißem Schmalzes hinaus. Dar-' auf verwünschte das Weibele den Hof bis ins neunte Geschlecht. Der Fluch ging in Erfüllung. Erst der zehnte Besitzer brachte

* Das technische Referat hielt Hofrat Ingenieur Winter, anschließend führte Fritz S a b 1 a t n i g auf seinem Projektionsapparat eine Reihe von Bildern vores wieder zu Wohlstand. Eine Sage, die auch an anderen Südtirolcr Bauernhöfen haftet. — Beim Mesner in Afers warf ein saliges Weibele einen Fadenknäuel in die Stube, der erst gar wurde, als einmal die Näherin vorwitzigerweise nach dem Ende fragte. Auch dieser Sagenzug ist in Südtirol weit verbreitet.

Wir begeben uns nun auf das Gebiet des sagenberühmten Schterr., der in den öster-reichisdien Alpenländern denselben Rang einnimmt wie der Brocken in Deutschland, nur daß dieser was Alter, Reichtum, Mannigfaltigkeit, Innigkeit und Schönheit seiner Sagenwelt anbelangt, mit unserem Sdilcrn keinen Vergleidi aushält. Hier gibt es der Sagen von wilden Männern und salinen Fräulein so viele, daß uns die Auswahl schwer fällt. Die sagenberühmtesten Höfe in dieser Gegend sind der Jocherhof, der Kafmannhof und der Caldrunerhof, alle drei in Wälschnovcn. Auf den Jocherhof kam nicht ungern der -nach diesem Hofe so genannte Jocherer Wilde herab und redete mit den Leuten. Seine beiden schwarzen Hunde kündeten seinen Besuch an und bekamen allemal eine große Schüssel voll warmer Milch vorgesetzt. Von 'ihm wie vom Wilden in Deutschnoven erzählte man sich, daß, wenn er seine Eiscnstarige an die Wand des Hauses lehnte, der ganze Hof krachte und bebte und sich auf die andere Seite neigte. Ober dem Jocher auf dem Joch unterm Rosengarten hausten vorzeiten drei Willeweis. Sie waren Seherinnen, standen bei den Leuten in hohem Ansehen und kamen oft zum Jocherbauern herab. Eine von ihnen war mit einem blauen Gewände bekleidet. Sie saßen da mit Vorliebe an einem stehenden Wässerlein in der Valt, einem Wirtschaftsgelasse des Bauern, badeten darin und kämmten ihr ungezopftes Haar. Es sahen sie jedoch nur die Kinder, Erwachsenen blieben sie unsichtbar. Einmal kam die Blaue in des Jocherbauern Küche, wo viele Eierschalen unausgestrichen auf dem Herde umherlagen. Sie gab ihrer Verwunderung darüber in Versen Ausdruck und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Diese Sage von den Eierschalen auf dem Herde zählt zu den in Südtirol am weitesten verbreiteten.

Im Ziggl (Ziehbrunnen) beim uralten, jetzt abgekommenen Hofe Caldrun liegt ein Schatz, der von einem Drachen bewacht wird. Auf Caldrun hauste ein wild-s Fräulein, insgemein die „Caldruner Fömile“ genannt. Sie war baumlang, halb weiß und halb schwarz und über und über behaart, stellt also mythengcschichtlich eine Verschmelzung der Sage vom wilden Weib, dem Seitenstück des wilden Mannes, mit den nordisdien Mythen von den drei Nor-nen und der Totengöttin Hei dar. Nach der Tiroler Sage entstammte sie uraltem, längst ausgestorbenem Geschlechte und mußte den Caldruner Schatz hüten. Nach dem Verfall des Hofes hauste sie in einer Almhütte und wurde vom Jocherer Wilden verfolgt, teilte also das Schicksal der Saugen, denen sie sagengesdiiehtlich nahe verwandt ist. Auch sie wurde zuletzt dadurch vertrieben, daß man hundert Eier aufbrach und ihre Sdialen in der Schwaige in die Asche des Herdes legte.

Ein anderer wilder Mann, der Gletsch-mann genannt, kam öfters in den Kafmannhof im Kafmanntal, um das Vieh zu „segnen“, das heißt, es mit Zaubersprüchen zu besprechen. Die Sage schildert ihn auch als verklärte Gestalt mit weißem Haar und großem Hut, also gewissermaßen als Saugen. Daß sich dahinter die dunkle Erinnerung an den runenzauberkundigen Odin (Wotan) des nordischen Mythus verbirgt, ist unverkennbar. — Beim Kafmannhof hausten die saugen Fräulein oder Leute, die man in Wälschnoven für Kinder Adams hielt, die er vor Gott dem Herrn verleugnet hat. Drei von ihnen standen beim Kaf-mann als Mägde ein und brachten dem Bauern Segen ins Haus. Die Saugen kamen vorzeiten öfter zum Kafmannhof herauf, um Salz und Mehl zu leihen, brachten es aber allemal beschmutzt zurück. Wenn die Dirn am Hofe Samstag morgens vor und abends nach Betläuten die Stube kehrte, fiel das Kehricht zu den Saugen hinab. Auch dieser Sagenzug kehrt in Südtirol wieder. Einmal buk die Bäuerin am Dreikönigsabend Kücheln. Eines gab sie der Dirn mit dem Auftrag, dreimal ums Haus zu gehen und es 'dem Ersten zu geben, der ihr begegnen würde. Es war der Bauer. Bald darauf starb die Bäuerin, und die Dirn heiratete den Bauer. Auch der dreimalige Umgang steht in der Südtiroler Sage nicht vereinzelt da. Er erinnert an kultische Umläufe in vorchristlicher Zeit. — Auf dem Kafmannhof saß in uralten Zeiten ein verwunschenes heidnisdres Geschlecht. Es wurde von den Christen aus dem Hofe verdrängt, nur eine blieb zurück, nämlich die Wälschnovner Willeweis. Einer der Verwunschenen, der wilde Gletschmann, hielt öfter auf dem Hofe Einkehr, um nach der Willeweis zu sehen. Zuletzt mußte auch er weichen.

