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Die „Heiteretei“ und ihr „Widerspiel“

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Jetzt sahen wir ihn also: den Film des amerikanischen Fernsehmannes Brinkley über Wien und die Wiener. Das österreichische Fernsehen tat recht daran, das „Dokument“, über das schon so viel geschrieben und polemisiert wurde, „niedriger zu hängen“. Sorgsam einbegleitet vom Fernsehdirektor persönlich und umgeben mit einem Kranz verlesener Zitate aller jener, die „nix dafür konnten“, flimmerte es am Sonntagabend über den Bildschirm. Offen gesagt: so schlimm war es gar nicht. Es war salopp und nachlässig gemacht, ins Mittelwestliche übersetzt für Millionen Menschen, denen der „Hofkriegsrat“ so fremd ist, daß man ihnen die Stellung des Prinzen Eugen eben nur als die eines „Premierministers“ übersetzen kann und die den Unterschied zwischen der alten Monarchie und dem Heiligen Römischen Reich für ebensowenig relevant halten, als ihn wahrscheinlich Theodore Roosevelt einst bei seinem Besuch Franz Josephs empfand. Hätte nicht ein österreichischer Reporter bei einer kurzen Sendung über das Leben in Texas oder Uruguay seinen „Trav-niceks“ im Lande auch manches vereinfachend übersetzen müssen, was im Lande selbst viel komplizierter ist? Und die Tendenz? Wir konnten keine Gehässigkeit entdecken, eher einen ganz verstohlenen Neid, eine heimliche Sehsucht nach einem Land, in dem man langsam spazierengeht,

gabelfrühstückt und das Essen mit der Hand zubereitet.

Nun fehlte freilich das Entscheidende: die Erklärung und Deutung. Mr. Brinkley konnte sie weder historisch noch psychologisch, geschweige denn metaphysisch geben. Der Zufall wollte, daß der „Heiteretei“ alsbald das „WiderspieJ“ folgte. Ein österreichischer Dichter, Rudolf Henz, sprach eine Stunde später im Rundfunk über das geistige Antlitz Österreichs. Mit keinem Wort ging er auf Brinkleys Produkt ein. Aber seine Worte waren eben das, was dem Fernsehbild und seinem (übrigens sehr objektiv übersetzten) Kommentar fehlte. Henz verstand es, in wenigen Sätzen, die das Thema nicht dozierend festnagelten, sondern nach Art des „Schwierigen“ immer wieder von der Seite her anspielten, den Grund für das verständlich zu machen, was Brinkley nur kopfschüttelnd registrierte: für das Fragmentarische, Zögernde, Unentschiedene unseres Wesens, das in Wahrheit die scheue, verschämte Defensive des Bewahrens ist.

Im „Simpl“ empfiehlt Karl Farkas den Genußspechten zur Zeit, das Fernseh- und Rundfunkprogramm zugleich einzustellen und zu einem Cocktail zu mixen. Hier entstand eine höchst sonderbare, anregende und nahrhafte Mischung. Whisky und Poysdorfer. Allerdings nicht zusammen, sondern nacheinander getrunken. Merkwürdig: der Nachgeschmack war gut.

Ein bekannter Wiener Kritiker, politisch konservativ, aus der Schule des alten Österreich, sitzt im März 1962 in einem Wiener Kaffeehaus mit einem älteren Russen beisammen. Der Russe ist aus Moskau zu einem Kongreß nach Wien gekommen. Man spricht über den kalten Krieg und über literarische Probleme. Der Russe bemerkt dann, daß er in seinen eben in Westdeutschland deutsch erscheinenden Memoiren ein eigenes Kapitel seinem Freund Joseph Roth gewidmet habe. Und erkfärfdazu: ;Mh m^A' in Paris und war mit ihm bis zu seinem Tod •bei&mme!fl> Üferigen¥>%errh nÄrf Roth nimmt, der aus Ostgalizien stammte, Franz Kafka, den Prager, oder Hasek, den Autor des ,Schwejk', oder den Triestiner Italo Svevo oder auch den Jugoslawen Miroslaw Krzela — da haben wir eine ganze Schar vielfach bitterer, schwerer, aber doch sehr starker Schriftsteller, die entweder deutsch oder in anderer Sprache schrieben und zu Österreich gehörten. Die alte Habsburger-Monarchie hatte offenbar ein gutes Klima für das dichterische Schaffen...“

Also sprach Ilja Ehrenburg, der „Boß“ der sowjetrussischen Schriftsteller. Ehrenburg ist, wie bekannt, eine umstrittene Persönlichkeit. Dies sollte uns nicht hindern, seine Kenntnis und Anerkennung einiger Dichter aus dem Raum des alten Österreich zur Kenntnis zu nehmen: Autoren, die praktisch hierzulande zum Teil nur dem Namen nach bekannt — und wenig gelesen werden...

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