Wir verlassen nun die an Sagenberühmten Bauernhöfen so reichen Gegenden von Wälsch- und Deutschnoven, Tiers und Eggen am Schiern und begeben uns vom linken ans rechte Ufer des Eisackflusses, um einen andern berühmten Südtiroler Sagenberg zu besteigen. Es ist der Ritten oberhalb Bozen, v über und über mit Kultstätten aus vorchristlicher Zeit besät, an die sich mythengeschichtlich wertvolle Erinnerungen knüpfen. Auch auf dem Ritten gibt es drei Bauernhöfe alter Gründung, die sich vor vielen anderen durch das altertümliche Gepräge der Sagen auszeichnen, die sie umwehen. An erster Stelle ist der Reinpalter-hof 'in Lengstein zu nennen. Es folgen der Sulznerhof und der Stierlhof, beide in Unterinn. Ein alter Reinpalter von Lengstein ritt zur Willeweis hinauf, die auf dem Birchboden mitten im Wald ober Lengstein saß und in einem meeralten Buche las, um von ihr die Meisterschaft in den Zauberkünsten und die Weltweisheit zu erlernen. Oben angelangt, sdiwang er sich vom Roß und rief, mit lauter Stimme,; „Der Reinpalter reitet auf krupem Roß. Wia tuat die Wile die Wele begraben?“ Alsbald erhob sich das uralte Mütterlein und belehrte den alten Bauersmann aus ihrem uralten Buche über der Welt Lauf, über den Sinn des Spruches, mit dem sie von den Leuten angerufen wurde, und vieles andere. Und der Reinpalter nahm die Lehren, die er von ihr empfangen hatte, als sein Geheimnis mit ins Grab. —• Es ist die einzige uns überlieferte Sage, die sich an diesen Hof knüpft, und doch fällt sie für uns beinahe schwerer ins Gewicht als alle anderen. Denn die Wele, die da begraben wird, ist keine andere als jene Veleda, von der schon Tacitus in seiner Germania (Kap. 8)* zu erzählen weiß, und die wenigen Stabreime, mit denen der Reinpalter die Willeweis anredet, sind die Bruchstücke eines uralten Vermächtnisses von unschätzbarem Werte. Der Sulznerhof bei Unterinn zählt zu den ältesten auf dem Ritten. Es scheint, daß die Sulzner der Sage nach von den Burgherrn auf Schloß Zwingenstein, wohl dem ältesten im Lande, abstammen oder gar von dem Riesen Sulzner, der den uralten Heidenfünten auf Zwingenstein bekämpfte. Am Stierlhof zu Unterinn fuhr einmal die wilde Jagd vorbei. Ein kecker Bursdie forderte einen Anteil.an ihrer Jagdbeute. Da hängte der Wilde einen halben mensdilichen Leichnam an die Haustür. Es ist der in ganz Tirol verbreitete Sagenzug vom Heischeruf, der bis in die Zeit des Kampfes zurückweist, den das jüngere Vater- mit dem älteren Mutterrecht'führte. Auch eine alte Truden-sage haftet an diesem Hofe. Endlich war er lange Zeit der Sitz einer jener zwerghaften Kobolde oder Nörgglen, die sich auch in anderen Bauernhöfen auf dem Ritten festsetzten und den in jener Gegend verbreiteten Sagen ein diarakteristisches Gepräge verleihen.

Es verdient mit Nachdruck hervorgehoben zu werden, daß keine der erwähnten und überhaupt' keine der Sagen, die in Südtirol erzählt werden, im ehemaligen* Wälschtirol bekannt ist, wogegen die meisten in Nordtirol ebenso verbreitet sind wie im Süden des Landes.

Es wäre zu begrüßen, wenn die wenigen angeführten Beispiele im Herzen des Lesers eine Ahnung von der Bedeutung des Verlustes geweckt haben sollten, der unmittelbar Tirol und mittelbar ganz Österreich bedroht, eines Verlustes, den wir nie verschmerzen könnten, weil er uns eines der köstlichsten Erbstücke aus Urväterzeit berauben würde. Der dauernde Verlust Südtirols würde von allen, denen an der Erhaltung wertvollen Kulturgutes gelegen ist, nicht minder schmerzlich empfunden werden als die Zerstörung unserer altehrwürdigen Kirchen und Paläste und sonstigen Denkmäler einer ruhmreichen Vergangenheit.

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